Sieben Stock Dorf: Vom Leben im Wohnprojekt
In „Sieben Stock Dorf“ schildert Barbara Nothegger sehr persönlich wie sie mitten in der Stadt ihren Wohntraum verwirklicht hat – als Teil eines gemeinschaftlichen Wohnprojekts.
Gleich der erste Leser von Barbara Notheggers Buch – ihr Lektor – beschloss nach der Lektüre von „Sieben Stock Dorf“, selbst ein Wohnprojekt zu gründen. Dabei ist die Beschreibung ihrer „Wohnexperimente für eine bessere Zukunft“ (so der Untertitel ihres im Residenz Verlag erschienen Buchs) alles andere als verherrlichend. Streit, Zweifel, enttäuschte Erwartungen vom Leben in einem gemeinschaftlich entwickelten urbanen Wohnraum, all das wird keinesfalls ausgespart. Und doch ist „Sieben Stock Dorf“ vor allem ein Buch über die Freiheit geworden – und über das eigene Wachsen am Projekt Gemeinschaft.
Größtenteils sehr persönlich aus der Perspektive der jungen Frau und Mutter geschildert, garantiert das Buch nicht nur kluge Unterhaltung. Notheggers Ausführungen sind durchwegs selbstkritisch und reflektiert. Immer wieder helfen ausführlich recherchierte Passagen über unterschiedlichste internationale Wohnprojekte (auch gescheiterte!) den Blickwinkel aufs Thema zu erweitern. „So ist das Buch letztlich eine Art Bildungsroman, in dem der konventionelle Traum vom selbstbestimmten Leben eine innovative Verwirklichung findet.“ (Georg Maißer auf der Website der Grünen Bildungswerkstatt)
Wir haben Barbara Nothegger über ihr Buch und die ersten Reaktionen nach dessen Erscheinen befragt.
BIORAMA: Wie kommt man als Wirtschaftsjournalistin mit Spezialisierung auf den Immobilienmarkt ausgerechnet auf die Idee, ein Buch über Wohnprojekte zu verfassen?
Barbara Nothegger: Ich habe sehr lange gesucht, bis ich für mich und meine Familie eine Wohnform gefunden habe, die ich gut fand und mir leisten konnte. Dass ich dabei in einem selbstorganisierten Wohnprojekt gelandet bin, war nicht vorgezeichnet, eher ein Zufall. Bis zu diesem Zeitpunkt habe ich über diese Art des Wohnens recht wenig gewusst. Ich wurde neugierig und wollte wissen, wie sich Menschen in Gemeinschaftshäusern verändern. Da begann ich zu recherchieren.
Letztlich ist dein Buch ein prosaischer Ratgeber. An wen hast du denn beim Schreiben gedacht? Wem soll „Sieben Stock Dorf“ helfen?
Barbara Nothegger: Ich habe an all jene gedacht, die falsche Vorstellungen vom Leben in einem Wohnprojekt haben, seien es positive oder negative. Da schließe ich mich selbst ein. Ich hatte sehr romantische, ja fast naive Bilder im Kopf. Ich treffe auch manchmal Leute, die Wohnprojekte stark mit den Kommunen der 70er Jahren assoziieren, wo die Bewohner sehr eng zusammenleben, oft mit hohen Moralvorstellungen oder spirituellen Zielen. Ich wollte realistisch und ehrlich zeigen, wie sich das Leben in einem Wohnprojekt tatsächlich abspielt.
Dein Buch ist sehr persönlich und liest sich passagenweise richtig packend. In einer Besprechung wurde es gar als „Bildungsroman“ bezeichnet. Jetzt lebst du schon ein paar Jahre im Wohnprojekt Wien. Wie würdest du denn die Entwicklung beschreiben, die du in „Sieben Stock Dorf“ nachzeichnest?
Barbara Nothegger: Die Motivation mich einer Baugruppe anzuschließen war schlicht, eine schöne und erschwingliche Wohnung mit netten Nachbarn zu bekommen. Mir ist in den vergangenen Jahren allerdings bewusst geworden, dass die Art zu wohnen einen Einfluss darauf hat, wie es uns sozial, ökologisch und finanziell als Ganzes geht.
Im Wohnprojekt Wien leben mehr als 50 Erwachsene mit ihren Familien. Mittlerweile werden einige davon dein Buch gelesen haben. Wirst du am Gang oder in der Fahrradgarage darauf angesprochen?
