Alles ganz einfach – oder doch nicht?
Heute war Sina Trinkwalder auf Einladung der Grünen Wirtschaft zum Vortrag in Wien. Wir haben uns davor mit der Sozialunternehmerin und streitbaren Autorin getroffen und über einfache Lösungen für komplizierte Probleme und Charity Kolonialismus geredet.
Für Sina Trinkwalder ist alles ganz einfach. Wenn die Welt so funktionieren würde, wie das Dorf ihrer Kindheit und Jugend, dann wäre alles in Ordnung. Sie wuchs in lokaler Selbstversorgung auf, und alles, was es nicht gab, wurde eben im kleinen Supermarkt gekauft. Das waren aber bloß Schokolade, Orangen und Kaffee. Klassische Importware. Brauchte man eher selten. Damit waren die Leute ihrer Kindheit und Jugend zufrieden. Die Welt war damals, vor ungefähr dreißig Jahren, noch in Ordnung. So beginnt der Vortrag der Wirtschafts-Aktivstin. Und mit dieser These endet er letztlich auch: wenn wir alle uns auf das zurückbesinnen, was wir brauchen, und auf die Tricks von Industrie, Handel und Werbung nicht länger hereinfallen, dann entsteht daraus ein globales Wirtschaftssystem, das ökosozial ist und für Interessenausgleich ohne Wachstumsdruck sorgt. Ein recht einfaches Rezept gegen eine ganze Reihe von komplexen Problemen.
Im vergangenen Jahr, erzählt Trinkwalder, war sie im Norden Tansanias, Massai-Land, und sei dort stundenlang durch Sonnenblumenfelder gefahren. Auf Nachfrage erklärte man ihr, die Pflanzen würden dort nicht für die Massai angepflanzt, sondern für belgisches und deutsches Frittenfett. Seither isst Trinkwalder keine Pommes Frittes mehr, sagt sie. Das gefällt ihren Lesern und Zuhörern.
Irgendwie populistisch
Einfache Lösungen auf Fragen anzubieten, die man kaum simpel beantworten kann – das funktioniert gerade bei politischen Parteien fast überall erschreckend erfolgreich – wenn auch mit gänzlich anderen politischen Zielen. In Sina Trinkwalders Buch Fairarscht: Wie Wirtschaft und Handel die Kunden für dumm verkaufen geht es ähnlich zur Sache. Im Klappentext heißt es, es würde im Buch den „blutigen Seiten des Gutmenschenbusiness“ nachgespürt. Das klingt populistisch – ist es auch. Interessante Gedanken finden sich darin trotzdem und ihr Populismus kommt ohne jegliche Hetze aus.
Für die blutigen Seiten des „Gutmenschenbusiness“ liefert Trinkwalder eine Menge Anschauungsmaterial. Da ist zum Beispiel die Sache mit den Toms-Schuhen. Die kennt jeder, seit sie vor ein paar Jahren mal die Hipsterschlappen der Saison waren. Für jedes verkaufte Paar Toms wird auch einem Straßenkind ein Paar Schuhe spendiert. Ein Charity-Gedanke, wie er typisch ist, für unsere heutige Welt mit Cause Related Marketing, das auf menschliche Werte, auf gut erzählbare Geschichten und Projekte setzt. Das Ganze findet Trinkwalder trotzdem ein wenig zynisch. Schließlich bleiben die Schuhe ein Preiswertprodukt aus einer chinesischen Fabrik, das mit horrender Marge verkauft wird. Davon einen winzigen Bruchteil zu spenden, das dann wiederum als Social Entrepreneurship zu deklarieren und sich dafür auch noch von Politik und Konsumenten auf die Schultern klopfen zu lassen – das findet sie verrückt. Da kann man zustimmen. Schließlich bleibt beim Straßenkind nicht mehr hängen als Gratisschuhe. Es entsteht keine Wertschöpfung, kein Empowerment. Durch solches Social Entrepreneurship ändert sich nichts an den Strukturen der Weltwirtschaft. Sina Trinkwalder nennt sowas „Charity-Kolonialismus.“ Den Markt, auf dem uns Konsumenten Produkte mit Charity schmackhaft gemacht werden, nennt sie Gewissens-Markt. Für den sieht sie keine rosige Zukunft:
