Warum Bio allein zu wenig bleibt

Einige Hersteller berechnen den Planet-score ihrer Produkte. Philip Luthardt von der Bohlsener Mühle erklärt, warum.

Philip Luthardt spricht mit einem regionalen Biobauern in dessen Quinoafeld.
Denkt Bio ganzheitlich weiter – und spricht darüber: Philip Luthardt (rechts) von der Bohlsener Mühle im Gespräch mit einem regionalen Biobauern in dessen Quinoafeld. Bild: Bohlsener Mühle.

BIORAMA: Vor einigen Jahren hat die Bohlsener Mühle für Aufsehen gesorgt als sie auf ihren Produktverpackungen das Wort Bio demonstrativ durchgestrichen und mit dem Wort »Öko« ergänzt hat. Warum reicht Bio nicht?
Philip Luthardt: 
Die Biobranche hat sich aus den Erkenntnissen der Grenzen des Wachstums heraus gebildet. Wir glauben, dass es den PionierInnen der ökologischen Landwirtschaftsbewegung in den 70er- und 80er-Jahren bereits um deutlich mehr ging als bloß ums reine Vermeiden von Pestiziden und synthetischen Düngemitteln. Da ging es auch um eine andere Art zu wirtschaften, um soziale Leistungen, um ein gemeinschaftliches und faires Miteinander. Heute, nach 30, 40 Jahren, sind uns die natürlichen Grenzen stärker bewusst und die Erkenntnisse haben sich weiterentwickelt. Nachhaltigkeit umfasst heute auch die CO2-Bilanz, den Klimawandel, Biodiversität und soziale Aspekte. All das wird aber nicht explizit im Biostandard mit abgebildet. Deshalb braucht es heute eben mehr als nur Bio. Um es positiv zu formulieren: Wir müssen uns ganz explizit mit unserem Beitrag zur Lösung der Klimakrise auseinandersetzen – als BioherstellerInnen, als BiolandwirtIn, aber auch als konventionelle LandwirtInnen.


Green-Claims-Direktive

Damit Greenwashing nicht die tatsächliche ökologische Transformation verhindert, möchte die EU mit der Richtlinie über Nachweisbarkeit und Kommunikation umweltbezogener Produktangaben (»Green Claims Directive«) Transparenz schaffen. An der konkreten Ausgestaltung wird noch gearbeitet. Vorgesehen sind die wissenschaftliche Überprüfbarkeit von Angaben, Kontrollen und strenge Strafen, wenn Unternehmen sich besser darstellen als ihre Produkte sind.

Wo muss denn Bio besser werden?
Vor allem bei der Transparenz, also bei der Darstellung des wirklichen Impacts.

Wo ganz konkret?
Das ist quer durch die Branche ganz unterschiedlich und lässt sich schwer pauschal sagen. Wir bei der Bohlsener Mühle setzen neben verbandsbiologischen Rohstoffen besonders auf Klimatransparenz: Wir bilanzieren sehr detailliert die Klimaauswirkungen unserer Produkte vom Feld bis zum Produkt und machen diese auf unserer Webseite transparent.


»Ob eine Biomango mit dem Flugzeug zu uns gebracht wird oder nicht, das interessiert eine/n BiokontrollorIn nicht.«

Philip Luthardt, Bohlsener Mühle

Ausgehend von Frankreich propagiert die Biobranche seit einiger Zeit das private Zertifizierungslabel Planet-score. Welchen Mehrwert bietet es?
Wir wissen, dass der Verbraucher, die Verbraucherin, aber auch die EU an sich, auf Produkten mehr darüber erfahren möchte, ob diese nachhaltig sind – und zwar in einem weiteren Sinn als Bio aussagekräftig ist. Wir haben gesehen, dass Ansätze wie beispielsweise der Ecoscore Bioprodukte aus unserer Sicht diskriminiert haben. Die Bewertungssysteme waren sehr konventionell geprägt und von der industrialisierten Lebensmittelwirtschaft mitentwickelt. Der Planet-score basiert auf einem Ansatz, der aus meiner Sicht zurzeit am besten dazu geeignet ist, auf Basis generischer Daten zu einer umfassenden ökologischen Bewertung von Produkten zu gelangen. Bewertet werden die Kriterien Pestizideinsatz, Biodiversität, Klima und bei tierischen Produkten außerdem das Tierwohl. Das sind Bereiche, bei denen wir die planetaren Belastungsgrenzen bereits überschritten haben.

Ein Screenshot der Website der Bohlsener Mühle
Die Planet-Score AAA-Bestwertung für die Erbsen-Sticks wird vorerst nur im Onlineshop kommuniziert. Bild: Bohlsener Mühle.

