Rindfleisch: Zurückverfolgt zum Ursprung

Wie transparent ist die Herkunft von Lebensmitteln? Wir haben den Test gemacht und Rindfleisch vom Discounter bis in den Stall zurückverfolgt. 

Bei Lebensmitteln ist Transparenz wichtig. Das spürt man immer spätestens dann, wenn wieder einmal ein Lebensmittelskandal den Blick darauf lenkt, welchen Weg unsere Nahrung nimmt, bevor wir sie in einem perfekt beleuchteten Supermarktregal finden. Was kann ein interessierter und bewusster Konsument eigentlich über Produkte in Erfahrungen bringen? Das wollten wir wissen.

In einer Wiener Supermarktfiliale kaufen wir Fleisch. Zwei mal frisch und aus dem Kühlregal, zwei mal vom Rind, zwei mal aus Österreich. Das erste Produkt: Rindsgulasch Fleisch geschnitten. Kilopreis: 9,98 Euro. Das Vergleichsprodukt: Weiderind Rinder Gustowürfel. Kilopreis: 19,99 Euro. Auf beiden Verpackungen klebt ein Etikett mit Infos zur Herkunft. Das muss so sein. Denn schon seit dem 1. April 2002 muss auf Rindfleisch, das in der EU verkauft wird, eine Herkunftsbezeichnung aufgedruckt werden. Es sei denn, das Fleisch wird in verarbeiteter Form oder unverpackt verkauft, also zum Beispiel als Tiefkühlschnitzel oder in der Gastronomie. So wird auf frischem Fleisch aus dem Supermarkt angegeben, wo die verarbeiteten Tiere aufgezogen und geschlachtet wurden. Für die genaue Rückverfolgbarkeit sorgt eine sogenannte Partie- oder Chargennummer.

Am 24.1. kaufen wir in einer Wiener Hofer-Filiale diese beiden Packungen Fleisch. Mit dem Auto geht es direkt zum Bio-Bauer. (Bild: Michael Mazohl)

Die Chargennummer ist auf beiden Vergleichsprodukten schnell gefunden. Beim günstigeren Fleisch ist gleich daneben ein QR-Code aufgedruckt. Scannt man ihn mit dem Smartphone, führt er schnell und noch im Geschäft zur Website frischfleisch.at. Die Seite soll Aufschluss über die Herkunft des Rindfleischs geben. Betrieben wird die Seite von der Grazer Norbert Marcher GmbH. Der Marktführer vertreibt Fleisch unter verschiedenen Markennamen und verarbeitet nach eigenen Angaben jährlich das Fleisch von 110.000 Rindern und 800.000 Schweinen. Von welchem Hof das gekaufte Fleisch stammt, verrät die Website nicht genau. Dort sieht man lediglich eine Österreich-Karte, auf der Teile Niederösterreichs, des Burgenlands, Kärntens und die komplette Steiermark dunkelgrün eingefärbt sind. Von hier könnte das Fleisch stammen. Zerlegt wurde es in den Villacher Walcher Fleischwerken.

Das Biofleisch verrät mehr über seine Herkunft. Auf der Verpackung ist neben der Partienummer der Name des Bauern angegeben. Michael Janker, 3203 Rabenstein an der Pielach. Also setzen wir uns ins Auto und fahren ins Mostviertel. Im verschneiten Rabenstein ist der Hof von Michael Janker nach einer Nachfrage im örtlichen Bioladen schnell gefunden. Als wir ihr das Fleisch präsentieren, das wenige Stunden zuvor in einer Wiener Supermarktfiliale gekauft wurde, ist die Tochter des Hauses ziemlich überrascht. Sofort wird ein Handyfoto gemacht.

Auf dem Hof der Familie Janker treffen wir die Tochter des Hauses und die Großmutter. Die beiden führen uns spontan durch den Betrieb. (Bild: Michael Mazohl)