„Ich glaube, dass die, die mitgemacht haben, und ihn durch Konsum protegiert haben, darüber nachzudenken beginnen werden.“ Sie klingt überzeugt, und hat auch dafür ein Beispiel: „Wenn Pampers damit wirbt, für jede verkaufte Packung eine Impfung in Afrika zu ermöglichen, und man sich dann informiert und feststellt, die Impfung kostet 0,003 Cent, dann denkt man sich: das können die doch auch so zahlen. Dafür muss ich doch jetzt nicht extra diese teuren Pampers kaufen. Ich glaube, dass der Kunde das immer mehr hinterfragt und diese Abhängigkeiten erkennt – auch durch den Journalismus, der immer öfter den Finger in die Wunde legt.“
Die Leute hinterfragen immer mehr
Auch Sina Trinkwalder hat das ethische Weltverbesserungs-Marketing nicht immer kritisch gesehen. Das gibt sie zu. „Bis letztes Jahr stand ich diesem ganzen Charity-Kolonialismus auch noch nicht so kritisch gegenüber. Aber mittlerweile sage ich: Es ist völliger Bullshit, dort unten Plantagen mit Fair Trade zu zertifizieren, die dann von illegalen Leiharbeitern bearbeitet werden. Früher, in den 60er Jahren, da gab es an der Elfenbeinküste ein Kinderlied. In dem Lied hieß es ,Möchtest du ein Haus bauen – mach’s mit Kakao. Möchtest du deine Kinder in die Schule schicken – mach’s mit Kakao.’ Wenn du heute Fair Trade und Bio zertifizierten Super-Duper-Kakao von der Elfenbeinküste abnimmst, ist dem Bauern damit ein Existenzminimum garantiert. Da macht der gar nix mit Kakao, da kann er gerade einmal überleben. An den Strukturen ändert sich durch Fair Trade nichts. Die Strukturen ändern sich hier bei uns, weil sich durch dieses Marketing Menschen die Taschen vollmachen.“
Soll man nun Fair Trade kategorisch meiden? Soll man keine Produkte aus Afrika mehr kaufen? Schwierig. Wenn man bei Sina Trinkwalder nachfragt, ob es nicht vielleicht doch eine Überforderung ist, die Welt beim Einkaufen zu retten, entgegnet sie, dass sie noch nie ein Problem als komplex betrachtet hat, und schiebt nach: „Ich sehe nur ein Problem, und seine Lösung. Fertig, aus. Kompliziert machen es nur irgendwelche Hirne, die an Universitäten theoretisch rumdenken, anstatt raus in die Praxis zu gehen.“
Machen statt grübeln
Dass sie Theorien nicht sonderlich mag, nimmt man ihr ab. Schließlich ist die Studienabbrecherin ja auch in der Praxis zuhause. Sie hatte mal eine Werbeagentur und im bayrischen Augsburg produziert ihr vielfach ausgezeichnetes Unternehmen Manomama Textilien. Ihre Angestellten: Langzeitarbeitslose. Ein unternehmerisches Sozialprojekt, ohne Subventionen, Zuschüsse oder Abhängigkeitsverhältnisse. Und: es funktioniert, schreibt schwarze Zahlen. Darauf ist Sina Trinkwalder stolz. Politiker kommen gerne zu Besuch, sie ist als Vortragsrednerin gefragt. Sie tut Gutes und redet darüber.
Wenn man ihr zuhört, dann bekommt man das Gefühl, man könnte wirklich etwas verändern, wenn man nur will. Beim Einkaufen. Durch Nichtkaufen. Dass es alles so einfach gehen soll, macht gleichzeitig aber ziemlich skeptisch. Schließlich ist man es gewohnt, es zu hinterfragen, wenn einem für die großen Probleme der Menschheit einfache Lösungen angeboten werden. Andererseits: jeder weiß, dass es im Alltag doch verdammt kompliziert ist und einiges verlangt, wirklich jede noch so kleine Konsumentscheidung zu durchdenken und auf ihre Auswirkungen auf das große Ganze kritisch abzuklopfen. Wer macht das schon ständig? Also sind die Lösungen, die sie vorschlägt, letztlich doch nicht so trivial. Das nimmt ihnen etwas den populistischen Zauber – macht sie aber auch zu ernstzunehmenden Antworten.
Mehr über Sina Trinkwalder in Videoform gibt es z.B. hier.