Ein Essen für den Waldfrieden

Große Meeresfrüchtemastbetriebe wollen Tangwäldern der Welt eine Atempause zur Erholung verschaffen.

Ein Wald unter Wasser.
Algenwälder unter Wasser leisten einen wichtigen Beitrag zu unserer Atemluft. Bild: Chris Nelson.

Aufforstung ist zentral, um dem Klimawandel zu begegnen und um Sauerstoff für unsere Atemluft zu produzieren. Ein Teil dieser Wälder befindet sich allerdings unter der Wasseroberfläche, vor allem in den Küstengebieten der Meere. Und somit befindet sich dort auch einer der zentralen Kohlenstoffspeicher des Ökosystems Meer, das ingesamt mehr CO2 bindet als die Atmosphäre und die Biosphäre an Land. 
Ein zentraler Bestandteil des maritimen Ökosystems und seiner Kohlenstoffspeicherkapazität sind Tangwälder. Geschätzte 3,4 Mio. Quadratkilometer Tangwälder begrünen den Flachwasserbereich von Felsküsten und sind Lebensraum und Kinderstube vieler Arten, mehr als die neunfache Fläche Deutschlands. 40–60 % der Tangwälder aus vorindustrieller Zeit sind allerdings schrumpfend oder schon verschwunden.

Fressfeinde ohne Fressfeinde


Aufforstungsprojekte gestalten sich hier nicht nur aus technischen Gründen oft komplex. Wie auch an Land setzten steigende Temperaturen den Wald unter Druck und seine Fressfeinde haben zu wenige Gegenspieler. Verwüstung, also das Verschwinden dieser Vegetation, unter Wasser gefährdet das Leben im Meer und an Land. Über den Zustand der Tangwälder wissen wir wenig, in vielen Küstenstaaten gibt es noch kaum Interesse an genaueren Erhebungen zum Algenbewuchs des Meeresbodens. 

Sea Urchin

Seeigel gehören zu den Stachelhäutern – wie auch Seegurken und Seesterne, darunter auch die wichtigsten Fressfeinde der Seeigel. Das Vorkommen von Seeigeln ist daher nicht nur stark von der Algenentwicklung und somit Wassertemperatur und -qualität abhängig, sondern auch von Beständen der Seesterne.

Der Hauptfeind der Tangwälder ist der Seeigel, bestätigt Brian Tsuyoshi Takeda, der für die Suche nach den Igeln in seiner ersten großen Investitionsrunde gleich erfolgreich Kapital von Japans Energieanbieter Eneos und über die Investmentplattform Builders Vision (gegründet vom Walmart-Erben Lukas Walton) aufnehmen konnte. »Überall, wo industrielle Überfischung stattfindet, hat man eine sehr gute Chance, Seeigel und daher auch Wüstenzonen zu finden«, erklärt Takeda, der  sich aber nicht mit dem Finden und Sammeln von Igeln begnügt, sondern nur tätig wird, wenn die ökologischen Gesamtbedingungen stimmen.
2017 hat er das Unternehmen Urchinomics mit Hauptsitz in den Niederlanden gegründet, das inzwischen in Japan, Kanada, den USA und Norwegen tätig ist. Der in Japan geborene selbsterklärte Weltbürger Takeda war ein Jahr zuvor von Kanada nach Norwegen gezogen, als der Tsunami im Jahr 2011 Japan und das Ökosystem vor seiner Küste erschütterte. Die Raubtierpopulationen wurden vom Tsunami stark dezimiert, den Seeigeln hingegen konnte die Flutwelle wenig anhaben. Sie machten sich ohne nennenswerte natürliche Feinde über den Algenwald her, vermehrten sich explosionsartig und sorgten für Meereswüsten.
Der Umstand, dass Seeigel, sobald sie keine Nahrung mehr finden, zwar die Reproduktion einstellen, aber Jahrzehnte weiterleben können, gibt ihnen einen entscheidenden Vorteil. Sie werden für Ihre Feinde – tierische Räuber wie Menschen ohne ihren Rogen unattraktiv als Beute – und schlummern, bis es wieder Nahrung gibt. 

Seeigel bevölkern weltweit die Meere, rund 950 Seeigelarten sind bekannt. Bereits 2013 hat eine Studie nachgewiesen, dass die Versauerung der Ozeane nicht nur ihre Skelette beeinträchtigt, sondern ihren gesamten Stoffwechsel.

Die Idee, aus der Lösung dieses Problems ein Geschäftsmodell zu entwickeln und ins Aquakulturbusiness einzusteigen, um die Seeigel loszuwerden, hatte der Firmengründer (mit betriebswirtschaftlichem, aber ohne naturwissenschaftlichem Hintergrund) angeblich eher zufällig, weil ihn die in Norwegen hoch entwickelte Aquakultur faszinierte, wie er erzählt. 
Es sollte sich für Takeda schnell herausstellen, dass das Problem ein weit globaleres war, als er angenommen hatte und die Gründe dafür, dass Seeigel Meeresgegenden verwüsten können, in einem komplexen System zu finden sind, das ihren natürlichen Feinden zusetzt. In Kalifornien etwa hatte die Forschung bereits Ende der 1950er-Jahre nicht nur versucht, die Gründe für Schwankungen im Zustand der Kelpwälder zu identifizieren, sondern auch schon über gezielte Eingriffe in die Population der Seeigel nachgedacht. In den 2010er-Jahren wurden – vermutlich unterstützt durch einige Jahre extremer El-Niño-Strömungen und insofern wärmerer Wasser – große Teile der kalifornischen Kelpwälder zu Wüstenzonen gefressen. Begonnen hat das Ungleichgewicht hier aber spätestens mit dem massenhaften Töten von Fischottern Ende des 19. Jahrhunderts durch Pelzjäger – die Otter waren wichtige Seeigelfresser.