Weidehaltung

Rund vierzig Rinder werden auf dem Hof der Familie Janker in einem offenen Stall gehalten. Das heißt: Die Tiere können jederzeit ins Freie um frisches Weidegras zu fressen. Im Winter bekommen die Tiere nichts anderes zu fressen als Heu. „Ich bin silagefrei,“ erklärt Michael Janker. Weidehaltung nennt man das und nur diese Form der Haltung erlaubt es, das Fleisch im Handel als Bio-Weiderind zu vermarkten. Die Jankers führen ihren Hof schon seit über zwanzig Jahren als Biobetrieb. „Es wird ja immer wieder behauptet, die Welt könnte nicht durch Bio-Landwirtschaft ernährt werden. Das kann ich mir nicht vorstellen, wenn ich gleichzeitig höre, dass ein Drittel der Lebensmittel weggeworfen wird. Lebensmittel sind meiner Meinung nach zu billig” erklärt Janker seine landwirtschaftliche Überzeugung. Seit er den Hof von seinen Eltern übernommen hat, führt er ihn nicht mehr als Vollerwerbs-Landwirt. Im Hauptberuf arbeitet er als Installateur, seine Frau arbeitet für eine Bank. In Summe kommt dadurch einiges an Arbeit zusammen: „Im Schnitt arbeite ich für den Betrieb wohl mehr als 40 Stunden pro Woche. Aber man macht die Arbeit ja nur, weil man sie gern macht.“ Die Einnahmen aus der Landwirtschaft fließen zum Großteil zurück in den Betrieb. Anders sind Investitionen in moderne Technik kaum möglich. Das Heu wird in Jankers Kuhstall automatisch vom darüber liegenden Speicher hinab zu den Tieren transportiert. Und auch das Ausmisten passiert automatisiert. „Nur durch diese zeitsparenden Entlastungen lässt sich der Hof in der Form betreiben. Das kostet natürlich Geld,“ erklärt der Landwirt. „Unser Betrieb ist schon recht bequem.“

Im Pielachtal betreibt die Familie Janker seit Jahrzehnten Bio-Rinderhaltung. (Bild: Michael Mazohl)

Alle paar Wochen werden einige der Jungrinder vom Hof Janker abgeholt. Für ein Tier von 280 bis 320 Kilogramm erhält der Landwirt zwischen 1.500 und 1.600 Euro. Dann geht es per Lebendtiertransport ins 100 Kilometer entfernte Unterweißenstein zur Firma Sonnberg Biofleisch. Der Schlachtbetrieb ist auf der Verpackung ebenfalls angegeben.

Auf die Nummer kommt es an

In Unterweißenstein steht Manfred Huber in einem modernen Gebäude zwischen Rinderhälften, die an Fleischerhaken vom Fördersystem herabhängen und erklärt seine Unternehmens-Philosophie. Der Geschäftsführer von Sonnberg Biofleisch hat den Betrieb in den vergangenen Jahren zu einem großen Player im Handel mit Fleisch aus ökologischer Landwirtschaft gemacht. Damit ist er in der Region kein Exot, denn im Mühlviertel wird rund ein Drittel der Höfe nach Bio-Kriterien bewirtschaftet. Huber erklärt, wie es möglich ist, dass auf einer Packung Kurzbratfleisch aus dem Kühlregal die Adresse des Kuhstalls angegeben wird: „Die Einzeltierzerlegung ermöglicht die Zurückverfolgung.“ Jedes Tier trägt eine Nummer am Ohr. In der Verarbeitung wird die Nummer als Schlachtkörperetikett direkt aufs Fleisch gepinnt. Letztlich ermöglicht es diese Nummer, dass auf dem fertig verpackten Produkt der Bauernhof und die Ortschaft aufgedruckt werden können. In der konventionellen – also Nicht-Bioproduktion – werden nicht einzelne Fleischteile, sondern Chargen nummeriert. So kann nach der Zerteilung nicht mehr das einzelne Tier oder der einzelne Bauernhof, sondern nur noch ein Gebiet ermittelt werden. Hubers Offenheit ist in der Fleischbranche nicht unbedingt eine Selbstverständlichkeit.

Nach knapp zwei Stunden und 120 km erreicht ein Lebendtiertransport aus Rabenstein an der Pielach die Firma Sonnberg Biofleisch. Geschäftsführer Manfred Huber ist Quereinsteiger – erlernt hat er den Beruf des Textiltechnikers. (Bild: Michael Mazohl)

