Das Bahn-Rad

Der Gewichtung nach sollte der Begriff »Bahnrad« wohl eher die Kombination Eisenbahn-Fahrrad bezeichnen als ein Nischenprogramm im Radsport. Tut es aber nicht. Über die namenlose Chimäre unseres Verkehrswesens.

Dass sich die Kombination einer langen Zugreise mit der Verwendung eines mitgenommenen Fahrrads ab dem gewünschten Zielbahnhof als überaus abenteuerlich herausstellen kann, aber auch als besonders smart und elegant gilt, sollte nicht erst seit Terence Hill als Gentleman im Wilden Westen bekannt sein.

Schon 1955 warb der britische Cyclists’ Touring Club (CTC) ganz fortschrittlich mit dem heute noch sehenswerten Werbefilm »A British Transport Film – Cyclists Special« für die Verbindung dieser zweier für einander prädestiniert scheinenden Fortbewegungsmittel. Dass sich dieses Mischwesen aber nicht nur zur Erweiterung des kulturellen und geografischen Horizonts per Fahrrad bestens eignet, sondern in erster Linie als ernstzunehmende Mischung aus öffentlichem und Individualverkehr betrachtet werden sollte, sei hier gleich eingangs gefordert.

 

Bequem vorankommen mit Rad und Bahn – oft nur auf den
Pressefotos der Bahnbetreiber eine unkomplizierte Sache.
Die Praxis lehrt leider oft das Gegenteil. Foto: Deutsche Bahn

Das Angebot

Um alle Möglichkeiten der Fahrradmitnahme im deutschsprachigen Raum mit Anspruch auf Vollständigkeit zu listen, bedürfte es weitaus mehr als nur diesen kleinen Aufschrieb. In vielen Fällen reichen auch die leider meist recht komplex gestalteten landesspezifischen Webauftritte der Bahnbetreiber nicht mehr aus, um sicher gehen zu können, sein Fahrrad auch wirklich auf der gewünschten Reiseroute transportieren zu dürfen. Hier hilft zumeist nur noch das Wählen der zuständigen Kummernummer. Im Allgemeinen jedoch gilt: Im Nahverkehrsangebot der ÖBB, DB und SBB ist die Mitnahme von Fahrrädern prinzipiell gestattet und wird in den meisten Fällen durch Mehrzweckabteile ermöglicht. In Gebieten, die für verstärkten Fahrradtourismus bekannt sind, werden auch gerne ganze Fahrradwaggons an einem Zugende geführt. Oft werden nur Tages- und Wochentickets angeboten, was auf eine vermehrte regelmäßige Nutzung durch Pendler und Touristen schließen lässt, die dieses Angebot wahrnehmen. Neben den Regionalzügen und Regionalexpresszügen sind auch S-Bahnen das Bindeglied zu innerstädtischen Öffis. Hier dient in den meisten Fällen der Eingangsbereich als vorgesehener Transportraum, was gerne zu problematischen Situationen bis hin zu regelrechten Territorialkriegen mit anderen Nutzungsberechtigten wie Rollstuhlfahrern und Personen mit Kinderwägen führt. Für die Fahrradmitnahme oder »Veloselbstverlad« (Schweiz) in Fernreisezügen wie Euro- oder Intercity gilt in der Regel die verpflichtende Reservierung aufgrund des eingeschränkten Platzangebotes mit der mildernden Tatsache, dass das Gros aller so getätigten Reisen im Vorhinein gebucht wird. Acht geben sollte man besonders bei grenzüberschreitenden Fahrten. Nicht jedes Land hat auf geteilter, wenn auch selber Strecke die gleichen Bedingungen. Auch werden gerne Hochgeschwindigkeitszüge von einer kombinierten Nutzungsmöglichkeit ausgenommen. Als Grund für den Vorzug von mehr Sitzplätzen gegenüber weniger gewinnbringenden Mehrzweck- oder Gepäckabteilen werden oft die hohen Betriebskosten solcher Züge vorgeschoben. Ein Argument, das allerdings nicht wirklich gelten darf, ist doch die anschließende Weiterfahrt mit dem Fahrrad der allgemeinen Auslastung dienlich.

In beinah allen Fällen einer zeitlich geregelten Nutzung unterliegt die Mitnahme in U- und Straßenbahnen. Auch hier hält vermehrt das Mehrzweckabteil Einzug, doch die extremen Schwankungen an Fahrgästen mit Zenith während der Stoßzeiten machen eine durchgängige Erlaubnis zu einer angeblichen logistischen Unmöglichkeit.

