Die Kultur des Reparierens ist auch ein Geschäft

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Bild: R.U.S.Z.

Das Wiener Reparatur- und Service-Zentrum, kurz: R.U.S.Z., agiert seit ein paar Jahren sowohl als Verein wie als GmbH. Unfreiwillig zwar, erklärt Sepp Eisenriegler. Letztlich liegt das aber vor allem am großen Erfolg der von ihm begründeten sozialökonomischen Institution, die Langzeitarbeitslose zu Spitzentechnikern ausbildet.

BIORAMA: Das R.U.S.Z. gibt es als Verein seit 1998. 2011 haben Sie auch eine Gesellschaft mit beschränkter Haftung gegründet. Warum?

Eisenriegler: 2007, also nach exakt 10 Jahren als sozialökonomischer Betrieb hat uns das AMS als Auftraggeber mitgeteilt, dass es seine Strategie ändert und wir nicht mehr beauftragt werden – weil wir bei der Übernahme der von uns zugebuchten und ausgebildeten Langzeitsarbeitslosen zu selektiv waren. Wir hätten ohne Auswahl alle nehmen müssen, ein Drittel einsparen und die Leute nicht mehr 12, sondern nur noch sechs Monate behalten dürfen. Und das obwohl wir konstant und rekordverdächtig mehr als 70 Prozent aller Arbeitslosen wieder in Dienstverhältnisse vermittelt hatten. In sechs Monaten kann ich aber niemanden entschulden – worum ich mich kümmere –, ich kann niemandem Deutsch lernen – ich brauch ja Techniker, die im Bedarfsfall einem Kunden auch erklären können, was sie gerade getan haben – und ich kann ohne Selektion Leute ohne Vorqualifikation binnen sechs Monaten unmöglich lernen, wie er Waschmaschinen, Geschirrspüler und anderes technisches Gerät repariert. Also haben wir uns vom monopolistischen Auftraggeber AMS verabschiedet, ich hab das Risiko auf mich genommen und das R.U.S.Z. privatisiert.

Was war dabei die größte Schwierigkeit?

Vor allem die Bewusstseinsbildung und der Umstand, dass die Arbeit bei Reparaturleistungen durch die Abgabenquote extrem teuer ist. Unsere Konkurrenz ist ja kein Mitbewerber, sondern Media-Saturn, der durch doppelte Ausbeutung – zuerst der Rohstoffe und Ressourcen, dann durch Billigst-Arbeitskräfte in Fernost – unglaublich billig neue Produkte anbieten kann. Das scheint alles unglaublich billig, spiegelt aber keine ökologischen oder sozialen Realitäten wider. Die von Konzernen selbst in gesättigten Märkten vorgeschriebenen Umsatz- und Profit-Zuwachsraten lassen sich ja nur durch absurde Verschrottungsprämien als Kaufanreize oder durch geplante Obsoleszenz erreichen, also durch Produkte, die geplanterweise bald kaputt gehen und nicht repariert werden können. Dagegen kämpfen wir an.

Bild: R.U.S.Z.

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Wie kann man sich diesen Kampf konkret vorstellen?

Wir haben zum Beispiel ein Waschmaschinen-Tuning entwickelt, um Altgeräte auf neue Energieeffizienz-Standards aufzurüsten. So haben wir es geschafft, alte Waschmaschinen auf Energieeffizienzlevel A zu heben, obwohl sie eigentlich C oder D wären und den Wasserverbrauch um 30 Prozent gesenkt. Gemeinsam mit dem Austrian Standards Institute (ASI) haben wir eine Norm erabeitet, die alle Weiß- und Braunware anhand von 93 Kriterien auf ihre Langlebigkeit und Reparierbarkeit hin bewertet. Ab Herbst bieten wir als Produktdienstleistung in Wien und Umgebung das Service „Saubere Wäsche“ an. Kunden kaufen keine Waschmaschine, sondern mieten eine. Störungen werden binnen spätestens drei Tagen behoben, notfalls ausgetauscht. Wir kümmern uns um die Wartung, kommen einmal im Jahr fürs Waschmaschinen-Pickerl vorbei – um gröbere Schäden zu vermeiden. Wir tragen das Risiko und bieten Convenience und Information. Viel Energie und Kosten kann ich ja auch ohne A+++ Maschine sparen, etwa indem ich mit niedrigen Temperaturen wasche, Wäsche beim Aufhängen in Form ziehe und mir dadurch das Bügeln, einen Trockner und einen Luftbefeuchter erspare oder auch auf Weichspüler verzichte.