Die Branche hat nicht den besten Ruf. Die intensive Tierhaltung und die weltweit rasant wachsende Nachfrage nach billigem Fleisch verursachen hohe Umweltkosten, gehen zulasten des Tierwohls und schaffen an vielen Stellen eine Konkurrenz von Lebensmittel- und Futtermittelproduktion. Dass immer mehr Fleisch durch immer weniger große Player des Lebensmitteleinzelhandels vermarktet wird, unterwirft ein traditionsreiches Handwerk einem rasanten Strukturwandel. Das hat Folgen, auch für die Beschäftigten in der Fleischbranche. Vor allem die deutsche Fleischbranche mit ihren riesigen, exportorientierten Schlachtbetrieben sorgte in den letzten Jahren für immensen Preisdruck in Europa. Durch geringe Lohnkosten für die zahlreichen Beschäftigten aus Polen, Bulgarien und Ungarn konnten die deutschen Großschlachter zwischenzeitlich gewaltige Preisvorteile gegenüber den Schlachtern aus anderen EU-Staaten erreichen. Das haben auch österreichische Betriebe und Beschäftigte gespürt. Laut Österreichischem Gewerkschaftsbund hat sich der Preisdruck für Beschäftigte in österreichischen Schlachthöfen zum Beispiel darin niedergeschlagen, dass Überstunden nicht vergütet wurden, oder dass Urlaubs- und Weihnachtsgeld nicht ausbezahlt wurde. Schichtarbeit, unbezahlte Überstunden, unvereinbarte Wochenendarbeit – darüber klagen auch User, die auf einer Online-Bewertungsplattform für Arbeigeber angeben, ehemalige Mitarbeiter der Walcher Fleischwerke zu sein. In Vielen Betrieben wurden außerdem Facharbeiter durch ungelernte Kräfte ersetzt. Die Einführung des Mindestlohns in Deutschland hat die Situation zuletzt allerdings entspannt. Am unattraktiven Image der Fleischbranche hat sich jedoch wenig geändert. „Dass jemand von sich aus Fleischer wird, das ist heutzutage schon sehr selten,“ weiß auch Manfred Huber zu berichten.

Basis der Zurückverfolgbarkeit von Bio-Rindfleisch ist das sogenannte Schlachtkörperetikett. (Bild: Michael Mazohl)

Betriebsrat „in Diskussion“

In Unterweißenbach setzt man nicht zuletzt deshalb auf Transparenz, und zwar im wahrsten Sinne des Wortes. „Gläserne Produktion“ bedeutet hier: große Fenster, Offenheit gegenüber Besuchern und interessierten Nachfragen. Obendrauf gibt es einen Schaubetrieb namens „Bio-Wurst-Erlebnis“. Inklusive „Speckhimmel“ und „Kuhglockenrondell“. Ob Tiere und Mitarbeiter gleichermaßen von der transparenten und ökologischen Produktionsweise profitieren, wollen wir wissen. Die „Top-Leute“ unter den über 70 Mitarbeitern an zwei Produktionsstandorten in Unterweißenbach würden zwischen 1.600 und 2.300 Euro Netto verdienen, erklärt Huber. Ungelernte kämen auf 1.200 bis 1.600 Euro Nettogehalt. Einen Betriebsrat hat das Unternehmen nicht. „Dafür sind wir einfach zu schnell gewachsen“, meint Huber. Mit dem örtlichen Bauunternehmer hat er sich allerdings schon darüber ausgetauscht, wie es sich mit einem Betriebsrat zusammenarbeiten lässt. „Die arbeiten sehr gut zusammen. Es muss nur für beide Seiten passen,“ meint er.

KonsumentInnen entscheiden

Die transparente Produktion von Lebensmitteln – es gibt sie. Wer bereit ist, etwas tiefer ins Portemonnaie zu greifen, der kann auch beim Discounter Produkte kaufen, deren Produzenten bereit sind, sich auf die Finger schauen zu lassen. Damit einher geht auch ein Qualitätsversprechen. Was für Fleisch gilt, gilt in ähnlicher Weise auch für Eier und Milchprodukte. Und auch bei Obst und Gemüse bestimmen die Verbraucher mit, welche Form der Landwirtschaft sie mit ihrer Wahl im Supermarkt unterstützen. In der Produktion von Lebensmitteln gibt es zwei Modelle, die miteinander konkurrieren. Die kleinteilige, bäuerliche Landwirtschaft – heute meist mit Bio-Zertifikat; und die industrielle Landwirtschaft, die unter immensem Effizienzdruck arbeitet, zulasten der Transparenz, oft zulasten der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer und zulasten von Landwirten, die den Weg des schnellen Wachstums nicht mitgehen wollen oder können. Landwirt Michael Janker bringt den Einfluss der Verbraucherinnen und Verbraucher in dieser Situation auf eine simple Formel: „ Was im Regal liegt, entscheidet der Konsument.


Dieser Artikel entstand in Kooperation mit Arbeit & Wirtschaft, dem Magazin von Arbeiterkammer und Österreichischem Gewerkschaftsbund.

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