Buchrezension: »Die biodynamische Bewegung und Demeter in der NS-Zeit«

Vorgelesen für alle, die sich mit einem wenig beachteten Zeitraum der Agrargeschichte des 20. Jahrhunderts beschäftigen wollen.

»Die biodynamische Bewegung und Demeter in der NS-Zeit«
Bild: LV Buch.

Zu Pfingsten jährte sich »der landwirtschaftliche Kurs in Koberwitz« zum 100. Mal, auf den sich Demeter-Betriebe in aller Welt gerne berufen. Schlesische Bauern hatten Rudolf Steiner, damals längst vom Gründer zum Guru der Anthroposophie geworden, ins heutige Polen geladen, wo er in acht Vorträgen über die »Geisteswissenschaftlichen Grundlagen zum Gedeihen der Landwirtschaft« sprach. Ein Jahr vor seinem Tod hegte Steiner damit die Grundgedanken für die biodynamische Landwirtschaft ein, welche die heutige Biolandwirtschaft maßgeblich beeinflussten. Demeter wurde zur globalen Biomarke. Wie aber verhielten sich die AkteurInnen der biodynamischen Landwirtschaft in der Zeit des Nationalsozialismus? Vorliegende Untersuchung bietet eine differenzierte Betrachtung. Nationalsozialismus wie Biodynamie speisen sich aus der Lebensreformbewegung des 19. Jahrhunderts und haben einige Gemeinsamkeiten (die antimoderne Haltung, die Ablehnung des Kapitalismus). Dennoch wurde die Anthroposophie von den Nazis als »Geheimlehre von undeutschem Geiste« bekämpft. Auch auf Schloss Koberwitz hatte man 1924 Wachschutz organisiert, weil man mit nationalsozialistischen Angriffen rechnete. Dennoch gab es ab den 1930er-Jahren personelle Überschneidungen. Die biodynamische Bewegung erachtete NSDAP-Mitglieder in ihren Reihen als einflussreiche Verbündete, um ihre Bodenschutzideen salonfähig zu machen. Rudolf Heß beispielsweise, der Stellvertreter Hitlers, war Anhänger des biodynamischen Landbaus. Hier wird der Studienband auch über seine Bedeutung der historischen Aufarbeitung hinaus interessant: wenn er den bis in die Gegenwart anhaltenden agrarpolitischen Richtungsstreit zwischen Antimoderne (Nische) und technokratischer Rationalität (Mainstream) zeigt. Auch die NS-Elite war hier gespalten. Innerhalb der NSDAP existierten »modernste Rationalität und Romantisierung bäuerlicher Werte nebeneinander«, schreiben die AutorInnen. Auch wenn Heß nicht verhindern konnte, dass der biodynamische Reichsverband 1941 verboten wurde, ließ er in den KZs Dachau, Ravensbrück und Mauthausen diesbezügliche Anbaumethoden erproben. Die Mehrzahl der biodynamischen AkteurInnen beschreiben Ebert, Zur Nieden und Pieschel als für die Gesamtbevölkerung repräsentative Mitläufer, die als kleine Rädchen dazu beitrugen, die Diktatur am Laufen zu halten.

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Das Cover von »Die biodynamische Bewegung und Demeter in der NS-Zeit«

Jens Ebert, Susanne zur Nieden, Meggi Pieschel, »Die biodynamische Bewegung und Demeter in der NS-Zeit«, Metropol, 2024. | € 34

BIORAMA #93

Dieser Artikel ist im BIORAMA #93 erschienen

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