Sechs Thesen über die neue Arbeitswelt
Machen wir uns nichts vor: Die Krise ist ein Dauerzustand. Die Sozialsysteme sind angezählt. Ob der europäische Arbeitsmarkt ganz zusammenwächst oder komplett auseinanderfällt, weiß niemand zu prophezeien. Machen wir uns also besser daran, in den Wirren der neuen Arbeitswelt Normalität zu finden.
Es gibt vermutlich verschiedene Wege zum Glück, aber hoffentlich nicht mehr als zwei! Wie soll man sich denn sonst entscheiden? Die Wahl des Lebensabschnittspartners, des Lebensstils, oder des Berufes muss sich irgendwie zwingend anfühlen. Schließlich will man zumindest vor sich selbst authentisch wirken. Aber wie kommt man in den wichtigen Fragen zu den richtigen Antworten?
»Handle immer so, dass deine Möglichkeiten mehr und nicht weniger werden«, hat mir mein Vater nach der Matura mit auf den Weg gegeben. Aber wie soll das denn bitte gehen? Allein die Studienwahl reduziert die Möglichkeiten von unendlich auf eine gefühlt niedrige einstellige Zahl. Vielleicht müsste man in der kriselnden und sinnarmen Postmoderne das ganze Leben mal wieder etwas marxistischer sehen: Menschen treffen unter den jeweiligen gesellschaftlichen Bedingungen bestimmte Entscheidungen eher und andere Entscheidungen eher nicht. Jede Zeit bietet dabei andere Möglichkeiten und Glück bedeutet von Epoche zu Epoche etwas Unterschiedliches. Das letzte große Glücksversprechen lag bis Ende der 90er Jahre in den Begriffen Identität und Individualität. Heute ist »Individualität« nur noch das, was in den Stellenausschreibungen von vor 50 Jahren »Ordnung und Reinlichkeit« waren: eine notwendige Grundkompetenz.
Worin in der neuen Arbeitswelt zukünftig Sinn und Ziel liegen soll, wird sich noch zeigen müssen. Was aber Arbeit in Zukunft ausmachen wird, das lässt sich in zunehmendem Maße schon jetzt erfahren – besonders in den schicken jungen Dienstleistungsberufen.
Stellen wir uns vor …
1 //»Was ist der Lohn unserer Arbeit?«
These: Arbeit wird entweder mit Geld und Sicherheit bezahlt oder mit Anerkennung, Identifikation und Chancen. Beides gleichzeitig gibt es kaum.
… wir arbeiten ein paar Monate bei einer großen Tageszeitung in Berlin, für ein paar Cent pro Zeile. Da kommt nicht viel zusammen, nicht mal bei vielen Zeilen. Am Ende eines Monats sind es vielleicht 90 Euro. Berlin ist billig, aber so billig ist Berlin nicht. Die Zeitung hat eine gute Reputation. Am Ende haben wir einige lange Artikel untergebracht; gute Referenzen. Für die Zeitung in Berlin wäre es ein bisschen peinlich, wenn sich herumspräche, dass sie sich solche Texte von jungen und schlecht bezahlten Kids schreiben lässt, aber für uns ist es super.
Geld verdienen wir aber mit anderen Jobs. Werbetexten für Unternehmen, zum Beispiel. Nichts worauf man stolz ist, nichts worunter man seinen Namen schreibt, aber es zahlt die Miete und Bier und Zigaretten, die darüber hinweg helfen, dass es mit der Identität nicht so einfach ist wie mit der Arbeitswelt.
Würden wir einfach in einer der Bars arbeiten, in denen sich unsere Freunde ihr Leben finanzieren, könnten wir 300 Euro am Abend verdienen; bar auf die Hand. Ließen wir uns in einer Textagentur anstellen und schrieben dort mehr Unternehmenstexte, würden wir 2.000 Euro im Monat verdienen. Deutlich weniger als in der Bar, aber deutlich mehr als bei der Zeitung. Dafür wäre Schluss mit den Ambitionen vom Weltruhm oder zumindest mit der Identität durch Arbeit.
2 //»Werden wir über die Dauer unseres Arbeitslebens unsere Profession laufend wechseln?«
These: Immer spezialisierteren Ausbildungen steht die Forderung nach immer flexibleren Arbeitsbiografien gegenüber. Das widerspricht sich.
