Die Teerebellen

Eine südfranzösische Fabrik wandelt sich von der Konzerntochter zur Vorreiterin einer neuen Art des Wirtschaftens: kooperativ, nachhaltig und regional.

Der Duft von Fenchel mischt sich mit dem von Minze. Begleitet von lautem Rattern, spucken die Anlagen frisch befüllte Teebeuteln in Pappschachteln. So sieht seit Jahrzehnten der Alltag in der Teefabrik im südfranzösischen Gémenos aus. Mit einem entscheidenden Unterschied: „Das sind jetzt unsere Maschinen“, erklärt Olivier Leberquier, und der Stolz ist seiner Stimme anzuhören.

Früher gehörte das Werk zu Unilever, bis der Konzern 2010 verkündete, die Fabrik schließen und die Produktion nach Polen verlagern zu wollen. Allerdings hatte Unilever die Rechnung ohne die Belegschaft gemacht. Die stieg auf die Barrikaden und blieb über dreieinhalb Jahre oben. Am Ende zwangen die Angestellten den Weltkonzern, ihnen das Werk zu überlassen. Heute wird in Gémenos immer noch Tee in Beutel abgefüllt, aber nun hat dort die Belegschaft das Sagen: als Arbeiterkooperative namens Scopti.

Alle wichtigen Weichen werden seitdem in der Vollversammlung gestellt, in der jedes Mitglied der Kooperative eine Stimme hat. Olivier Leberquier gehört außerdem dem dreiköpfigen Leitungsgremium an, das die alltäglichen Entscheidungen trifft. Aber er trägt immer noch den gleichen grünen Arbeiteroverall wie alle hier, und das Bild von Che Guevara über seinem Schreibtisch zeigt deutlich, dass es ihm um mehr geht als um Gewinnmaximierung.

Grüner Tee mit Minze gehört zu den beliebtesten Sorten in Frankreich. Supermarktware enthält immer zugesetzte Aromen.

Eine Frage des Aromas

Eine Etage über den ratternden Maschinen in der Produktionshalle hängen 600-Kilo-Säcke, aus denen die Rohware in riesige Trichter rieselt. Hier oben duftet es noch intensiver. Grüner Tee mit Minze gehört im stark nordafrikanisch beeinflussten Frankreich zu den beliebtesten Sorten. Bei näherem Hinsehen sind in dem fein zerkleinerten grünen Tee winzige weiße Stäbchen zu erkennen: zugesetzte Aromastoffe.

Sie sind ein Zugeständnis. Was hier vom Band läuft, ist die Hausmarke einer der großen französischen Supermarktketten. Diese Auftragsproduktionen sichern Scopti das Überleben und bezahlen die Rechnungen. Aber synthetische Aromen sind nicht das, was die Mitglieder der Kooperative eigentlich wollen. Eigenständigkeit hieß für sie von Anfang an auch, auf Qualität zu setzen. Sie haben nicht vergessen, welches Unbehagen es ihnen zu Unilever-Zeiten einflößte, dass sie die Kanister mit den Aromastoffen nur in Schutzkleidung öffnen durften. Sicher, die Stoffe waren für Lebensmittel zugelassen. Aber müsste es nicht auch ohne gehen?

Eigentlich ja. In der Vergangenheit war die Provence bekannt für ihre Heilpflanzen. Die Kräuter, die hier unter der heißen Sonne wachsen, besitzen einen hohen Anteil ätherischer Öle. Küchenmischungen wie die Herbes de Provence und aromatische Kräutertees profitieren davon. Aber Anbau und Ernte waren den großen Lebensmittelkonzernen irgendwann zu teuer.

Heute werden Zutaten wie Lindenblüten in Südamerika eingekauft, nach Europa verschifft, in Deutschland geschnitten, in Polen in Teebeutel gefüllt und nach Frankreich transportiert, wo man abends immer noch gerne eine Tisane de tilleul trinkt. Für Leberquier und seine Mitstreiter ein Unding. „Ich will gar nicht behaupten, dass Lindenblüten aus Südamerika schlechter sind – jedenfalls nicht bei der Ernte. Billiger sind sie deshalb, weil die Arbeiter in diesen Ländern noch stärker ausgebeutet werden. Außerdem verlieren getrocknete Pflanzen durch die langen Transportwege Aroma. Was in der Teetasse der Verbraucher landet, ist kaum mehr als Staub.“

Che Guevara schaut immer zu, wenn Olivier Leberquier am Schreibtisch den Papierkram für die Fabrik bearbeitet, die er heute sein eigen nennt – zusammen mit den 57 anderen Mitgliedern der Kooperative.

Wirtschaften in der Region

Die Scopti-Mitglieder wollen das ändern. Bereits in der Phase des Arbeitskampfes knüpften sie Kontakte zu Produzenten, die ihren Vorstellungen von Qualität und nachhaltiger Produktion entsprachen. Leberquier und einige Mitstreiter reisten nach Vietnam zu einer Kooperative, die ihnen heute besten grünen Tee liefert. Sie suchten in der Provence Lieferanten für die traditionellen Kräuter, und sie fanden in Südfrankreich einige uralte Linden, die der Besitzer nicht mehr selbst abernten wollte. Seitdem fährt jedes Jahr im Frühsommer eine Delegation von Freiwilligen in die Region der Baronnies, um die aromatischen Blüten zu pflücken.

Der Tee daraus schmeckt – je nach Wetter – jedes Jahr ein bisschen anders. Deshalb wird er als Jahrgangstee vermarktet; selbstverständlich in Bio-Qualität. Im Moment ist der Anteil der Scopti-Eigenmarken an der Produktion noch relativ klein, aber er soll wachsen, und die Produkte sollen auch über Frankreich hinaus erhältlich sein. Olivier Leberquier klingt optimistisch, wenn er das erzählt.

Ob es gelingt? Abwarten und Tee trinken. Den Beutel „Menthe douce“, Leberquiers Lieblingssorte, zieht er aus einer Packung mit der Aufschrift „1336“. Der Name der Scopti-Marke erinnert an die 1336 Tage des Arbeitskampfes, der in dieser Fabrik alles verändert hat, weil es ein Ziel und eine Vision gab. Beides gibt es immer noch, stellt Leberquier fest: „Wir möchten beweisen, dass ein anderes Wirtschaftsmodell, eine andere Gesellschaft möglich ist.“


Schon an dieser und dieser Stelle haben wir uns bei BIORAMA mit Tee beschäftigt.

BIORAMA #51

Dieser Artikel ist im BIORAMA #51 erschienen

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