Barbara Nothegger: Ja, immer wieder. Viele meinen, sie würden mich durch das Buch nun besser kennen, weil es sehr persönlich geschrieben ist.
Gibt es auch Reaktionen von Mitbewohnern oder auch von Bewohnern anderer Wohnprojekte, die die Dinge gänzlich anders sehen?
Barbara Nothegger: Manche Nachbarn haben bestimmte, im Buch beschriebene Situationen ganz anders erlebt als ich. Dazu kommt, dass jeder seine eigenen, oft intimen Erwartungen an die Gemeinschaft und damit verknüpft, auch andere Ziele für unser Haus hat. Eine Frage etwa, die uns derzeit stark umtreibt, ist, wie politisch wir als Hausprojekt sein und uns zu aktuellen gesellschaftspolitischen Themen äußern sollen. Ebenfalls kritisch diskutieren wir, inwieweit die Gemeinschaft die individuellen Lebensstile der Bewohner in ökologischer Hinsicht beeinflussen kann und soll. Da gibt es unterschiedliche Meinungen.
Deine Darstellung ist gänzlich unromantisch und ungeschönt. Beim Lesen muss man immer wieder lachen oder sieht auch eigene Vorurteile bestätigt. Denkst du, dass sich manche Leser nach der Lektüre von „Sieben Stock Dorf“ auch abgeschreckt fühlen könnten, sich auf das Projekt Wohnprojekt einzulassen
Barbara Nothegger: Ich kenne Leute, die es gelesen haben und dann zum Schluss gekommen sind, dass Wohnprojekte doch nichts für sie sind. Das finde ich gut. Damit erspare ich manchen Menschen vielleicht eine Enttäuschung.
Was du ausführlich beschreibst sind Zweifel. Gibt es auch heute noch Momente, die dich am Leben im Gemeinschaftsprojekt zweifeln lassen?
Barbara Nothegger: Manchmal schon. Vor allem in Momenten, wo wir lange über ein Thema diskutieren, wie kürzlich über die Ordnung in unseren Gemeinschaftsräumen.
Dein Lektor war von deinen Ausführungen derart begeistert, dass er beschlossen hat, mit seiner Familie eine eigene Wohnprojektgruppe zu starten. Wie ist es dir gegangen als du von seinem Engagement erfahren hast?
Barbara Nothegger: Mir war wirklich mulmig zumute. Dass gleich die erste Person, die das Buch gelesen hat, selbst ein Wohnprojekt gründen will, nährte die Befürchtung, dass ich ein zu idealistisches Bild von Gemeinschaft und Baugruppen gezeichnet hatte. Inzwischen gibt es aber auch andere Reaktionen.
Gleich im allerersten Kapitel schilderst du, was dich auf die Idee brachte, die Art wie du wohnst ganz grundsätzlich in Frage zu stellen: die Freiheit und der Bewegungsradius deiner Kinder. Wie denkst du wird das Wohnprojekt deine beiden Kinder – denen du das Buch gewidmet hast – prägen?
Barbara Nothegger: Im Wohnprojekt wachsen sie wie in einem kleinen Dorf auf. Sogar mein Zweijähriger kennt schon dutzende Bewohnerinnen und Bewohner beim Namen. Ich finde es schön, dass sie mit vielen Menschen unterschiedlicher Herkunft und Altersstufen zu tun haben. Die Kinder nutzen die Gänge und das Treppenhaus zum Spielen, ihr Revier erstreckt sich vom Dach bis in den Keller. Für meine Kinder ist es ganz normal, dass sie einen gewissen sozialen Rückhalt spüren.
Könntest du dir vorstellen, irgendwann wieder „normal“ in einer Wohnung zu leben?
Barbara Nothegger: Ich kann mir zumindest nicht mehr vorstellen, irgendwo anonym zu wohnen. Ich würde immer eine Art von guter Nachbarschaft um mich haben wollen.
Lesung: Am 30. Juli liest Barbara Nothegger im Rahmen des Poolbar Festivals in Feldkirch, Vorarlberg. Im Anschluss gibt es eine Podiums- und Publikumsdiskussion. Eintritt frei. Beginn: 20.30 Uhr.
„Sieben Stock Dorf. Wohnexperimente für eine bessere Zukunft“ ist die erste Veröffentlichung der neuen, im Residenz Verlag erscheinenden, von BIORAMA-Herausgeber Thomas Weber herausgegebenen Buchreihe „Leben auf Sicht“.