Schenken wir unseren Kindern zu viel?

Kinder besitzen in ihren jungen Jahren bereits zu viel und haben eine unheimliche Erwartungshaltung an Geschenke entwickelt. Über dieses Zuviel denkt Irene Maria Gruber nach – der Fähigkeit zur Wertschätzung zuliebe, den Nerven der Eltern und nicht zuletzt unserer Umwelt zuliebe.

© Irene Maria Gruber

Weihnachten, das Fest der Besinnlichkeit, der Familie und Liebe, das Fest des Schenkens, ist einmal mehr vorüber. Der letzte Rest an Weihnachtsstimmung wurde bei einem Gang in den Müllraum unseres Hauses abrupt getrübt. Die Restmüll- und Altpapiertonnen waren seit dem 24. Dezember übergequollen. Selbst neben ihnen türmten sich noch unzählige Barbie-, Brio-, Lego-, Spielzeugklavier- und Smoothieblenderkartons, eingeschlichtet in Versandkartons großer Online-Versandhändler. Glitzernde Geschenkverpackungen wurden in schwarze Plastikmüllsäcke gestopft, die wiederum neben dem Ausgang platziert.

© Irene Maria Gruber

Gerade an den Weihnachtstagen wird deutlich, welch große Mengen an Müll wir produzieren. Allein in Deutschland fielen 2013 pro Kopf 617 kg Müll an, ganze 212,5 kg davon waren Verpackungsmüll. „2003 waren es noch 187,5 kg“, kann man in „Fair für alle! Warum Nachhaltigkeit mehr ist als nur bio nachlesen. „Den deutlichen Anstieg […] führen Expertinnen und Experten auf verschiedene Gründe zurück: zum einen auf den Boom im Internet-Versandhandel. Denn wenn immer mehr Menschen alles, von Büchern über Flachbildschirme und Windeln bis hin zu Lebensmitteln, online bestellen, müssen diese Dinge für die Verschickung noch aufwendiger eingepackt werden. Oft sind die Versandkisten dafür unnötig groß.“

© Irene Maria Gruber

„Fair für alle! Warum Nachhaltigkeit mehr ist als nur bio von Sonja Eismann und Nina Lorkowski (Beltz & Gelberg), 160 S.. Gedruckt in Deutschland (Beltz Bad Langensalza GmbH) auf Papier aus verantwortungsvollen Quellen (FSC-Mix Label).

Wie gut, dass letzten Donnerstag im Morgengrauen der ganze Müll, wirklich alles von den Müllheinzelmännchen abgeholt wurde. Auf Nimmerwiedersehen, ihr unheimlichen Müllberge. Jetzt sitzen die reich beschenkten Kinder in ihren vermeintlich zu kleinen Kinderzimmern zwischen bunten Spielzeugbergen und mischen fröhlich Puzzleteile mit Duplo- und Kaplasteinen, ziehen den Stoffbären Puppenkleider über und funktionieren Bücherregale zu Parkgaragen für die Einsatzfahrzeuge und rosa Wohnmobile um. Die Eltern stöhnen, sind aber irgendwie auch froh, dass die Kleinen an den kinderbetreuungsfreien Tagen Beschäftigung finden. Und überlassen ihnen auch noch Wohn- und Schlafzimmer. Aufräumen kann man dann ja auch noch nach dem 7. Jänner.

Seit ich drei Kinder habe, merke auch ich, wie sich das Spielzeug stetig vermehrt. Für 2017 hatte ich mir vorgenommen, die Geschenkeflut in organisierte Bahnen zu lenken. Mit mäßigem Erfolg. Man halte sich vor Augen, dass jeder der drei Kindergeburtstage bei uns mittlerweile vier Mal gefeiert wird: im Rahmen der engsten Familie, dann mit den Großeltern, schließlich noch mit den Tageskindern und natürlich auch mit den Freunden aus der Nachbarschaft und dem Bekanntenkreis. Auf meinen Wunsch hin schenkten die Großeltern dankenswerterweise keine Spielsachen, sondern Schuhe und Kleidung in den nächsten Größen. Bei den Partys mit Freunden musste ich allerdings aufgeben. Manche Mütter (ja, es scheint fast so, als würden Männer keine Geschenke kaufen) fragten mich vorab, was sich meine Kinder wünschten. Ich freute mich über die Frage, denn meine Kinder hatten meines Wissens noch keine Wünsche, und erwiderte: „Nichts. Wir freuen uns, wenn ihr kommt, ihr braucht wirklich nichts mitzubringen.“ Das war keine befriedigende Antwort. „Etwas zum Basteln vielleicht? Sind die Kleinen schon groß genug für Playmobil?“ Also gut, ich gab nach. Auch, weil der Große mit seinen 3 Jahren nach unzähligen Einladungen leider schon ein echter Partyprofi war. Schokotorte mit Smarties und singenden Kerzen, „Happy Birthday“, „Marmelade im Schuh“ und viele, viele bunte Geschenke – den Ablauf hatte er bei den Feiern der anderen bereits gelernt.

