Raum für Verbesserung
Auf der Erde ist noch Luft nach oben da.
»There ist no Planet B«, das steht auf vielen Demoschildern bei Klimaprotesten und soll ausdrücken, dass man sich um diese eine Erde besser kümmern soll und wir nicht so weiterleben können, als gäbe es einen Plan B, zu dem wir umschwenken könnten, wenn wir unseren Planeten zerstört haben: einen Planet B. Denn den gibt es nicht, das weiß jedeR, deswegen funktioniert der Spruch.
Gleichzeitig beschäftigt sich die Wissenschaft doch einigermaßen konkret mit diversen Fragen des (Über-)Lebens im All – und schlagzeilenfähig ist hier neben spektakulärer Technik vor allem das, was die menschliche Sehnsucht nach Antworten auf die Frage befriedigt, ob wir denn wirklich ganz allein in den unendlichen Weiten des Universums sein können. Seit geraumer Zeit kommen hierzu auch Fragen nach der Möglichkeit unseres Überlebens auf anderen Planeten. Ob nun freiwillig oder gezwungenermaßen, weil unsere Erde unbewohnbar wurde. Immerhin hat der Physiker Stephen Hawking 2017 in der BBC-Dokumentation »Tomorrow’s World« prognostiziert, dass die Menschheit womöglich nur mehr 100 Jahre überleben könnte, und den Klimawandel, Asteroideneinschläge, Epidemien und Bevölkerungswachstum als größte Gefahren identifiziert. Damit hat er seine eigene Prognose aus dem Jahr zuvor auf einen Bruchteil korrigiert: 2016 war er noch der Meinung gewesen, es blieben 1000 bis 10.000 Jahre für uns auf dem Blauen Planeten. Der vielzitierte Imperativ, der sich für Hawking daraus ergab: Sofort die Suche nach dem Planet B intensivieren!
Wer sucht denn ernsthaft nach Planet B?
Man könnte den Eindruck bekommen, dass mindestens die Wissenschaft da längst dran ist: Diskussionen über Nutzungsrechte von am Mond abgebauten Rohstoffen lassen die eine oder den anderen vielleicht zweifeln, was machbar und was Zukunftsmusik ist. National Geographic fragte etwa im Sommer 2022: »Rohstoffknappheit: Gibt es 2050 erste Minen auf dem Mond?«
Die Nasa etwa erklärt indes auf Ihrer Website, auf der Seite zum Thema »Space Colonisation«: »Die dringende Notwendigkeit, die Menschheit als Multi-Planeten-Spezies zu etablieren, wurde durch das Aufkommen einer weltweiten Pandemie bestätigt, einer von mehreren Gründen neben Naturkatastrophen und menschlich verursachten Katastrophen, die schon lange in der Pro-Kolonialisierungs-Argumentation ins Treffen geführt werden.« (übersetzt aus dem Englischen) Derzeit simuliert die Nasa auf Übungsgeländen auf der Erde, zum Beispiel mit AnalogastronautInnen, Bewegungsabläufe auf dem Mars. Auch AnalogastronautInnen des Österreichischen Weltraumforums (ÖWF) waren 2020 in der Negev-Wüste in Israel auf »Mars-Mission«: Die simulierte Mission dient der Suche nach Fehlern in Arbeitsabläufen und bei Geräten, damit diese nicht erst am Mars entdeckt werden und dort zu Problemen führen.
Und dann tauchen da auch noch Figuren auf, die alle staatlichen Weltraumorganisationen in ihren Ankündigungen, bemannte Marsmissionen zu starten, überholen. Darunter allen voran Elon Musk, Gründer und CEO von SpaceX, dem ersten privaten Anbieter von Weltraumausflügen. Derzeit positioniert sich SpaceX gerade auch als Durchführungsunternehmen für die AstronautInnenflüge der staatlichen Weltraumorganisationen zu Raumstationen. Von eher wenig gesellschaftlich diskutierten Fragen nach den ethischen Implikationen solcher Private-Public-Partnerships in Weltraumaktivitäten hat man sich hier nicht aufhalten lassen. Im August sind übrigens Reste einer Dragon-Kapsel von SpaceX von australischen Farmern auf deren Gelände gefunden worden.
Mittelfristig ist Musks Ziel aber nicht die Raumstation ISS. Für 2022 kündigte er den ersten Orbitalflug seines »Starship« an – jenes Raumschiffs, mit dem er dann bis zur Mitte des 21. Jahrhunderts eine sich selbst versorgende – »nachhaltige« – Stadt auf dem Mars aufbauen möchte.
