Revolution im Biergarten
Die Jungen, die brauen sich was! Während sich die konformen Mainstream-Brauereien um Marktanteile kümmern, gärt es an der Basis. Junge Brauer bringen wieder handwerkliche Biere und gehen wirtschaftlich neue Wege.
Schon vor 20 Jahren kursierte ein beliebter Witz unter europäischen Bierliebhabern: »Worin gleichen sich amerikanisches Bier und Sex auf einem Ruderboot? – Both fucking close to water!« Während man auf die Geschmacklosigkeit der großen amerikanischen Marken aus Übersee anspielen wollte, brauten abseits der Lagerbiere von Miller, Budweiser und Coors schon diverse Micro-Breweries exzellente Biere. Wie später auch in Deutschland und Österreich die Gasthausbrauereien, fokussierte man anfänglich vor allem auf gängige und bekannte Sorten wie Lager, Weißbier oder saisonales wie Bockbier.
Craft Beer steht für handwerkliches Brauen
Erst vor wenigen Jahren entwickelte sich hier eine neue Szene. Kleine, feine Brauereien, die ihre Biere in minimalen Chargen handwerklich brauen. Statt Extrakten wurde wieder frischer Hopfen verwendet. Braumeister trauten sich zu experimentieren und orientierten sich an ihren eigenen Vorlieben statt am Einheitsgeschmack der Supermarktbiere. Craft Beer heißt der Trend und kommt aus den Vereinigten Staaten. Dort hat sich eine gewaltige Szene entwickelt, die nun langsam auch in Deutschland und Österreich Fuß fasst. Die vorrangige Biersorte ist das IPA – ein Indian Pale Ale. Dieser Biertyp entstand schon im 19. Jahrhundert in englischen Brauereien. Damit das Bier auf den langen Schiffspassagen in die fernen Kronkolonien haltbar blieb, wurde ein höherer Hopfenanteil verwendet und ein alkoholreicheres Bier gebraut. Der Hopfen macht auch die Geschmacksvielfalt von IPAs aus, die von Zitronentönen bis Mangogeschmack reicht. Laut einer aktuellen Statistik benötigen die sieben Prozent Craft Beer-Brauer am amerikanischen Markt genauso viel Hopfen wie die 93 Prozent der konventionellen Brauereien.
Brauszene Berlin
Um 1900 galt Berlin mit 250 Brauereien für zwei Millionen Einwohner als größte Braustadt der Welt. 2013 gibt es nur noch zwei große Berliner Biermarken, die unter dem Dach desselben Konzerns brauen. Die ehemaligen Braustätten entwickelten sich zu Veranstaltungszentren – wie die Kulturbrauerei am Prenzlauer Berg – oder liegen seit Jahrzehnten als Industrieruinen brach. Aber in den Kiezen brodelt es, und junge, innovative Brauer eröffnen Kneipen mit selbstgemachtem Craft Beer. Schoppe-Bräu in Kreuzberg, das Hops & Barley in Friedrichshain oder die beiden Betriebe, die wieder Bier nach Wedding bringen wollen: Beer4Wedding und die Vagabund-Brauerei. Während erstere derweilen noch als sogenannte Gypsy- oder Kuckucksbrauer ihre Kreationen in befreundeten Braustätten produzieren und damit auch deren Kapazitäten positiv auslasten, haben sich die drei jungen Amerikaner der Vagabund-Brauerei für eine eigene Kleinbrauerei entschieden. Aber das kostet Geld, und auch wenn das Genussmittel Bier wohl krisensicher erscheint – ein gewisses Startkapital muss dafür erst einmal da sein. Die Hälfte der Investitionen konnten Matt Walthall, David Spengler und Tom Crozier aus der eigenen Tasche investieren. Für weitere 18.500 Euro nutzten sie die Crowdfunding-Plattform Startnext, und nach zwei Monaten hatten sie im Juni 2013 durch 186 Unterstützer die gewünschte Summe in der Tasche. Seitdem wurde gebaut und seit September auch gebraut.
Durch dieses Modell wurde die Vagabund-Brauerei zur ersten Community Supported Brewery (CSB) in Deutschland. In den Staaten haben das schon einige Betriebe erfolgreich durchgezogen. Während Teilhaber in der Community Supported Agriculture (CSA) ihre wöchentlichen Gemüserationen holen können, werden CSB-Mitglieder – je nach Einlage – mit Bier, personalisierten Gläsern und Merchandising beteiligt. Und ganz im Sinne der Community muss oder darf man auch mithelfen. Beim Entwickeln neuer Rezepte, Verkostung von Testsuden oder auch ganz lapidar beim Reinigen der Fässer. Bier aus dem eigenen Kiez, an dem man beteiligt ist und sogar mitgeholfen hat: Das muss wirklich gutes Bier sein.
Wie reagieren die großen Brauereien?
Den Trend der Craft-Biere haben mittlerweile auch industriell arbeitende Brauereien aufgegriffen. In kleinen Chargen brauen sie handwerkliche limitierte Editionen (Bitburger/Craftwerk, Maisel’s & Friends und Stiegl Hausbier) oder handeln so wie Radeberger mit ihrer Marke Braufactum internationale Spezialitäten dieses Segments. Im Biobierbereich hat hier das Riedenburger Brauhaus einen wichtigen Akzent gesetzt. Das Dolden Sud genannte India Pale Ale hebt sich nicht nur durch seine starke Hopfung und die 6,5 % Alkohol ab, auch das unkonventionelle Etiketten-Design fällt auf.
Bierbrauer werden wieder kreativ. Sie experimentieren und gustieren. Nicht immer nur mit Hopfen, Malz und Wasser. So wackelt schön langsam – genau drei Jahre vor seinem 500-Jahr-Jubiläum – auch das deutsche Reinheitsgebot. Bierrevolution, du schmeckst mir!