Schmetterlinge im Bauch
Biodiversität vom Berg ins Glas – wer Terroir verkauft, soll es auch schützen.
Auf der ganzen Welt werden Weinflaschen von Bienen oder deren natürlichen Fressfeinden geziert, Vulkan- und Schiefergestein dienen als Namensgeber für große Cuvées. Erfolgreich wird die Herkunft betont, ein Geschmacksversprechen in Aussicht gestellt und vor allem die Naturverbundenheit der abgefüllten Tropfen suggeriert. »Terroir« verkauft sich, und zwar richtig gut! Ein Begriff wurde zur Marketingstrategie. Was steckt dahinter?
Nacht- und Tagestemperaturen, Niederschlagsverteilung, Sonnenstunden, Hangneigung und Bodenbeschaffenheit sind nur eine Auswahl klassischer Terroir-Kriterien. Wie steht es um die Verantwortung des Weinbauern, der Weinbäuerin und die Biodiversität am Weinberg – ist ihre Einflussnahme und das Leben auf, unter und über den Böden nicht auch wesentlicher Bestandteil des Terroirs? »Die Kunst der WinzerInnen besteht darin, Standort wie Reb(sort)e zu begreifen und aus diesem Verständnis heraus ihr eigenes Handeln abzuleiten.« Dann erst könne von einem Terroir-Verständnis gesprochen werden, meint der Biologe Wilfried Hartl vom Forschungsinstitut Bioforschung Austria.
Das Leben über der Erde (ge)zählt
Schmetterlinge sind wichtige Bestäuber und als Insekten bedeutender Teil der Nahrungskette. Insbesondere Tagfalter reagieren sehr empfindlich auf Umweltfaktoren und fungieren somit als sensibler Bioindikator unserer Ökosysteme.
Gemäß einem Biodiversitäts-Monitoring aus den Jahren 2008–2010, durchgeführt in Weingärten, Obstanlagen und Naturschutzgebieten der Tschechischen Republik, liegen die Hauptgründe für das Verschwinden von Schmetterlingen aus unseren Weingärten in der Anwendung von nichtselektiven chemischen Insektiziden und dem Mangel an Artenreichtum in den Weingärten selbst.
»Jedes Tier im Weingarten ist eine Verlebendigung, selbst Wildverbiss an meinen Reben und ein Ausbleiben vieler Tiere in den Gärten meiner Nachbarn sind ein genuines Qualitätssiegel für meine Arbeit«, lautet gar der Zugang von Michael Gindl. Der Weinbauer bewirtschaftet seine Weinberge in Hohenruppersdorf im Weinviertel (Niederösterreich) biodynamisch – und zwar Demeter-zertifiziert.
Was bringt Bio der Diversität?
Mit Stand 2016 wurden laut Bio Austria in der Europäischen Union 293.000 Hektar Weinanbaufläche biologisch bewirtschaftet, das entspricht einem Anteil von 7,3 %, Tendenz steigend. Deutschland lag mit seinem Wert im europäischen Mittel, Österreich mit 12,5 % etwas darüber. WinzerInnen-Verbünde wie Ecovin sind bestrebt, diesen Anteil stetig zu erhöhen.
Ein Team rund um Milan Hluchy, Präsident von Ekovín Tschechien, und Eva Erhart, Institutsleiterin der Bioforschung Austria, hat sich im Rahmen des Projekts »Naturschutz durch Ökologisierung im Weinbau – ECOWIN CZ-AT« das Ziel gesetzt, vor allem die nicht schädlichen Tagfalter zurück in die Weingärten Südmährens und Wiens zu holen. Ein eigens entwickelter Begrünungs-Mix aus rasch wachsenden wie auch zwei- und mehrjährigen Arten sollte sich als wertvolle Futterbepflanzung für die Schmetterlinge bewähren.
Der Traubenwickler, ein für die Blütenknospen und Beeren äußerst schädlicher Nachtfalter, konnte – unter Verzicht auf chemische Insektizide – mittels selektiver Verwirrmethode erfolgreich von seiner Vermehrung abgehalten werden. Hierfür werden die Pheromone des Traubenwicklerweibchens großzügig im Weingarten ausgebracht, was zur Verwirrung bei den Männchen und einer vergeblichen Partnersuche führt.