Death on Mars
Genauso, wie das Ausmaß des Größenwahns dieser Pläne diskutiert wird, scheint man sich in Foren und Fachpresse auch noch nicht ganz einig, ob der Mars überhaupt die beste Wahl für das Schmieden von Planet-B-Umzugsplänen ist. Es besteht gewisser Konsens, dass ein Mix aus dem Vorhandensein einer Atmosphäre, erdähnlichen Temperaturen und dem Vorkommen von Wasser in irgendeinem Aggregatzustand mit neutralem pH-Wert hier vorteilhaft wäre, Erreichbarkeit binnen weniger Millionen Kilometer auch.
Aber zu wählerisch dürfen wir angesichts der zur Verfügung stehenden Auswahl nicht werden. Denn in unserem Sonnensystem schaut es düster aus: Bewohnbar im oben genannten Sinn ist keiner. »Venus ist eindeutig zu heiß, Merkur hat seine Atmosphäre durch seine starke Wechselwirkung mit dem Sonnenwind verloren; als der Mars möglicherweise bewohnbarer war, war es die Erde noch nicht«, sagt Christiane Helling, Direktorin des Instituts für Weltraumforschung der Österreichischen Akademie der Wissenschaften.
Den Zeitraum, als der Mars möglicherweise bewohnbar war, haben ForscherInnen kürzlich ausgedehnt, allerdings immer noch auf eine Zeitspanne, die vor 3,5 Milliarden Jahren geendet hat.
Um herauszufinden, ob er bewohnbar gemacht werden kann, dazu braucht es vor allem Grundlagenforschung – und mit der wurde nicht erst gerade begonnen. Ganz im Gegenteil, betont Christiane Helling: »Im Wesentlichen bauen Musks Projekte und ähnliche aber auf jahrhundertelanger Grundlagenforschung auf. Johannes Kepler (1571–1630), der in Graz Mathematik unterrichtete und die grundlegenden Gesetze der Planetenbewegung entwickelte, lebte vor rund 400 Jahren.« Auch er hatte wohl keine Anwendung seiner Erkenntnisse in Form von Reiseplänen im Sinn – und doch: »Ohne seine Erkenntnisse könnten wir den Mars nicht einmal erreichen. Letztendlich sind die unterschiedlichen Entwicklungswege von Venus, Erde und Mars bis heute noch nicht zufriedenstellend geklärt. Ohne unsere Forschung ist es unmöglich, zu verstehen, ob Mars bewohnbar gemacht werden kann«, sagt Helling. Während die einen Grundlagenforschung betreiben, befassen sich die anderen mit eher anwendungsorientierten Szenarien – und blenden aus, dass dafür die Grundlagen fehlen.
Musk ist nicht allein
Bei einem von der Internationalen Mars-Gesellschaft 2020 ausgeschriebenen Wettbewerb zur Gestaltung einer Marskolonie für eine Million Menschen wurde neben 174 anderen Entwürfen einer eines internationalen Teams von Wissenschaftlern eingereicht, die sich unter dem Namen Sustainable Offworld Network (Sonet) für die Projekteilname zusammengeschlossen haben. Einer von ihnen Philipp Hartlieb, Senior Scientist am Lehrstuhl für Bergbaukunde, Bergtechnik und Bergwirtschaft an der Montanuniversität Leoben. Er und das Team des Leobener Lehrstuhls für Bergbau seien da wie viele andere im interdisziplinären Sonet eher »hineingerutscht« über das Spin-off-Potenzial:
»Wir beschäftigen uns zum Beispiel damit, wie man auf der Erde Gesteinsabbauprozesse effizienter gestalten kann oder alternative Methoden zu den herkömmlichen verwenden kann. Wir machen auf der Erde sehr viel durch Bohren und Sprengen. Und dazu gibt es auch Alternativen, mechanische Methoden, die deutlich weniger Impact haben, die allerdings nicht für alle Gesteinsschichten geeignet sind. Durch diese Suche nach nachhaltigeren Methoden sind wir in den Weltraum gekommen, denn im Weltraum haben wir keine ausreichende Gravitation. Wir können daher nicht bohren und sprengen, verfügen nicht über Chemikalien, wir haben kein Wasser und ähnliche Werkzeuge, die wir zu bedienen gelernt haben.« Der interdisziplinäre Austausch mit anderen, die sich mit dem Weltraum beschäftigen, und das Tüfteln an der Umsetzung der Marsstadt Nüwa bringen dann mitunter die entscheidenden Ideen ein. Dahinter steht der Gedanke, diese Technologien auf der Erde zu verwenden und hier mit den dementsprechenden Voraussetzungen oder verbesserten Prozessen Abbau zu betreiben. Seine Motivation zur Teilnahme sei klar: »Ich sehe schon auch sehr starkes Potenzial in diesen Entwicklungen für uns und unser Leben auf der Erde.«
Philipp Hartlieb, Montanuniversität LeobenIch war auch schon in Diskussionen, wo gesagt wurde: ›Ihr habt die Erde zerstört und jetzt verkündet ihr, ihr geht zum Mond.‹
Unendliche Möglichkeiten für endliche Rohstoffe?
