Warum Raben die Intellektuellen der Lüfte sind
Waren Raben lange Zeit als Todesboten verschrien, gelten sie heute als wahre Schlaumeier der Lüfte. BIORAMA präsentiert ein Best-of des intellektuellen Repertoires der Vögel, das vom kreativen Nüsseknacken über gewitzte Partnerwerbung und ausgeklügelten Trickdiebstahl bishin zu lange geplanten Rachefeldzügen reicht.
Lange Zeit hatten Rabenvögel nicht nur einen schlechten Ruf, sie galten sogar als Boten des Todes, des Unglücks und der Pestilenz. Dieses ausgesprochene Negativimage rührt daher, dass Raben unter anderem auch Aasfresser sind, wobei es für die Vögel naturgemäß keinen Unterschied macht, ob es sich bei den toten Körpern und Tier oder Mensch handelt. Eine Schar von schwarz-glänzenden Raben, die sich zum Beispiel über hunderte von gefallenen Soldaten hermacht, ihnen das Fleisch aus den Wunden pickt und gierig verschlingt, muss auf die Menschen zwangsläufig beängstigend und verstörend gewirkt haben und so ist es nicht weiter verwunderlich, dass Raben vor allem im Mittelalter als Todesvögel angesehen wurden. Der Rabe galt auch als Begleiter von Hexen und so war es in einer Zeit, in der Unwissenheit und Aberglaube regierte, für zahlreiche Frauen mit einem Todesurteil gleichbedeutend, in der Nähe eines oder mehrerer Raben gesehen zu werden. Auch wenn heutzutage kaum noch jemand an den „Unglücksboten Rabe“ glaubt, so ist das Bild vom todbringenden Rabenvogel dennoch weiterhin in unseren Köpfen vorhanden: In Alfred Hitchcocks „Die Vögel“, sind es Raben, die die Protagonistin Melanie – dargestellt von Tippi Hedren – attackieren.
Doch Raben galten nicht in jeder Kultur als Boten des Unglücks – im alten Rom war das Gegenteil der Fall: Wollten Herrscher und Heerführer vor einer wichtigen Entscheidung wissen, ob die Götter ihnen gewogen waren, befragten eigens dafür bestellte römische Beamte das Orakel der Raben. Kamen die Raben von rechts geflogen, war das ein positives Zeichen, kam sie von links, ein negatives. Rabenvögel wurde also die Fähigkeit der Weissagung zugeschrieben.
Der Rabe: trickreicher Charmeur mit Gesichtserkennungsfunktion
Mittlerweile wissen wir, dass Raben uns weder den Tod bringen, noch die Zukunft weissagen können, doch dafür beherrschen sie eine ganze Reihe anderer Fähigkeiten, die uns Menschen in Staunen versetzen. Beinahe jeder hat schon einmal einen Rabenvogel dabei beobachtet, wie er gezielt Nüsse vor fahrende Autos wirft, um sie zu knacken, doch diese Verhaltensweise ist nur eine von vielen, die Raben zu wahren Gewinnern der Evolution machen. Die außergewöhnlich hohe Intelligenz der Tiere lässt sich auch daran festmachen, dass sie Futter, das sie erbeutet haben, nicht nur für mögliche spätere Hungerperioden verstecken, sondern dabei auch darauf achten, nicht beobachtet zu werden. Merken sie, dass sie dabei doch von einem Artgenossen ins Auge gefasst wurden, dann täuschen sie lediglich vor, das Futter zu deponieren und der verhinderte Dieb geht leer aus. Daraus lässt sich schließen, dass Raben nicht nur vorausschauend denken, sondern dass sie auch in der Lage sind, sich in ihre Artgenossen hineinzuversetzen und diese gegebenenfalls in die Irre zu führen.