Vor Weihnachten vereinbarte ich mit den diversen Christkindern, dass es gerne ein paar wenige Geschenke, die alle drei gemeinsam bekommen, geben könne – aber ich suche sie aus. Die Kinder waren am Weihnachtsabend mit fünf kleinen Päckchen (darunter zwei Bücher, denn ich finde immer noch, dass Bücher die besseren Geschenke sind) glücklich, freuten sich auch sehr über den geschmückten Baum und das kleine Marzipanschwein, das wir durch 5 teilten.

© Irene Maria Gruber

„Guck mal: Wohin fließt das Badewasser?“ von Katja Reider und Marlies Rieper-Bastian (Carlsen), 14 S., ab 3 Jahren. Gedruckt auf Papier aus verantwortungsvollen Quellen (FSC-Mix Label). Keine Angabe zum Herstellungsort.

„Mein großes Buch der Tiergeräusche“ von Oliver Grieshammer (Ars Edition), 16 S., ab 2 Jahren. Gedruckt auf Papier aus verantwortungsvollen Quellen (FSC-Mix Label). Keine Angabe zum Herstellungsort.

Ganz ohne Geschenke wäre es ein furchtbar trauriger Heiligabend, wissen meine Kinder aus mehreren Kinderbüchern, beispielsweise aus „Rudi rettet Weihnachten“: Ein im tief verschneiten Wald lebendes Schwein wird vom Weihnachtsmann seit Jahren schlichtweg vergessen und unternimmt daher alles, um wieder Geschenke zu bekommen. Auch in Astrid Lindgrens Pippi Langstrumpf feiert Weihnachten“ lesen wir, wie traurig das Fest ohne Päckchen ist: Pelle, Bosse und die kleine Inga sind am Heiligabend alleine zu Hause, ihre Mama war ins Krankenhaus gekommen und der Papa weit draußen auf dem Meer. Und sie hatten auch keinen Tannenbaum! Keine Geschenke! Nichts Gutes zu essen!“ Unerwartet taucht Pippi mit Tannenbaum auf dem Kopf auf, um den Kindern ein schönes Fest zu bereiten und sich über verblüffte, glückliche Kinderaugen freuen zu können. So fühlen wir uns doch auch, wenn wir unsere Kleinen beim Auspacken und Spielen beobachten. Kinder, die ihre Pakete gierig aufreißen, die Spielsachen nur anspielen und gleich wieder weglegen, trüben unsere Freude allerdings.

© Irene Maria Gruber

„Rudi rettet Weihnachten“ von Mathilde Stein und Chuck Groenink (FISCHER Sauerländer), 32 S., ab 4 Jahren. Gedruckt in Belgien auf Papier aus verantwortungsvollen Quellen (FSC-Mix Label).

„Pippi Langstrumpf feiert Weihnachten“ von Astrid Lindgren (Oetinger), 48 S., ab 6 Jahren. Gedruckt in Lettland (Livonia Print SIA, Riga) auf Papier aus verantwortungsvollen Quellen (FSC-Mix Label).

Zu Beginn eines neuen Jahres frage ich mich, was jetzt noch kommen soll. Die Kinder besitzen in ihren jungen Jahren bereits zu viel und haben eine unheimliche Erwartungshaltung an Geschenke entwickelt. Sollten wir ihnen und ihrer Fähigkeit zur Wertschätzung zuliebe, unseren Nerven und nicht zuletzt unserer Umwelt zuliebe nicht endlich über dieses Zuviel nachdenken? Autorin Olga Witt widmet ein Kapitel ihres lesenswerten Buches „Ein Leben ohne Müll. Mein Weg mit Zero Waste“ eben diesem Thema: „Das Schenken an sich ist […] nicht wirklich das Problem und grundsätzlich eine schöne Geste – solange sie nicht in einen Zwang verfällt, sich gegenseitig möglichst teure Waren hin und her zuschieben. Die Geste ist das, was immer im Vordergrund bleiben sollte.“ Gerade in der Vorweihnachtszeit sei zu bemerken, dass „die Einkaufspassagen vollgestopft mit Suchenden [sind], deren Gelassenheit, je näher der große Tag rückt, stetig abnimmt.“ Witt selbst nimmt keine Gaben an und beschenkt auch prinzipiell niemanden, vmit Ausnahme der Kinder, denen wahrscheinlich das Herz zerspringen würde, wenn sie plötzlich nichts bekämen. Gedanken macht sich Witt natürlich über die riesigen Müllmengen, die Geschenke mit sich bringen – für sie ist die Wiederverwendung von Geschenkpapier ganz selbstverständlich, und auch Zeitungspapier, Stoff und alte Tücher kommen beim Verpacken zum Einsatz.

