Thema Wolf: Wo Oberjäger Josef Pröll die Fantasie durchgeht
Josef Pröll macht den Trump – und mit wirren Behauptungen Stimmung gegen den Wolf. Ein Kommentar.
Vergangenen Samstag gingen weltweit Menschen für die Wissenschaft auf die Straße. Auch in Wien machten sich trotz des schlechten Wetters 3.000 Menschen auf einen #MarchforScience durch die Innenstadt. Ziel der Demonstration war es, so Veranstalter Oliver Lehmann: „das Fundament der Wissenschaft zu schützen, zu stärken und zu feiern“. Im Wesentlichen ging es beim #ScienceMarchVienna also um ein selbstbewusstes Feiern von Fakten und um ein eindeutiges Statement gegen eine Politik der Gefühle – weltweit verkörpert etwa vom gegenwärtigen US-Präsidenten.
Selbes Wochenende, anderer Schauplatz. Der KURIER berichtet von einer nicht näher erläuterten ‚Tagung zur kritischen Auseinandersetzung mit dem Tier’ – und interviewt dazu Josef Pröll. Befragt wurde dieser nicht in seiner Rolle als Mehlindustrieller oder als ehemaliger Spitzenpolitiker (als „Lebensminister“ stand er eine Zeit lang dem Agrar- und Umweltressort vor), sondern als niederösterreichischer Landesjägermeister – also als von der Jägerschaft gewählter oberster Jagdfunktionär. Auf eine belanglose Einstiegsfrage („Wie schätzen Sie das Image der Jagd ein?“) folgt dabei recht rasch das Thema Wolf – weshalb die Zeitung schließlich auch mit der Frage „Wie viele Wölfe verträgt das Land?“ titelt.
„Beim Wolf ist das ähnlich wie beim Fischotter und Biber“, meint der Landesjägermeister. „Beide sind bewusst von Ökoaktivisten ausgesetzt worden. Und jetzt stehen wir vor unglaublichen Schadenssituationen und es muss gehandelt werden.“ Später ergänzt er: „Was natürlich zuzieht, damit setzen wir uns sehr positiv auseinander. Wir lehnen aber alles ab, was aus weltfremden Ökofantasien angesiedelt wird.“ Womit sich der Kreis schließt – und wir bei Fakten, Wissenschaft und Fiktion angelangt wären.
Unwidersprochene Behauptungen
Leider verabsäumt es der Journalist, den obersten Landesjäger in diesem Zusammenhang auf die in Jagdkreisen immer noch gängige Praxis, Zuchtfasane auszusetzen, damit diese wenig später wieder erlegt werden können, anzusprechen. Das eigentliche Versäumnis bleibt es allerdings, bei Prölls Behauptung, Wölfe und Otter wären von Ökoaktivisten ausgesetzt worden, nicht nachzuhaken. Dabei handelt es sich um eine Verschwörungstheorie, die immer wieder auftaucht, für die es allerdings keinerlei Beweise gibt. Weshalb der WWF prompt reagierte. „Weder bei Wölfen noch bei Fischottern fanden Ansiedelungen statt“, heißt es in einer Aussendung der Umweltorganisation:
„Die von Pröll kommunizierten Zahlen laufen ausschließlich unter dem Begriff ‚Jägerlatein‘. Tatsächlich leben aktuell sieben Wölfe in Niederösterreich, in ganz Österreich sind es zehn Tiere“, so Christian Pichler, Artenschutzexperte beim WWF. Aus der Sicht des WWF sollte der oberste Vertreter der niederösterreichischen Jägerschaft wissen, wie viele Wölfe sich derzeit in Niederösterreich aufhalten: „Pröll spricht von 50 Tieren, diese Zahl entbehrt jeglicher Grundlage und ist somit nichts weiter als billige Polemik, um Stimmung gegen den Wolf zu machen“, kritisiert Pichler den Jagdfunktionär – und ergänzt: „Auch die Behauptung vom gezielten Aussetzen und Ansiedeln ist unter der Kategorie ‚Jägerlatein‘ abzuhaken.“
Das Absurde an Prölls Aussagen: Gerade auch viele Jägerinnen und Jäger haben sich in den vergangenen Jahrzehnten als Naturschützer engagiert – und damit die Grundlage für die natürliche Rückkehr und die Erhaltung verschiedenster gefährdeter Tier- und Pflanzenarten geschaffen. Dass gerade große Raubtiere wie Wolf und Bär heute vor allem extensive Tierhalter und Biobauern vor große Herausforderungen stellen, ist nicht zu leugnen. In Deutschland, der Schweiz und in Österreich wurden deshalb beispielsweise Herdenschutz-Maßnahmen etabliert – indem Hirtenhunde als Teil der Herde weidende Schafe, Ziegen und Rinder schützen.