Mögliche Lösungsansätze für dieses Problem wären – einmal gesucht – gar nicht schwer zu finden: etwa in amerikanischen Großstädten, wo sogar Autobusse mit überdimensionalen Fahrradträgern an Front oder Heck ausgestattet sind oder in Stuttgart, wo eine Zahnradbahn einen offenen Radanhänger vor sich her schiebt. Und eben dieser Einstieg – in zweierlei Bedeutung – wäre eine dringende Notwendigkeit, um das Fahrradfahren wetterunabhängiger und somit zur alltäglichen Nutzung als Verkehrsmittel interessanter zu gestalten. Abgesehen vom Standard-Angebot aller Bahnbetreiber gibt es auch immer wieder Aktionen oder neu eingeführte Fahrkarten, welche dem Radler das Reisen erleichtern sollen. So wirbt etwa die ÖBB aktuell neben dem Regio-Biking-Programm für das Einfach-Raus-Radticket, einem Angebot für Kleingruppen von zwei bis fünf Personen, die für einen relativ geringen Pauschalbetrag Regionalzug, Regionalexpress und S-Bahnen ganztägig nutzen zu dürfen. Inklusive Fahrradmitnahme.

Die Buchung

Wenn auch die angepriesene enge Beziehung zum Fahrrad von den Bundesbahnen gerne werbetechnisch vermarktet wird, zeigen sie sich in der Praxis nicht immer so radfreundlich. Besonders bei der hocheiligen Suche nach dem richtigen Abteil trotz Wagenstandanzeiger stößt man gerne auf wenig Hilfsbereitschaft am Bahnsteig. Und ein einfaches Einsteigen und Durchwandern aller Waggons ist nicht zu empfehlen. Besonders ältere Personen und Menschen mit von Haus aus hohem Stresspegel sollten für den Zustieg zehn Minuten zusätzlich einplanen, Umstiege in andere Züge am Besten im Voraus erfragen und um Hilfe bitten. Auch bei der Buchung von Intercity-Reisen sollte man sich nicht allzu viel Zeit lassen. Erfahrungsgemäß hat man mit einer Platzreservierung 24 Stunden im Voraus die höchste Wahrscheinlichkeit, sein Rad auch wirklich transportieren zu dürfen.
So wurde mir etwa schon der Kauf eines Radtickets am Schalter eine Stunde vor Reiseantritt trotz eines offensichtlich kaum besetzten Zuges verwehrt. Die wenigen Mehrzweckabteile waren bereits belegt und Alternativen gäbe es nicht. Meine Fahrkarte wurde trotz unmöglich gewordenem Fahrtantritt nicht rückerstattet.

Ein weiteres ärgerliches Detail ist die Tatsache, dass sich eine oben genannte Reservierung nur mit Angabe einer Kreditkartennummer tätigen lässt. Als Alternative bleibt also nur der rechtzeitige Weg zum Fahrkartenschalter.

Der Gepäckstauraum einer klassischen Couchette bietet zwei 16-Zoll-Modellen Platz. Foto: Florian Bilek

 

Das Klapprad

Das Fahrrad an sich ist ein sperriges Gebilde. Auch wenn es einen vogelgleichen Knochenbau besitzt, sind Lenkstange und Pedaltrieb ein verhängnisvoller Auswuchs und schmutzige Ketten oder Reifen kein Freund von Hosenbeinen. Alleine die Dimensionen und der benötigte Transportraum rechtfertigen also den verlangten Fahrpreis. Einen Sonderfall in jeglicher Hinsicht stellt jedoch das Klapprad dar.

Halb als Gepäckstück, halb als Fahrrad konstruiert scheint es schon rein konzeptionell verwandt mit dem Mischwesen Bahn-Rad. So sollte es auch nicht weiter verwundern, wenn es brüderliche Akzeptanz erfährt. Auch nach mehreren Versuchen, etwas über definierte Bestimmungen bezüglich Klappräder zu erfahren, konnte oder wollte mir niemand mit Sicherheit eine Zuordnung bestätigen und den Transport als Handgepäck niemand so richtig verbieten. Dabei gibt es auch unter den Klapp- oder Falträdern Unterschiede, die größer nicht sein könnten. Allein schon die Radgrößen variieren von zwölf bis 28 Zoll und damit so sehr wie in keinem anderen Fahrradsegment. Also bleibt zu vermuten, die Akzeptanz läge rein an der Geste des Faltens an sich – eine beinahe philosophische Annahme für so ein pragmatisches Thema wie der Gesetzeskonformität des Gepäckstücks im öffentlichen Personentransport.

