Sauen mit Sendern

In den Donau-Auen wird erforscht, wie die Zukunft der Jagd aussehen könnte – zum Beispiel mit Nachtsichtgeräten oder Fallen. Ein Besuch bei den Saufängern von Eckartsau.

(Foto: Andreas Daim / BOKU)

Zwei Dachse bereiten Andreas Daim derzeit schlaflose Nächte. Zehn Mal pro Nacht weckt ihn das Telefon – »Das ist eine Vorübung für unseren Nachwuchs, sagt meine Freundin« – und sendet dem Wildbiologen eine Schwarz-Weiß-Aufnahme live aus dem Nationalpark. Dort hat er auf den Flächen der Bundesforste, mitten im Auwald, eine selbst konstruierte Falle aufgestellt.

Ob deren im Boden unter Blätterwerk versteckte Stahlnetze blitzschnell hochgezogen werden, entscheidet er aus dem Bett anhand der von der Wildkamera geschickten Aufnahme. Meist ist es eben einer der beiden Dachse, der falschen Alarm auslöst. Oder ein umherstreifender Fuchs, ein hungriger Hase, Hirsch oder ein Eichelhäher, der sich an der Futterstelle labt.

Abgesehen hat es Daim ausschließlich auf Wildschweine. Ist eines davon oder gleich eine ganze Rotte von Sauen zu sehen, wird er aktiv. Lässt die Netze, die sonst in Zoos Menschen von Tigern trennen, hochschnellen, zieht sich an, fährt hinaus in die Au. Dort trifft er Paul Korn, seinen ebenfalls alarmierten Verbündeten, der für die Bundesforste in Eckartsau fürs Wildtiermanagement zuständig ist. »Wir sind lautlos, eingespielt und reden nix«, beschreibt Korn, was dann passiert. Behutsam werden die Tiere eines nach dem anderen in einen engen Triebkanal gelotst, rasch mit zur Beruhigung zugedeckten Augen begutachtet, auf Alter, Geschlecht und Gewicht geschätzt und schließlich vor dem Freilassen mit einem langlebigen kleinen Ohrmarkensender ausgestattet.

Klein, leicht und günstig: Der Ohrmarkensender begleitet die Sauen ihr restliches Leben lang. (Foto: Andreas Daim)

Das Ganze ist für die beiden nicht ganz ungefährlich. Im Wald draußen ist es dunkel, ausgewachsene Tiere haben messerscharfe Hauer und jedes reagiert anders in solch einer Stresssituation. »Manche Sauen laufen weg, manche vollziehen im Netz einen Scheinangriff.« Verletzungen gab es bei insgesamt 22 besenderten Schweinen bislang keine, weder bei Mensch noch beim Tier. 200 Wildschweine sollen bis 2021 insgesamt besendert worden sein (»also relativ viele«, so Daim), sie sollen Daten liefern und vielfältige Rückschlüsse auf das Verhalten der Tiere möglich machen. Wie viel Schwarzwild insgesamt hier lebt – das Gebiet erstreckt sich mit seinen 10.000 Hektar über eine Länge von 30 Kilometern –, lässt sich nicht mit Sicherheit sagen. »Mit 200 Sauen mit Sendern werden wir vorsichtig gesagt insgesamt wohl ein Zehntel der Tiere erfasst haben«, schätzt Korn.

Wie Keiler ziehen

Damit die gesammelten Daten auch wirklich aussagekräftig sind, haben die beiden rund um den Nationalpark insgesamt 50 Antennen montiert – auf Windrädern in Petronell ebenso wie auf Lagerhaus-Türmen, auf Schloss Eckartsau, am Dach von Schloss Orth sowie fünf solarbetriebene Baumantennen –, die im Halbminutentakt den Aufenthaltsort der Ohrmarken aufzeichnen. »Drei Antennen wären eigentlich ausreichend, aber je mehr Antennen, desto präziser lässt sich der Standort wirklich bestimmen«, sagt Andreas Daim, der auf die ursprünglich für die Logistikbranche entwickelte Technik aufmerksam wurde, nachdem sie in Afrika geholfen hatte, die Wilderei auf Nashörner zu bekämpfen.

In Niederösterreich soll ihr Einsatz vielfältige Einsichten und Einblicke in das Leben des intelligenten Allesfressers Sus scrofa bringen. »Wenn die Frischlinge groß und alt genug sind, dann besendern wir auch ganze Rotten und erhoffen uns dadurch Erkenntnisse darüber, wann die Jungtiere ihre Mutter verlassen oder wie Keiler ziehen«, erzählt Paul Korn. Auch wohin die Tiere beim alljährlichen Hochwasser weichen, wie weit sich ihre Streifgebiete erstrecken und wie weit hinaus sie aus dem Nationalpark wandern, wollen die Forscher ergründen.