… wir legen uns fest: Lieber ein qualifizierter Job als ein bezahlter. Aber legt sich unser Job auch auf uns fest? In ein paar Jahren wird es fast nur noch Akademiker geben. »Nur noch Häuptlinge und keine Indianer«, hätte Opa gesagt. Das darf man nicht so eng sehen, sagt die EU-Kommission. »Lebenslanges Lernen ist jetzt voll angesagt«, findet die nämlich. Man muss nur flexibel sein, sich immer auf dem Laufenden halten und neugierig bleiben. Im Prinzip ist das ja selbstverständlich. Weil wir alle unser Hobby zum Beruf gemacht haben müssen. Sonst wäre es ja keine individuelle Berufswahl. Der Bachelor soll dafür ein Grundstudium sein und der Master eine Spezialisierung, die ganz auf unsere Interessen eingeht. Das Land braucht nämlich Spezialisten, denn es wird ja alles immer komplexer. Das Diplomstudium war viel zu allgemein, da haben alle nur Zeit verschwendet, aber konnten am Ende nichts wirklich. Die Zeit der Universalgelehrten ist schon lange vorbei. Wir werden jetzt nicht mehr einfach Maschinenbauer, sondern Prozesstechniker für die Automatisierung in der Textilindustrie. Naja, aber mit 45 zu Airbus als Turbinenbauer wechseln, das werden wir damit nicht mehr.
Ein fader Beigeschmack bleibt also. Irgendwie klang das mit dem lebenslangen Lernen von Anfang an weniger danach, mal Investmentbanker, mal Designer und dann mal wieder Musiker zu sein, sondern danach, Sinologie studiert zu haben und jetzt ganz flexibel Klohäuschen zu bewachen. So richtig haut das jedenfalls nicht hin mit der Flexibilität, trotz der flexiblen neuen Studiengänge.
3 //»Können wir Arbeits- und Freizeit noch trennen?«
These: Einfach nur Geld zu verdienen ist verpönt. Leidenschaft für den Job wird zur Voraussetzung. Die Trennung von Freizeit und Arbeitszeit löst sich dadurch auf.
… Erfüllung durch Arbeit finden wir, weil wir unsere Leidenschaft zum Beruf machen. Sollten wir nach der Schule partout noch immer keine Leidenschaft gefunden haben, dann hat sie die Berufsberatung aus uns herausgequetscht.
Also sind wir jetzt Marketingmanager bei einem Snowboard-Hersteller. Wir haben schließlich unsere Jugend im Funpark eines Osttiroler Skigebiets verbracht. Eigentlich haben alle Kinder aus dem Dorf die Saisonkarte umsonst bekommen, aber das weiß in der Hauptstadt ja keiner. Egal, bei keinem anderen Job konnten wir im Vorstellungsgespräch mit der individuellen Biografie argumentieren.
Bei der Snowboard-Firma kommen alle erst gegen 9.30 Uhr ins Büro. Es gibt Gleitzeit. Gibt es Neuschnee, gehen wir alle auf den Berg, kommen erst gegen mittags ins Büro und bleiben dafür länger. Wer Mitte des Winters keine knackige Bräune im Gesicht hat, wird schon ein bisschen schief angeschaut. Eigentlich arbeiten alle immer etwas länger, denn es geht ja jeden Tag etwas später los. Abends fahren wir noch in einigen Boardshops im Bezirk vorbei, denn die setzen die Richtlinien zur Schaufensterdekoration nie richtig um. Gegen 22 Uhr geht es im Winter noch kurz für zwei Stunden zu den Partys, bei der alle Boarder sind. Dann ins Bett. Manchmal rufen auch um vier Uhr morgens die Jungs vom Headquarter in den USA an. Die haben das nicht so raus mit der Zeitverschiebung. Dann ist Skype-Konferenz mit allen Regionalmanagern weltweit angesagt. Das sind zirka 40 Leute, daher dauern die Konferenzen oft etwas länger. Aber wir sind eine große Familie und es ist total wichtig, dass alle allen alles sagen können. Anstrengend ist das schon, aber wir haben eben unser Hobby zum Beruf gemacht und fangen dafür morgens ja auch erst ziemlich spät mit der Arbeit an.
4 // »Was ist unser Kapital als Arbeitskraft?«
These: Als Arbeitskraft beruht unser Kapital immer weniger auf einer produktiven Leistung und immer öfter auf einem Mythos der Kreativität.