Der einstige Minister, ein gewichtiger Player
Man könnte das Interview mit dem Landesjägermeister als etwas wirr oder zumindest in der journalistischen Nachbearbeitung missglückt sehen. (Denn weder sind die Ukraine oder Russland österreichische Nachbarländer, noch ist das Waldviertel eine „sehr dicht besiedelte Region“. Der Truppenübungsplatz Allentsteig, wo es seit 2016 erstmals seit über 100 Jahren wieder ein Wolfsrudel gibt, ist sogar ein militärisches Sperrgebiet, für das 1938 ganze 40 Ortschaften entsiedelt wurden; der von Josef Pröll – übrigens durchaus zu Recht – kritisierte radikale Tierschützer heißt Martin und nicht wie angeführt Thomas Balluch …). Weitreichendere Bedeutung kommt den Aussagen des ehemaligen Agrar- und Umweltministers allerdings deshalb zu, weil sich alle heute mit diesen Ressorts Beauftragten – auf Bundes- wie auf Länderebene – ganz gezielt zurückhalten und zu dem Thema bewusst nicht äußern. „Das Hauptproblem in Österreich ist die Verweigerung der Diskussion“, bedauert Kurt Kotrschal, weltweit führender Wolf-Forscher und Gründer des niederösterreichischen Wolf Science Center, im Interview mit BIORAMA.
Wenn Pröll nun davon berichtet, dass er „eine Arbeitsgruppe zwischen Jagd und Landwirtschaft“ eingerichtet habe, dann bleibt zu befürchten, dass in der dringend nötigen Debatte wesentliche Aspekte ausgeklammert werden. „Die aktuelle Wolfsdiskussion ist für die Allgemeinheit viel zu wichtig, um die Themenführerschaft den Jägern und Landwirten zu überlassen. Hier gehört seriöse, unabhängige, faktenbasierte Wissenschaft heran,“ fordert Rudolf Winkelmayer, selbst Jäger, regelmäßiger Fachautor in der Zeitschrift des Niederösterreichischen Landesjagdverbands und Autor eines Bandes über „Jagdethik“.
Fragen, auf die Antworten fehlen
Wieviele Wölfe es derzeit in Österreich gibt, das wäre durchaus interessant zu wissen. Und auch die vom KURIER gestellte Frage „Wie viele Wölfe verträgt das Land?“ wäre durchaus interessant zu beantworten.
„Die Experten sprechen aufgrund von Habitateignung von etwa 100 bis 200“, meint Wissenschafter Kurt Kotrschal. Nachsatz: „Aber so viele werden’s wohl nicht werden.“
Dass den Zahlen der Jäger mitunter zu misstrauen ist, hat schon vor einigen Jahren etwa ein Feldforschungsprojekt der gemeinnützigen Biosphere Expeditions in Polen ergeben:
„In einer Region gab es einen Konflikt zwischen Naturschützern und Jägern über den Wolfbestand. Die Naturschützer meinten, es gäbe 50 Tiere, die Jäger berichteten von 150 Tieren und wollten 50 davon zum Abschuss freigeben“, berichtet Matthias Hammer von Biosphere Expeditions. „Wir wurden als unabhängige Instanz eingeladen und haben über drei Jahre ermittelt. Die Antwort war: Ihr habt Glück, wenn es bei euch 35 Stück gibt. Die Regierung hat unsere Zahlen akzeptiert. Es wurden keine Abschusslizenzen erteilt. Wobei ich sage, dass wir Jäger nicht verteufeln. Sie denken oft bloß anders. Der eine kennt sein Revier und beobachtet fünf Tiere. Der Jäger im Nachbarrevier zählt auch fünf Tiere. Dann haben sie alle gemeinsam addiert – dabei aber nicht berücksichtigt, dass es sich oft um ein und dasselbe Rudel gehandelt hat. Dessen Territorium umfasst halt mehrere Jagdreviere.“
Wir sehen: Erst Wissenschaft schafft Entscheidungsgrundlagen.
Wie sehr die Zahlen mitunter trotzdem auseinandergehen belegen übrigens auch die Teilnehmerzahlen des #ScienceMarchVienna. Laut Polizei waren es 1.600 Demonstranten, laut Veranstalter 3.000 Personen.
Im Zweifel für die Wissenschaft.
Weiterlesen zum Thema? Simon Vetter, Bio-Bauer und Rinderzüchter in Vorarlberg, über Wölfe, Rinder und andere wilde Tiere. Außerdem: Der Wolf ist zurück in Österreich. Und jetzt? Eine Recherche.