Was bringt ein Nachtsichtgerät?

Von besonderem Interesse ist aber, wie sich das Schwarzwild in den unterschiedlichen Zonen des Nationalparks verhält. Denn in Österreichs Nationalparks wird zwar nicht gejagt. Schwarzwild und Rotwild wird aber mangels natürlicher Feinde sehr wohl reguliert (von August bis Jänner).

Beobachtet werden soll nun, ob und wie besenderte Sauen durch unterschiedliche Regulierungsmethoden ihr Verhalten anpassen. Dazu gibt es neben einem Wildruhegebiet, in welchem keinerlei Regulierung stattfindet, ein Gebiet, in dem zur Regulierung der seit 1. Jänner 2019 gestattete Schalldämpfer verwendet wird. Und eines, in welchem die Regulierung mittels Nachtsichtgerät passieren soll. Für den Einsatz von Letzterem ist noch eine Gesetzesänderung erforderlich. Denn obgleich Nachtsichtgeräte illegal vereinzelt im Einsatz sind, bleiben sie verboten – und insgesamt umstritten. »Die Befürchtung des Gesetzgebers ist, dass die 24/7-Bejagung, die durch eine generelle Freigabe von Nachtsichtgerät möglich wäre, den Tieren Stress bereitet, weil sie gar nicht zur Ruhe kommen«, so Korn. »Um wissenschaftlich arbeiten zu können und eine Faktenbasis für eine künftige Entscheidung zu schaffen, brauchen wir aber eine Jagdrechtsnovelle, die Ausnahmen für solche Projekte zulässt.«

Auch das Institut für Meteorologie der Universität für Bodenkultur (BOKU) ist in das Projekt eingebunden. Dort hat man drei Sensoren gebaut, welche die Nachthelligkeit erfassen. »Unsere These ist, dass die Tiere bei hellen Nächten scheuer werden, weil sie gelernt haben, dass Gefahr besteht«, erklärt Andreas Daim. »Das liefert wichtige Information für einen künftig möglichen Einsatz von Nachtsichtgeräten, weil der Landwirtschaft dann in Neumondnächten eher Schäden auf Äckern und Feldern entstehen.«

Paul Korn (inks) und Andreas Daim vor ihrer selbstkonstruierten Sauenfalle. (Foto: Thomas Weber)

Vielerorts wünschen sich Bäuerinnen und Bauern einen Einsatz von Nachtsichtgeräten, denn das Wildschwein gehört weltweit zu den großen Gewinnern des Klimawandels, es vermehrt sich explosionsartig und ist als hochintelligentes Tier schwer zu jagen. Paul Korn erwartet sich vom kombinierten Einsatz von Schalldämpfer und Nachtsichtgerät »eine eher tiergerechte Jagd, weil das Wild durch den Schalldämpfer Ruhe hat und ich es als Jäger mit dem Nachtsichtgerät sicher und sauber ansprechen kann«. Das könnte – ein anderer Forschungsschwerpunkt – zur Folge haben, dass Wild wieder tagaktiv wird. »Das gemeinsame Interesse ist also: Der Nationalpark möchte erlebbares Wild, das seine BesucherInnen auch zu Gesicht bekommen«, so der Bundesforste-Forscher.

Effizienz durch Fallenfang

Das von der Forschungsförderungsgesellschaft (FFG) finanzierte Projekt – es hört auf den sperrigen Titel »Einflüsse der Jagd mit Nachtsichtzielgeräten und Schalldämpfern auf das Raum-Zeit-Verhalten bei Schwarzwild« – wird zwar von vielen Kooperationspartnern getragen. Neben Daims federführendem BOKU-Institut für Wildbiologie und Jagdwirtschaft, den Bundesforsten und dem Nationalpark sind mit der MA49 Forstverwaltung Lobau auch die Stadt Wien und der Niederösterreichische Landesjagdverband involviert. Letzterer könnte mit einem nicht unwesentlichen Detail künftig aber wenig Freude haben: dem Fallenfang von Wildschweinen. Die von Daim und Korn entwickelte Netzfalle ist günstig, dürfte demnächst als Patent eingereicht werden – und hat sich bereits als überaus effizient bewährt. Fallenfang gilt der Jägerschaft nicht als Jagd. Das bestätigt auch Paul Korn: »Der Fallenfang ist schwer umstritten innerhalb der Jägerschaft. Aber so viel ist klar: Bei den zunehmenden Problemen mit Schwarzwild wird man das auch offen diskutieren müssen.« Durchaus denkbar also, dass der eine oder die andere BerufsjägerIn sich in naher Zukunft auch als Fallensteller betätigt. Zumindest diese Diskussion lässt Andreas Daim aber ruhig schlafen.

Die Sauenfallen sind günstig, mobil und leicht aufzustellen. (Foto: Andreas Daim)

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