Süchtig nach Neuem

Anna Zeboeva (c) Dőmőlky Dániel

Das Material kommt von der Straße, die Ideen aus dem Kopf: Anna Zeboeva produziert in Ungarn mit ihrem Schuh-Label Pleasemachine Einzelstücke im Retrodesign.

 

BIORAMA: Wann hast du begonnen, Schuhe herzustellen?

Anna Zeboeva: 2007 habe ich aus simpler Neugier an hochwertigem Handwerk damit begonnen, Schuhe herzustellen, seit 2008 betreibe ich mein Label, nachdem ich bemerkt hatte, dass es eine Nachfrage nach meinen Designs gab. Mein Ziel ist es, Handwerkstradition zu nutzen und dabei moderne Designs für heute und morgen zu kreieren.

Und wie ist es dann zum Recycling-Programm „reuse for shoes“ gekommen?

Meine erste offizielle Recycling-Edition habe ich für meine Shop-Eröffnung 2010 produziert. Ich habe aber schon davor einzelne Paare mit gebrauchtem Material gemacht.

Das Material dafür holt ihr direkt von der Straße. „Lomtalannitas“ kennt man außerhalb Ungarns nicht – worum geht es da?

Wörtlich übersetzt bedeutet es „Haushalts-Abfall-Reduzierung“ – jeder Bezirk in Budapest hat ein paar Tage pro Jahr die Möglichkeit, alle nicht mehr gewollten Dinge loszuwerden, indem sie einfach auf den Gehsteig gebracht werden. Nach drei Tagen kommen Einsammler, die den Müll wegbringen, was du davor findest, darfst du behalten.

Wie sieht die Verbindung deines künstlerischen Backgrounds mit dem Handwerk der Schuhproduktion aus?

Das passt gut zusammen. Handwerkswissen ist ein gutes Werkzeug, um die Visionen in meinem Kopf umzusetzen. Je mehr Werkzeuge ich kennenlerne, desto einfacher ist der Prozess und desto größer sind die Möglichkeiten.

Mit wievielen Grund-Schuhmodellen arbeitest du?

Keine Ahnung, ich habe sie nicht gezählt. Wir produzieren alles, von Sandalen bis zu Stiefeln, von flachen Schuhen bis zu High Heels, für Männer und Frauen. Und wenn ich das Gefühl habe, dass etwas fehlt, dann setzen wir einfach noch einen drauf.

Wie siehst du den allgemeinen Trend hin zu einem nachhaltigeren Lebensstil?

Ein nachhaltiger Lebensstil ist schwieriger, als man denkt – ich selbst ließ mich hier in die Irre führen und kaufte Bio-Produkte statt zu beginnen, nachhaltig zu denken. Ich bewerbe mein Label nicht in erster Linie als ökologisch (obwohl es natürlicher und sozial verträglicher ist, als alle in Massenproduktion hergestellten Bio-Produkte). Ich bin aber überzeugt, dass eine bessere Zukunft an Slow Fashion, bewusstem Konsum und gutem Design liegt: Es liegt an den Designern, Produkte zu entwickeln, die qualitativ hochwertig sind und ebenso naturverträglich, lange halten und das Auge erfreuen. Und es liegt an den Käufern, den Wert eines Produkts zu erkennen, wenn sie über den Preis nachdanken, und Innovationen zu wählen, um Entwicklung zu unterstützen.

Machen es schöne Produkte einfacher, sich um die Umwelt zu sorgen?

Der Weg zu einem nachhaltigen Leben muss mit Veränderungen in den Sehnsüchten der Menschen einhergehen. Sich um die Umwelt zu kümmern bedeutet meiner Meinung nach nicht mehr nur, auf sorgsame Produktion zu achten und die Qualität der Ausgangsmaterialen, sondern ebenso besseres, netteres, Freude machendes Design und eine große Auswahl zu haben.

Wie wichtig ist es, dass viele deiner Schuhe Einzelstücke und komplett individuell sind?

Für mich persönlich ist es absolute Priorität, viele verschiedene Designs und Kombinationen zu entwerfen – jedes Paar Schuhe ist zuerst eine Idee, ein sehr starkes Bild in meinem Kopf und wenn ich diese nicht umsetzen kann, fühl ich mich unausgeglichen. Ich werde regelrecht depressiv, wenn ich lange von meiner Werkstatt weg bin. Gerade fertig gestellte Schuhe zu betrachten fühlt sich für mich so gut an, es ist wie eine Sucht und ich kann nicht aufhören, ständig etwas Neues zu machen.

Viele deiner Schuhe haben einen starken Retro-Touch …

… ja, ganz richtig. Das liegt zum einen an den Vintage-Materialien mit ihren verrückten Mustern und zum anderen ist die Vergangenheit für mich eine wichtige Inspirationsquelle. Ich liebe alte Filme und Oldschool-Musik aus den letzten 70 Jahren.

Sind die Leute, die bei dir arbeiten auch Künstler? Wie sieht das Arbeitsverhältnis aus?

Mit Künstlern arbeite ich bei einzelnen Projekten zusammen, die Leute die länger hier sind, sind Profis in ihren einzelnen Bereichen. Auf Künstler könnte ich mich, wenn es um Verantwortung und einzuhaltende Deadlines geht, zu wenig verlassen. Die anderen werden täglich oder wöchentlich bezahlt, je nach Abschluss der Arbeit. Ich habe keine fixen Angestellten mehr, weil diese zu wenig motiviert waren, Ergebnisse zu erreichen und es ihnen Raum nimmt, sich selbst zu verbessern. My factory is a happy place!

www.pleasemachine.net

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