Versauerung betrifft zunächst kalkskelettbildende Lebewesen, deren Fähigkeit, Exo- bzw. Endoskelette zu bilden, bei sinkendem pH-Wert nachlässt.  

Dass Seeigel in vielen Weltgegenden zu wenige natürliche Feinde haben, ist häufig auf menschliches Verhalten zurückzuführen. Takeda will nun mit seinem Unternehmen dafür sorgen, dass der Mensch im großen Stil als Fressfeind der Seeigel einspringt. 

CO2-Kompensationsprogramme zur Finanzierung von Waldschutzinitiativen gibt es seit den 1990er-Jahren. Die Aufnahme von Meeres-Aufforstungsprojekten oder Meeresschutzprojekten in diese Programme hat erst 20 Jahre später begonnen. Bild: Niva.

Handgesammelt für die Igelranch

Er holt im Gegensatz zu den Fischern der Wildfang-Seeigel die schlummernden »leeren« Seeigel aus dem Meer, mästet sie zehn Wochen lang (ohne tierische Proteine) und verkauft sie um 400-500 US-Dollar pro Kilogramm. Seine erste für den kommerziellen Zweck installierte Ranch in Nagato, in der westjapanischen Präfektur Yamaguchi, soll so 34 Tonnen Seeigelgonaden jährlich produzieren. Die Entfernung von 1400–1500 Kilogramm ermöglicht das Wiederentstehen von 1 Hektar Tangwald. 24 Hektar Tangwald rechnet sich Urchinomics daher aus mit einer Farm an einem der sorgfältig ausgewählten Standorte pro Jahr restaurieren zu können. Dieses von den Vereinten Nationen im Rahmen ihrer Ozeandekade (2021–2030) unterstützte Vorhaben hat auch das weltweit erste »Voluntary Blue Carbon«-Zertifikat zur Restaurierung von Tangwäldern erhalten. Wobei freiwillig hier ausdrückt, dass die Zertifikate nicht zum Offsetting von CO2-Emissionen gehandelt werden können – sprich um Zertifikate zuzukaufen, weil gesetzlich vorgeschriebene CO2-Emissionsmengen überschritten werden – sondern nur für freiwillige CO2-Kompensation, etwa von Unternehmen, die zu ihrer »Klimaneutralität« beitragen und dies bewerben möchten.

»Ich glaube daran, dass Kapitalismus, wenn wir es richtig machen, ein starker Antrieb für Veränderung zum Bessern sein kann.«

Brian Tsuyoshi Takeda, Unternehmer

Nicht überall stehen die Chancen für eine Regeneration des Unterwasserwaldes noch gut – Anfragen aus Griechenland etwa habe man bisher zurückgereiht. Es wird hart nach Erfolgsperspektive entschieden – aber nach ökologischer. Der ökonomische Erfolg ist ohnehin garantiert, glaubt man dem Firmengründer: Die Nachfrage sei in verrückte Höhen geschnellt und die Preise würden seit zwölf Jahren jährlich zweistellig steigen. Das Angebot an »wilden« Seeigeln sinkt gleichzeitig, weil viele Gegenden schon verwüstet sind und häufig nur mehr »leere« Seeigel im Schlummermodus zu finden sind. »Meistens verursacht Produktion negative Auswirkungen für die Natur. Je mehr wir produzieren und verkaufen, desto besser geht es der Umwelt«, schwärmt Takeda. »Plötzlich wollen alle die leeren Seeigel für uns aus dem Meer holen und an uns verkaufen. Wir verwandeln Abfall in Gold. Ich glaube daran, dass Kapitalismus, wenn wir es richtig machen, ein starker Antrieb für Veränderung zum Bessern sein kann.« Sobald die Algenwälder zurückkommen, kommen auch die Fische zurück, essen die Larven der Seeigel und es entsteht ein Gleichgewicht, das sich wieder selbst regulieren kann, so der Grundgedanke. 
Klar ist aber: Ohne ein Ende der Überfischung der Meere wird die Wiederherstellung nicht gelingen. Wer seinen Hunger auf den Geschmack des Meeres statt durch Fisch auch durch Seeigel zu stillen versuchen möchte, findet Uni der Preiseinstiegsklasse von den europäischen Küsten. 

Hier findest du mehr über Seeigel und ihre Ernte, wie auch über die Küche mit Uni und auch mit Algen.

BIORAMA #84

Dieser Artikel ist im BIORAMA #84 erschienen

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