Bezüglich der Rohstoffe zur Umsetzung dieser Entwicklungen gilt es allerdings auch, am Boden zu bleiben. Davon, dass wir perspektivisch Bergbau auf Nachbarplaneten betreiben müssen, um die Erde mit Rohstoffen zu versorgen, geht Hartlieb jedenfalls nicht aus »Ich sehe kein Potenzial, Bergbau im All zu betreiben und die Rohstoffe zur Erde zurückzubringen. Das ist schon allein aufgrund der Massebilanzen nicht vernünftig.«
Aber, gibt er für eine hypothetische Zukunft zu bedenken: »Wenn sich die Menschheit auf einem extraterrestrischen Körper, etwa dem Mars, niederlassen möchte, dann wird sie nicht darum herumkommen, auch dort für Rohstoffe zu sorgen. Denn diese von der Erde auf den Mars zu transportieren wäre unmöglich.«
Von der Umsetzung Nüwas ist Hartlieb nämlich nicht vollends überzeugt: »Nüwa ist eine Konzeptstudie, deren potenzielle Realisierung noch einige Jahre in der Zukunft liegt.« Woran die Errichtung Nüwas scheitern würde? An allen Fronten: am Transport von ausreichend Material und Treibstoff genauso wie an der Abschirmung der Marskolonie gegen die auf dem Planeten vorherrschende Strahlung. Der Entwurf zu Nüwa sieht daher vor, die Stadt großteils unter Tage anzulegen, trotzdem fehlt jede Vorstellung zum Überleben in dieser tödlichen Umgebung. »Wo ich mir vielleicht am wenigsten Sorgen mache, ist, dass man die richtigen Algen und Lebensmittel züchten kann. Aber der Rest rundherum sind vor allem Unsicherheiten.«
Der Mars ist nicht das Ziel aller Marsforschung
Auch an die rasche Besiedlung des Mars glaubt Hartlieb eher nicht, sondern eher an die Errichtung von einer Art Außenposten auf Mond oder Mars, auf denen sich AstronautInnen vorübergehend aufhalten: »Für mich persönlich ist es nicht die zentrale Frage, ob wir Planet B besiedeln werden, sondern es geht vor allem um die technische Fragestellung im Hintergrund: Ist es möglich?« In diesem Kontext forschen und imaginieren die Mitwirkenden an Nüwa bereits in Folgeprojekten weiter.
Einer von ihnen ist Alfredo Muñoz, Gründer eines Architekturstudios – »ABIBOO Studio«. Er hat schon die Visualisierungen von Nüwa verantwortet und betreibt jetzt Onteco, eine Weiterentwicklung des Konzepts zum Metaverse. Betritt man die Projektwebsite, bekommt man den Eindruck, man sollte längst dabei sein, wenn man nicht zurückgelassen werden möchte. Für Hartlieb ist das »Futurverse« Onteco als Spielfeld spannend, weil es den technischen Zugang, der in Nüwa gesucht wurde, um psychische und politische Aspekte erweitert: »Alfredo versucht wirklich, Szenarien aufzubauen, die sich damit beschäftigen, wie wir mit dem Leben auf dem Mars umgehen würden. Wie könnte diese Community funktionieren, wie würden Stimmrechte vergeben? Ich finde, das ist ein sehr spannendes Spiel.«
Demokratie unter neuen Gesichtspunkten, wo die Ressourcen knapp sind und Fehlentscheidungen fatal. Wo die politische Berücksichtigung von wissenschaftlicher Expertise und ein funktionierender Konsens über gesellschaftliche Regeln das Überleben der Spezies bestimmen. Ganz anders als auf dem Planet A.
»Ich war auch schon in Diskussionen, wo gesagt wurde: ›Ihr habt die Erde zerstört und jetzt verkündet ihr, ihr geht zum Mond.‹ Das soll definitiv nicht das Ziel des Ganzen sein, sondern es geht darum, zu schauen, ob und wie man etwas schafft oder nicht. Und das ist meine persönliche Motivation.« Wenn wir wissen, wie man was schafft, könnten wir es ja mal auf Planet A ausprobieren. »Die Erkenntnisse, die wir über Planeten außerhalb des Sonnensystems gewinnen, werden helfen, die Bewohnbarkeit unseres Heimatplaneten zu erhalten«, ist Helling überzeugt. »Die Suche nach dem Leben auf anderen Planeten, das Studium der Entstehung und Entwicklung von Planeten, bringt ForscherInnen aus allen Forschungsrichtungen über Ländergrenzen hinaus zusammen«. Nur zum Üben, für Planet B.
Die Nasa listet zum Thema Space Colonisation neben Medienberichten und Büchern folgende Quellen zur weiterführenden Lektüre:
Nasa
National Space Society – Space Settlement
The Mars Society
The Planetary Society