Wir sind außerdem sehr gut vernetzt. Im Jahr 2000 haben wir das europäische Netzwerk für sozialwirtschaftliche Aktivitäten im Re-Use- und Recycling-Sektor gegründet und treten seither als „Lobbyisten der richtigen Seite“ auf. Die Politiker sind froh, dass es endlich ein Gegengewicht zu den Industrie-Lobbyisten gibt. Wir haben geschafft, dass mittlerweile geregelt ist, wie ein Produkt vom Abfall zum Produkt veredelt werden kann. Wir arbeiten auch bewusst nicht mit dem Begriff „Second Hand“. Bei uns geht es um „Second Life“-Produkte, das ist etwas Edleres. Wir picken uns aus Altem die Rosinen heraus und können so zum Beispiel eine zehn Jahre alte Miele-Waschmaschine zum Preis eine Wegwerfwaschmaschine aus dem Mediamarkt anbieten. Nur dass die Alte deutlich langlebiger ist.

Was sind denn die Vorteile eines Vereins, welches die Vorzüge des Unternehmertums?

Da auch beim Verein der Kredit und damit die Haftungsfrage an meine Person geknüpft ist, bietet ein Verein mittlerweile wenige Vorteile. Sowohl beim Verein wie auch in der GmbH fühlen wir uns der Gemeinwohlökonomie verpflichtet, das heißt, dass uns der ökologische und der soziale Zweck wichtiger ist als der Profit. Wir wirtschaften zwar positiv, haben aber sicher noch ein paar Jahre Kredite zurückzuzahlen. Ein Verein zu sein, ist in der Zusammenarbeit mit öffentlichen Körperschaften kein Nachteil, manchmal sogar von Vorteil. Dafür wirst du in der Geschäftswelt als Unternehmen viel ernster genommen. Das ist aber eher eine emotionale Sache als eine tatsächliche.

Laut Website wickelt die GmbH das Reparatur- und Servicegeschäft ab. Ist bei Projekten immer klar, welche Aktivitäten wo landen?

Ja, es gibt R.U.S.Z. als Dachmarke und darunter den Verein, die GmbH und RUSZ Consult – letzteres ist ein Einzelunternehmen von mir und eher vernachlässigbar. Die GmbH wickelt das gesamte operative Geschäft ab. Der Verein ist die Entwicklungs- und Abwicklunsagentur – über ihn laufen auch alle geförderten Projekte, etwa mit der EU und dem Lebensministerium. Diese Aufteilung hat sich bewährt.

Sie bilden Langzeitarbeitslose zu Spitzentechnikern aus. Reparatur wird seitens der Herstellerkonzerne und auch seitens vieler Elektriker nicht gerade forciert. Gäbe es ohne die Einrichtung des Reparaturnetzwerks diese Arbeitsplätze von Spitzentechnikern überhaupt?

Ich glaube nicht, ehrlich gesagt. Ich will keinesfalls präpotent wirken, aber unsere große Leistung ist es ja, dass wir Reparatur-Know-how in die heutige Zeit holen und auch bewahren. Wenn du heute jemanden rufst, um eine Waschmaschine oder einen Geschirrspüler reparieren zu lassen, ist das ja fast immer eine Katastrophe! Die Leute kennen sich nicht aus. Und die Reparatur ist weitgehend zum Teiletausch geworden – was alles deutlich teurer macht.

Bild: R.U.S.Z.

Bild: R.U.S.Z.

Was sind erfahrungsgemäß die größten Schwierigkeiten in der Zusammenarbeit mit Langzeitarbeitslosen?