Dass diese Undefiniertheit auch komplett überfordern kann, bewies mir ein ungarischer Mitarbeiter des Zugpersonals eines Intercity am Bahnhof von Füzesabony, der sich beim Anblick des sich vor seinen Augen umwandelnden Transformers in der Wagentür breit machte und mir vorflunkerte, dies sei nicht der gesuchte Zug nach Budapest. Der Zug fuhr ohne mich ab. Dank des sekundenschnellen Klappmechanismus konnte ich trotzdem mit dem nachfolgenden Bummelzug, der quasi zeitgleich mit der Abfahrt des Anschlusszuges nach Wien in Budapest eintraf, die unzähligen Bahnsteige schnell genug unter mir durchziehen, um nicht für eine Nacht Teil des Bahnhofsmobiliars werden zu müssen. Doch nicht nur schnell faltbare Sechzehnzöller – das prototypische Klapprad  –, auch größere Exemplare scheinen den bis auf solche Ausnahmen unbestreitbaren Vorteil der freien Beförderung in Zügen aller Art zu genießen. Tom Ritcheys eigene Ritchey Break-Away 28-Zoll-Modelle werden sogar damit beworben, den harten Gepäck-Bestimmungen der meisten Fluglinien zu entsprechen und somit definitiv auch jedweder der Bahnbetreiber. Die Besonderheit liegt jedoch darin, dass es sich dabei um Rahmentypen handelt, die sich zusammengebaut kaum von einem handelsüblichen Nicht-Faltrad unterscheiden lassen. Ausgewachsene Fahrräder, nur dass sie in zwei Hälften zerlegt und in eine dafür vorgesehene Tasche gepackt werden können.

 

Der Graubereich

Einen für Fernreisende nicht uninteressanten Graubereich zur Fahrradmitnahme ohne einem dafür vorgeschriebenen Ticket und somit ohne auf diverse Restriktionen bei der Zug-Wahl Rücksicht nehmen zu müssen, bietet das Recht eines jeden Fahrgastes, Handgepäck mit einem bestimmten maximalen Außenmaß unentgeltlich mit sich zu nehmen. Und ähnlich der Ritchey-Modelle lässt sich bis auf gewisse Abstriche bei den kompakten finalen Außenmaßen nahezu jedes Fahrrad zerlegen.

Mein Feldversuch bestand darin, mein Rennrad im Intercity von Wien nach Graz zu transportieren. Nachdem ich die Laufräder entfernt und in das Rahmendreieck gelegt, die Sattelstütze eingefahren und den Lenker um 90 Grad eingeschlagen hatte, war die nur gedanklich gezeichnete Kartonage, die mein Gepäckstück umhüllte, 100 Zentimeter lang, 35 Zentimeter breit und 70 Zentimeter hoch. Der Zeitaufwand betrug inklusive dem Anbringen eines Zurrgurtes – um alle Teile in Position zu halten – und dank Schnellspanner an den Achsen unter zwei Minuten. Und alles bereits unter Aufsicht eines Bahnangestellten, der sich schon interessiert über mich gebeugt hatte. Nach einer kurzen Diskussion wies er mich darauf hin, dass das für ihn so lang ein Fahrrad sei, solange er es sehen konnte. Nach einer recht lieblosen Verschleierung mit zwei Einkaufssäcken in IKEA-Dimension war er schlussendlich bereit mein Gepäckstück als solches zu akzeptieren. Zugegebener Maßen ist ein kahles Rennrad, frei von Schutzblechen, Gepäckträgern und Lichtanlagen hier von großem Vorteil und ein Schaltwerk-Schutzbügel hätte auch gute Dienste erwiesen. Doch für Radfahrer die häufig einen IC-, EC-, EN- oder D-Zug benützen, in dem eine Fahrradmitnahme nicht gestattet wäre, ist das mit ein wenig Optimierungsarbeit eine durchaus zu empfehlende Methode.

Fazit: Die Fahrradmitnahme in der Bahn gehört forciert, doch der Weg zur Vereinfachung der Methode hat zwei Seiten. Frei nach Frederik Schikowski: »Ich möchte mich zusammenfalten und nur noch eine Mitte sein.«

 

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