2019 wurde das Schmetterlings-Monitoring, zehn Jahre nach der Implementierung dieser beiden Methoden, in denselben Weingärten wiederholt. Es zeigte sich in allen ökologisch bewirtschafteten Weingärten im Schnitt eine 30-prozentige Erhöhung der Schmetterlings-Biodiversität.
Gesetz des Bodens
Einen Nachweis darüber, wie prägend etwa Mikroben (z. B. Bakterien, Viren, Pilze) im Boden des Weinbergs für den Rebstock und die Trauben sind, haben ForscherInnen vom Argonne National Laboratory im US-Bundesstatt Illinois im Jahr 2015 geliefert. Anhand von Erbgutanalysen an Merlot-Rebstöcken unterschiedlicher Lagen konnte eine vom Boden ausgehende Bakterienbesiedelung auf Wurzeln, Blättern, Blüten und Trauben nachgewiesen werden.
Wo Weingärten durch vergleichsweise intensive Bodenbearbeitung über Jahrzehnte hinweg ausgelaugt und ihrer Biodiversität beraubt wurden, droht nicht nur sukzessive Bodenerosion, sondern stehen die WeinmacherInnen vor einem weiteren Dilemma. Um ihren vielleicht schädlingsfreien, aber in dieser Hinsicht ihres Terroirs beraubten Trauben noch etwas Leben einhauchen zu können, bleibt ihnen für den Moment keine andere Wahl, als im Keller alle Register der Kellertechnik zu ziehen.
Bauern, Alchemistinnen und der Frühling
Welchen Einfluss Hefe während und nach Beendigung des Gärprozesses auf den Geschmack von Wein nimmt, das zeigt uns die breite Palette von am Markt verfügbaren Reinzucht- bzw. Aromahefen. Sowohl im (lebendigen) Weingarten als auch im Keller finden wir natürlich vorkommende Hefepilze, die nur darauf warten, Zucker in Alkohol zu verwandeln. Wer es mit dem Terroir wirklich ernst meint, schenkt diesen Mitbewohnern etwas mehr Vertrauen.
Terroir und Kellertechnik – gehören diese Dinge zusammen? Kommt drauf an … In bestimmten Regionen – allen voran in Frankreich – kam die Weinkultur früher zur Blüte als in anderen und somit wurden manche Methoden typisch für deren Herkunftsregion. Viele dieser technischen und stilistischen Errungenschaften gilt es dankbar zu bewahren, manche zu überdenken – Geschmackssache. Mit regionsspezifischem »Terroir« haben sie angesichts ihrer beliebigen Kopierbarkeit nur noch selten zu tun.
Terroir-Betonung bedeutet: zur Geltung bringen, was da ist. Und der Schutz dessen – der Biodiversität – als Maxime setzt in letzter Konsequenz auch Biodynamik als Bewirtschaftungsphilosophie voraus. »Die Umstellung auf biodynamische Bewirtschaftung hat zuerst im Kopf und in weiterer Folge im Boden, an den Pflanzen, in der Familie und zuletzt auch bei den KonsumentInnen zu erfolgen«, betont Wilfried Hartl.
Eine nur minimalinvasive – den Geschmack des Weingartens konservierende – Arbeit im Keller ist für viele längst die logische Schlussfolgerung daraus. Immer mehr WinzerInnen haben das Selbstbewusstsein, sich wieder vermehrt als Bauern und LandschaftspflegerInnen, weniger als AlchemistInnen zu sehen.
Die gustatorische Wahrnehmung ist ein Zusammenspiel von mehreren Sinneswahrnehmungen und uns nur ansatzweise in die Wiege gelegt. Zu einem Großteil sind es individuelle Erfahrungen, die darüber entscheiden, was schmeckt und was nicht. Ob Kohlsprossen, Glutamat-Nudeln oder Wein: Geschmack wird gelehrt, gelernt und entwickelt sich. Es verlangt – gerade beim anspruchsvollen und kontroversiellen Themenkomplex Wein – auch von KonsumentInnen etwas Mut, sich von vermeintlich sicheren Pfaden verabschieden zu können. »Es ist das Ende der Welt«, sagt die Raupe. »Es ist der Anfang einer neuen«, sagt der Schmetterling.
BIORAMA #66