Was bedeutet das für die Bohlsener Mühle wenn sie zum Beispiel eine Packung Kekse mit dem Planet-score zertifizieren lässt?
Wir reichen bei Planet-score in Frankreich unsere Rezeptur ein mit den Daten der einzelnen Bestandteile unserer Produkte; also den Kakao, den Weizen, die Butter oder das alternative Fett, was bei uns häufig Bioland-Sonnenblumenöl ist. Wir müssen darstellen, wo die Produkte herkommen, mit welcher Zertifizierung sie angebaut worden sind. Bei uns ist ja alles bio, das macht es relativ einfach. Die Lieferkette ist ebenfalls wichtig. Denn bei Kakao, Palmöl und Kokosfett handelt es sich um Zutaten, bei denen für den Anbau ein hohes Entwaldungsrisiko besteht. Da braucht es Zertifikate, die das ausschließen. Und wenn Kakao nur Bio- und nicht auch Fairtrade-zertifiziert wird, schneidet er schlechter ab. All das wird zentral in Frankreich bewertet.

»Verbandsware«

Bezeichnet in der Biobranche Produkte oder Rohstoffe, die von bäuerlichen Anbauverbänden wie Bioland, Naturland, Demeter, Bio Austria oder Bio Suisse kommen. Deren Mitglieder erfüllen freiwillig höhere Anforderungen als die gesetzlichen Mindeststandards der EU-Bioverordnung. Die Logos der Bioverbände fungieren deshalb als Qualitätssiegel.

Gibt es andere Aspekte, die der Planet-score berücksichtigt, die für eine Biozertifizierung unerheblich sind?
Den Transport zum Beispiel. Transport spielt in der Lebensmittelindustrie jetzt insgesamt keine sehr große Rolle. Ob eine Biomango mit dem Flugzeug zu uns gebracht wird oder nicht, das interessiert eine/n BiokontrollorIn nicht. Da ist die Hauptsache Bio. Planet-score geht weiter und unterscheidet den Transport zwischen Flugzeug und Schiff. Tendenziell schneiden tierische Produkte bei der Lebenszyklusanalyse schlechter ab. Auch das berücksichtigt der Planet-score. Doch differenziert der Planet-score auch bei der Tierhaltung. Er bewertet beispielsweise, wie lange etwa die Kühe auf der Weide stehen und ebenso, wie hoch der Anteil an Gras oder Heu im Futter – und natürlich, ob es bio ist.

Philip Luthardt und Biobäuerin Laura Kulow
Biodiversitäts-Check im Haferfeld: Philip Luthardt und Biobäuerin Laura Kulow. Bild: Bohlsener Mühle.

Die Produkte der Bohlsener Mühle schneiden beim Planet-score durchwegs sehr gut ab und werden mit A bewertet. Trotzdem wird das nicht auf den Produkten kommuniziert.
Wir kommunizieren unseren Ansatz der Produkttransparenz, bei dem wir sowohl Bilanzierung als auch Planet-score als »Reason to believe« ausloben. Dies findet auf den jeweiligen Produktseiten online statt. Wir haben uns gegen eine Auslobung des Planet-score auf unseren Verpackungen entschieden, das hat mit den Label-Richtlinien zu tun. Der Planet-score verlangt von uns, ihn wenn, dann ganz vorne anzubringen. Dafür ist unsere Marke aber aus unserer Sicht einfach noch nicht stark und der Planet-score gleichzeitig noch nicht bekannt genug. Das große bunte Siegel würde auf unseren Verpackungen mehr verwirren als Klarheit schaffen. Es muss sich außerdem erst zeigen, ob es mit der Green-Claims-Richtlinie der EU konform ist. Und es ist extrem teuer, Verpackungen umzugestalten, weshalb wir uns aktuell für die Verpackung ohne das Label entschieden haben.

Deutscher Nachhaltigkeitspreis

Im November 2023 wurde der Deutsche Nachhaltigkeitspreis bereits zum 16. Mal von der gleichnamigen Stiftung vergeben. In der Kategorie Nahrungs- und Genussmittel wurden u. a. die Molkerei Berchtesgadener Land, Lebensbaum, Vivani sowie die seit 1979 biozertifizierte Bohlsener Mühle ausgezeichnet. 

Werden solche Anstrengungen und Auszeichnungen wie der Deutsche Nachhaltigkeitspreis auch von den KonsumentInnen an der Kasse honoriert?
Der Gewinn des Deutschen Nachhaltigkeitspreises nach 2015 zum zweiten Mal ist für uns eine große Ehre und zeigt uns, dass wir weiterhin die richtigen Dinge angehen und umsetzen. Doch nur wenige KonsumentInnen kennen den Preis. Am Regal wünschen sie sich eine klare und produktbezogene Kennzeichnung. In unserem Kernmarkt, dem Biofachhandel, werden wir als Unternehmen und mit unseren Produkten bereits als nachhaltige Marke wahrgenommen. Damit erreichen wir viele klassische BiokundInnen und teilweise einige darüber hinaus.

Philip Luthardt

Leitet seit 2016 die Nachhaltigkeits- abteilung der Bohlsener Mühle in Niedersachsen und ist seit 2023 auch
für die Kommunikationsarbeit des Unternehmens zum Thema verantwortlich.

BIORAMA #89

Dieser Artikel ist im BIORAMA #89 erschienen

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