Eine weitere erstaunliche Meisterleistung hat die Wissenschaft den Rabenvögeln bis vor einigen Jahren gar nicht zugetraut, doch mittlerweile ist bekannt, dass die gefiederten Tiere zu einer komplexen Form der Kommunikation in der Lage sind, die bisher ausschließlich Menschen und Menschenaffen zugesprochen wurde. Raben benutzen nämlich Gesten, indem sie ihre Schnäbel so einsetzen, wie wir Menschen es mit unseren Händen machen. Ziel dieser Verhaltensweise ist es, einen Partner zu gewinnen – Rabenpaare bleiben ein Leben lang zusammen und sind für ihre ergebene Treue bekannt – oder, falls bereits ein akzeptabler Partner vorhanden ist, sich die Aufmerksamkeit und die Gunst des Auserwählten zu sichern. So wie es bei menschlichen Beziehungen gelegentlich vorkommen soll, dass der Mann seine Angebetete mit einem Blumenstrauß oder einer Schachtel Pralinen überrascht, damit sie ihm weiterhin zugetan bleibt, so ist es unter Raben nicht ungewöhnlich, dass sie mit kleinen Zweigen oder Moosstückchen in ihren Schnäbeln um die Gunst des Partners buhlen. Gelingt dies, dann endet dieser Prozess nicht selten damit, dass das Rabenpärchen den besagten Gegenstand gemeinsam „beschnabelt“.
Für uns Menschen, die wir in sozialen Gemeinschaften leben, ist es essentiell, dass wir zwischen Freund und Feind, Gleichgesinntem und Andersdenkenden, potentiellem Sexualpartner und dem Liebesakt eher Abgeneigtem unterscheiden können. Da Raben ebenfalls in Gruppen zusammenleben, ist es auch für unsere gefiederten Freunde durchaus von Vorteil, zu wissen, welcher Rabe wie tickt. Forscher haben herausgefunden, dass Raben sich sowohl die Stimmen als auch die Gesichter ihrer Artgenossen über Jahrzehnte hinweg merken und dementsprechend reagieren: Hat ein Vogel einmal einem anderen den Nussvorrat stibitzt, dann sollte dieser bei einem erneuten Zusammentreffen wohl nicht mit einer allzu überschwänglichen Begrüßung rechnen. Doch nicht nur das: Raben merken sich auch die Gesichter von uns Menschen. Wir sollten uns daher davor hüten, Intrigen gegen Rabenvögel zu spinnen, denn sie könnten es uns Jahre später heimzahlen.
Doch damit nicht genug, Raben sind außerdem zu etwas in der Lage, das menschliche Kinder erst ab einem Alter von zwei Jahren beherrschen: Sie erkennen sich selbst im Spiegel. Diese Fähigkeit besitzen außer den Raben nur einige wenige Tiere, nämlich verschiedene Affenarten, Wale und Delfine sowie der Asiatische Elefant. Raben sind sich daher – und das lässt sich nur von wenigen Tieren behaupten – ihres eigenen Selbst bewusst.
Nur Persönlichkeit oder gar Person?
Rabenvögel sind also in der Lage, in die Zukunft zu planen, sich in ihre Artgenossen zu versetzen und diese zu täuschen. Außerdem nutzen sie – ähnlich wie wir Menschen – Gesten, verfügen über ein außerordentliches Gedächtnis sowie über ein Bewusstsein. Dass die Vögel damit zu den intelligentesten Lebewesen dieses Planeten zählen, haben auch die Initiatoren des „Nonhuman Rights Project“, das im Jahr 2007 in den USA ins Leben gerufen wurde, erkannt. Nun fordern sie, dass dieser Erkenntnis Taten folgen, indem den Tieren der Status einer Person zugesprochen wird.
Was zunächst haarsträubend klingt, lässt sich schlüssig argumentieren: Da Tiere im amerikanischen, wie übrigens auch im österreichischen und deutschen Rechtssystem als Objekte behandelt werden, verfügen sie über keinerlei Rechte. Da wir aber wissen, dass Raben über ein Bewusstsein sowie über ein Gedächtnis verfügen, ist es nur folgerichtig, anzunehmen, dass Raben nicht nur Schmerzen empfinden, sondern sich dieser auch in ihr Gedächtnis einprägt und dass es ihnen nicht gleichgültig ist, wenn sie in Gefangenschaft leben. Das „Nonhuman Rights Project“ setzt sich deshalb vor Gericht dafür ein, dass Raben und anderen intelligenten Tieren das Recht auf körperliche Unversehrtheit und auf Freiheit gewährt wird, was gleichbedeutend mit der „Anerkennung als Person“ ist.