Rot, blond oder schwalbenbäuchig
Vergangenes Wochenende fand die dritte Lesersafari zum Archehof der Familie Wiesner statt. Der „Schlachttag“ hat in der Szene kaum jemanden ungerührt lassen. Wer dabei war, hat darüber erzählt. Im Freundeskreis oder in den Magazinen. Von der Wienerin bis Ö1. Warum eigentlich? Den traditionellen Sautanz bieten mittlerweile ja auch einige Gastronomen an. Da muss es also noch was anderes geben.
Beginnen wir beim Lebensentwurf von Isabell und Christoph Wiesner, den Bauern. Was die Beiden sich und ihren vier Kindern in Wischathal geschaffen haben, ist für viele urban people schlicht unvorstellbar und vielleicht gerade deshalb so faszinierend. Die Familie lebt in einem Refugium für alte Nutztierrassen, baut deren Futter selbst an und verarbeitet auch das Fleisch der eigenen Tiere. Für den Eigenbedarf natürlich. Aber darauf komme ich noch. Doch trotz aller Bodenständigkeit und Rustikalität, die an diesem Archehof zu spüren ist, stehen die sechs mit beiden Beinen im 21. Jahrhundert. Aktive Facebook-Accounts, ein Dolby-Surround-Multimedia-Homekino sind für die Kids genauso selbstverständlich wie ihre Verantwortung für die Gänse, Pferde, Puten und Hendln.
Mittlerweile gelten die Wiesners als Kapazitäten für Mangalitza-Schweine. Nicht nur in Österreich. Sie exportieren rote, blonde und schwalbenbäuchige Zuchtschweine sowie das Wissen, was mit den Tieren anzufangen ist, und die Liste der Länder ist lang. Von den USA bis in die Ukraine stehen die Nachkommen aus ihrer Herde und schlachten und verarbeiten Züchter, Bauern und Köche nach gründlichem Training mit Isabell und Christoph.
Für die Lesersafaris hat sich mittlerweile ein ganz bestimmter Ablauf etabliert. Nach diesem Schema lief auch die BIORAMA Lesersafari #5 (die dritte am Archehof) ab: Eintrudeln der Teilnehmer zwischen 8 und halb 9. Und noch vor dem Start die ersten Abenteuer. In Wien angebliches Schneechaos. Tatsächlich lagen ungefähr 30 cm Schnee in Wischathal. So viel wie schon knapp 20 Jahre nicht mehr. Keine Chance, die Hofauffahrt aufrechten Ganges hinaufzugehen. Vom Rauffahren mit dem Auto ganz zu schweigen. Erster Programmpunkt: Vorstellung der Familie und des Betriebs. Dann eine kurze Vorstellrunde der Besucher. Es ist saukalt, die Runde ist aber unvermeidlich. Nichts fürchten die Wiesners im Moment mehr als „Schläfer“ in den Reihen der Teilnehmer. Schlachten dürfen sie nämlich daheim. Allerdings nur für ihren eigenen Bedarf. Für Christoph Wiesner ist klar, dass seine Tiere qualitativ um Kategorien besser sind, als die begutachteten Schweine im AMA-System. Seine Tiere leben im Wald. Wenn nicht gerade eine Lesersafari oder eine ähnliche Veranstaltung stattfindet, schlachtet Christoph die Schweine direkt in der Herde. Der Transportweg zum Schlachthaus (und der damit verbundene Stress der Tiere) fällt dadurch komplett weg. Das Paradoxe an dieser Situation ist, dass die amtlichen Tierärzte und Lebensmittelkontrolleure das natürlich auch wissen, aufgrund der entsprechenden Regelungen aber oft gegen ihre Überzeugung handeln müssen.
Zwischen Körpereinsatz und stummer Tätigkeit
Zurück zur Safari. Die Wiesners lassen sich von den Teilnehmern unterschreiben, dass sie zwar beim Schlachten, Zerlegen und Zubereiten zuschauen dürfen. Essen darf aber niemand was. Alle unterschreiben schmunzelnd. Christoph erklärt die Funktion des Schlachtschussapparates, zeigt es einmal an einem Stück Eichenholz und lässt dann ein paar Teilnehmer zum Schuss kommen. Am Holz natürlich. Die Sau schießt er lieber selber.
Mit dem Bolzen wird das Schwein erst einmal betäubt. Das eigentliche Schlachten erfolgt durch einen gezielten Stich in ein Blutgefäß. Das Tier – heute ein rotes Mangalitza – zuckt noch ein wenig während Christoph auf ihm kniet und mit dem Vorderlauf das letzte Blut aus dem Körper pumpt. Blitzschnell ist Isabell an seiner Seite. Das frische Blut wird in einer Schüssel aufgefangen und muss sofort mit der Hand aufgerührt werden. Passiert das nicht, stockt das Blut und ist für die Blunzn unbrauchbar. Danach wird die Sau recht flott enthaart, gewaschen, geputzt und schließlich zum Ausnehmen und Grobzerteilen aufgehängt. Hier ist Wiesner wieder in seinem Element. Mit beeindruckender Präzision schneidet er den Schlachtkörper auf und beginnt zu erklären. Fett, Gebärmutter, Nieren, Milz (sieht aus wie eine große Zunge, ist es aber nicht!), wieder Fett. Manchmal verstummt er. Dann hat er das Messer im Mund und arbeitet mit beiden Händen im Schwein. „Andere würden das Messer während dessen irgendwo in den Schweinekörper stecken. Dafür ist mir aber der Muskel zu schade.“, bringt er seine Philosophie auf den Punkt. HACCP hin oder her.
In der warmen Küche
Im Anschluß daran geht es in die Küche. Die bietet erstaunlicherweise 20 Leuten locker Platz und der Reigen beginnt. Gebackenes Hirn, Milzschnitten, kurz gebratene Nierndln, sensationelles Beuschl, süße Schmerstangerl und als Krönung geschmorte Schulter und Schlußbraten. Die drei Dinge sind es, die die BIORAMA Lesersafari zu einem Erlebnis machen. Ein außergewöhnliches Lebenskonzept, eine außergewöhnliche Tierrasse, die die Wiesners in den Mittelpunkt ihres Schaffens gestellt haben und außergewöhnliche Gerichte, die von Isabell und den Teilnehmern zubereitet werden. So spannend, daSS es weitergehen wird. Termine in Kürze.