© Irene Maria Gruber

„Ein Leben ohne Müll. Mein Weg mit Zero Waste“ von Olga Witt (Tectum), 280 S.. Gedruckt in Österreich (Gugler GmbH) nach dem Cradle-to-Cradle-Prinzip auf umweltfreundlichen Papier, mit mineralölfreien Druckfarben und klimaneutral hergestellt.

Sabine Huth-Rauschenbach zeichnet in ihrem Entdeckerbuch für glückliche Familien „Familienzeit“ auf, wie sinnvolles Schenken funktionieren könnte. „Wie sollen Kinder lernen, echte Freude und Dankbarkeit zu empfinden, wenn sie dauernd mit Spielzeug und Süßigkeiten zugeschüttet werden?“, fragt sie und rät, die Geschenke zu koordinieren, sich mit Verwandten abzusprechen und zum Beispiel zu übergeordneten Themen wie Spielküche oder Puppentheater zu schenken und schenken zu lassen. Außerdem hält sie selbst an einer Faustregel fest: „eine Sache zum Spielen, eine Sache zum Anhören, eine Sache zum Anziehen, eine Sache zum Lesen.“ Huth-Rauschenbach weiß aber, dass nicht alle Verwandten diszipliniert beim Schenken sind: „Erstmal kommen Sie um ein vermutlich etwas unangenehmes Grundsatzgespräch nicht herum. Manchmal gibt es schnelle und dauerhafte Einsicht, unter Umständen diskutieren Sie das aber jährlich aus.“ Bevor es aber zum großen Familienkrach unterm Weihnachtsbaum kommt, sei es natürlich besser, das Luxusproblem zunächst ungelöst zu lassen. Und was macht die Autorin, wenn doch einmal zu viele Geschenke ankommen? „Ein Zuviel an Geschenken wandert immer estmal in den Fundus. […] Ich finde es vor allem nachhaltig, denn bevor meine Kinder ein Spielzeug auspacken, kurz anspielen und dann in die Ecke werfen, hebe ich es lieber für jemanden auf, der es wirklich zu schätzen weiß.“ Und noch einen Tipp hat sie parat: „Schreiben Sie sich […] die Wünsche Ihrer Kinder über das Jahr hinweg auf, aber erfüllen Sie diese nicht immer sofort, sondern heben Sie sie bis Weihnachten auf. Das strahlende Gesicht, wenn Ihr Kind endlich die ersehnte Barbie, den tollen Roboter oder das besondere Buch in den Händen hält, ist unbezahlbar.“

„Familienzeit. Entdeckerbuch für glückliche Familien“ von Sabine Huth-Rauschenbach (Trias Verlag), 184 S.. Gedruckt in Deutschland (Westermann Druck GmbH, Zwickau) auf chlorfrei gebleichtem Papier.

© Irene Maria Gruber

Auf die Kindergeburtstagspartys können wir auch im kommenden Jahr nicht verzichten, das ist klar. Aber vielleicht schaffen wir es, ein einziges Geschenk, das von uns ausgewählt und verpackt wurde, erst bei der Feier mit Freunden zu übergeben und den Gästen vorab klipp und klar zu sagen, dass sie nichts mitbringen dürfen. Osterhase und Nikolo? Die bringen nur Essbares. Im Adventkalender werde ich den Kindern übrigens Zeit schenken, nämlich täglich eine gemeinsame Aktivität. Unter den 150 unkomplizierten Ideen aus Sarah Devos‚ Buch „Mein Kind langweilt sich nie“ finden sich problemlos 24 passende. Und zu Weihnachten wird es ein paar sinnvolle Geschenke geben, aber nur unter unserem Tannenbaum am 24. Dezember. Ohne die Päckchen bekämen die kerzenbeleuchteten und lamettaglänzenden Bäume der Großeltern an den Weihnachtsfeiertagen nämlich endlich ungeteilte Aufmerksamkeit. Ja, warum eigentlich nicht?

© Devos: Mein Kind langweilt sich nie, LV.Buch 2017.

„Mein Kind langweilt sich nie. 150 Tipps gegen Ideenlosigkeit“ von Sarah Devos (LV.Buch), 174 S.. Gedruckt in Deutschland (Westermann Druck GmbH, Zwickau). Keine Angabe zur Herkunft des Papiers.

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