… den Job als Account-Manager bei einer internationalen Werbeagentur haben wir bekommen, weil wir als Studenten ein paar ziemlich angesagte Jute-Taschen entworfen und verkauft haben. Die anderen Bewerber waren nur Schwimmlehrer oder Tutor an der Uni. Außerdem sprechen wir vier Sprachen fließend, während die anderen nur drei Sprachen sprechen. Eigentlich ist das aber egal, denn auf den wenigen internationalen Meetings der Agentur geht es nur darum, wie wir unser Markenprofil gegenüber den Kunden schärfen. Das, was wir verkaufen, sind nämlich vor allem Slogans, die unsere Texter in ihrer Landessprache texten und Logos, die unsere Grafiker immer gleich aussehen lassen. Irgendeiner der Texter findet immer irgendeinen passenden Slogan. Die Grafiker könnten zwar etwas entwerfen, das so aussieht, wie alles, was gerade hip ist, aber sie bleiben immer unter diesem Level. Den Kunden ist »hip« meistens zu riskant. Also machen wir im Grunde etwas, das alle anderen Agenturen genauso gut könnten.
Auf der Website unserer Unit wird unser Team vorgestellt. Da steht: »Inga ist der Feuerball im Team. Die Extremsportlerin und Basejumperin ist für feurige Slogans und energiegeladene Texte zuständig. Inga kitzelt das Knistern aus dem Kern eurer Marke«, oder: »Peer ist unser Virtuose an der Adobe Suite. Bevor wir ihn zu uns holen konnten, hat er in Japan Atomkraftwerke mit Szenen aus dem Ersten Weltkrieg übermalt«, oder so.
5// »Lassen sich Konsum und existenzielle Unsicherheit vereinen?«
These: Niedrige Lohnnebenkosten und hoher Binnenkonsum sollen vor der Rückkehr der Krise schützen. Die fixen Tarife von Ärzten, Lehrern und Metallern lassen sich aber nur langsam nachjustieren. Die Arbeitskräfte in kaum regulierten jungen Dienstleistungsberufen sind flexibler.
… Krise ist. Wir sind leider erst 2009 ins Arbeitsleben eingestiegen. Krise war seitdem immer. Besonders schlimm fanden wir es bis jetzt nicht in der Krise, kennen es ja aber auch nicht anders. Für ein neues MacBook reicht es, nach Barcelona fliegen, mit unseren besten Freunden in einer Erwachsenen-WG 500-Euro-Zimmer bewohnen und jeden Abend in der Lieblings-Bar trinken geht auch.
Ok, ein paar Sachen gehen nicht. Die Steuer sollte lieber nicht nachfragen, wie das genau läuft mit den Rechnungen. Die Krankenversicherung ist irgendwie hingemogelt – »studentisch selbstversichert«. Aber für 250 Euro im Monat richtig versichern? Wie soll das gehen? Pensionsversicherung? Das wäre ja bescheuert. Bis wir mit 85 ins Renteneintrittsalter kommen, gibt es die Rentenversicherung gar nicht mehr. Würden alle Berufseinsteiger 50 Prozent ihres unregelmäßigen Einkommens in das Sozialsystem pumpen, wer kauft dann die MacBooks, den Fair-Trade-Kaffee und die Bio-Cotton-T-Shirts?
6 //»Gibt es noch ein Recht auf Heimat?«
These: Der Markt ist schnell, die Arbeitswelt wandelt sich rasant. Für Menschen aber kennt die Geschwindigkeit des Wandels Grenzen.
… wir sind ausgelernter Zimmermannsgeselle. Jetzt erstmal zehn Jahre arbeiten, dann vielleicht auf Vaters Grundstück, neben dem Elternhaus im Burgenland, den Eigenheimtraum wahrmachen. Mit 27 wäre es soweit. Haus, Frau, Kinder, alles super. Nur, auch am Land sind die Zeiten schwierig. Der Meister wollte uns nach der Lehre nicht übernehmen. Dann noch die ganzen billigen Ostarbeiter. Gut, gesehen haben wir die noch nicht, aber der Politiker sagt, dass sie es sind, die unsere Jobs haben. Und jetzt? Nach Tirol gehen, wo sie Zimmermänner suchen? Gastarbeiter im eigenen Land sein? Oder gar in die Schweiz? Und was macht dann die Freiwillige Feuerwehr ohne uns? Die Wiener sagen, wir in den Bundesländern wären verklemmte konservative Provinzler und sollen dahin, wo die Arbeit ist. Na gut, wenn man Anwalt oder Arzt werden wollte, wäre das verständlich. Das geht hier eben nicht. Aber zuhause zu bleiben, um Giebel für Dächer zu zimmern, muss doch möglich sein. So jemanden braucht man doch überall, auch im Burgenland. Gibt es in der globalisierten Welt kein Recht mehr auf Heimat? Ist Heimat nur noch dort, wo die Arbeit ist?
Ad Personam
Yannick Gotthardt (geb. 1986) ist freier Journalist und Autor in Wien. Mit der neuen Arbeitswelt kennt er sich also aus. Er hat es sich selbst so ausgesucht und beschwert sich eigentlich nur selten.
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