Früher haben wir ja „nur“ Leute vermittelt. Heute brauche ich Techniker, die mit Kunden kommunizieren können. Deutschkenntnisse sind also von Vorteil. Lohnpfändung bereitet mir keine Freude, weil sie mir buchhalterischen Aufwand bedeutet – weshalb ich schaue, dass ich den Leuten ihre Schulden reguliere. Oft müssen sie sich wieder an Arbeitstugenden gewöhnen, d.h. pünktliche erscheinen, acht Stunden konzentriert und möglichst eigenständig arbeiten können. Sie sollen tunlichst ohne Drogenbeeinflussung erscheinen und durchhalten bis sie wieder gehen, d.h. sie können nicht mehr so viel saufen, kiffen oder was auch immer. Eine Erfahrung ist dabei ganz klar: Du musst die Leute bei ihren Stärken abholen und nicht permanent versuchen, ihre Schwächen auszumerzen, sonst wird alles schwerer als notwendig. Wir haben eine familiäre Arbeitsatmosphäre, ich verfolge eine Open-door-Policy. Nur, dass wir das Genderproblem nicht lösen können, finde ich schade. 90 Prozent meiner Leute sind Männer. Die wenigen Damen haben‘s oft aus körperlichen Gründen nicht geschafft. Mechatroniker ist ein klassischer Männerberuf.

Sie sind jetzt 62, da verabschieden sich viele Menschen bereits Schritt für Schritt in den Ruhestand. Gibt es schon einen Nachfolger?

Ich habe auch privat einen Kredit laufen bis ich 72 bin und außerdem zu wenig Dienstjahre, um in Pension zu gehen, weil ich, sagen wir einmal: „sehr gründlich studiert habe“. Ich kann es mir aber auch nicht vorstellen, von heute auf morgen zu Hause zu bleiben. Ich hab‘ noch so viel vor. Aber ja, ich versuche auch gerade zwei Nachfolger aufzubauen. Bis ich wirklich aufhöre, möchte ich aber die „Kultur der Reparatur“ abgesichert wissen. 15 RUSZ-Filialen wären schön bis dahin. Wir experimentieren ja auch gerade mit einem Social-Franchise.

DAS GESCHÄFTSMODELL

Gewinn gibt es keinen, weil Kredite für Investitionen abbezahlt werden, sagt Sepp Eisenriegler. Unter der Dachmarke R.U.S.Z. (bestehend aus Verein und GmbH) werden 21 Mitarbeiter beschäftigt. Gemeinsam setzt man knapp über eine Million Euro im Jahr um. Als sozialwirtschaftlicher Betrieb bildet das R.U.S.Z. Langzeitsarbeitslose zu Technikern aus, die Produkte reparieren und upcyclen. Die GmbH finanziert sich ausschließlich durch angebotene Dienstleistungen und verkaufte Produkte, der Verein auch durch Förderungen. Ziel ist es im Verein über Projektförderungen Produkte und Dienstleistungen zu entwickeln, die – so sie sich bewähren – ins operative Geschäft der GmbH übernommen werden. Innovationen wie die Initialkosten eines Waschmaschinen-Wartungsservice sollen künftig über Crowdfunding möglich werden.

 

Das Interview mit Sepp Eisenriegler ist die ungekürzte Fassung eines Texts, der im departure White Paper zum Thema „Social Entrepreneurship“ erschienen ist. Anlässlich des Förder-Calls der Wirtschaftsagentur Wien zu eben diesem Thema stellt das White Paper spannende Social Businesses aus Wien, Pioniere der Sozialwirtschaft und auch internationale Best-practice-Beispiele vor. Der Fokus liegt auf der nachhaltigen Lösung von sozialen Herausforderungen durch Impulsgeberinnen und Impulsgeber der Kreativwirtschaft. Der Call „Social Entrepreneurship“ wie auch das White Paper werden am Dienstag, den 2. Juni (18 Uhr) im Impact Hub Vienna (Wien 7, Lindengasse 56) präsentiert.

 

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