Milchgeschichten
Scheinbar wird jedes Jahr eine neue Milchalternative erfunden. Die meisten davon gibt es aber schon seit Hunderten Jahren.
Hafer, Mandel, Cashew, Reis, Soja, Erbsen, Kokos, Dinkel, Hirse. Aus diesen und noch vielen anderen Pflanzen kann Milch gewonnen werden. Was heute aus einem Tetrapak aus dem Supermarkt bezogen wird, findet sich bereits ab dem 14. Jahrhundert in ägyptischen Kochanleitungen. Während Soja,- Reis- und Mandelmilch auf eine lange Geschichte zurückblicken können, zählen Hafer-, Dinkel-, Hirse- und Erbsenmilch zu den Neuentwicklungen der Milchalternativen.
Am Anfang war die Sojamilch
Aus Sojamilch können nicht nur Tofu oder die Würzpaste Miso gewonnen werden. In süßer oder salziger Form findet man Sojamilch in China ganz selbstverständlich auch auf dem Frühstückstisch zum Löffeln. Wie weit genau die Geschichte der Sojamilch im asiatischen Raum zurückreicht, lässt sich nicht genau sagen.
In Europa wurde die Sojamilch erst Anfang des 20. Jahrhunderts mit dem Aufbau der Soyama Werke ab dem Jahr 1913 in Frankfurt am Main industriell produziert. Während der folgenden Kriegsjahre wurde auf Soja als günstigere Milchalternative in Zeiten der Nahrungsmittelknappheit zurückgegriffen. Später hat vor allem die Verwaltung des Dritten Reiches auf Sojamilch sowie andere Produkte aus Soja für die Versorgung von Bevölkerung als auch Militär gesetzt. Auch nach dem zweiten Weltkrieg sorgte Lebensmittelknappheit dafür, dass Soja – vor allem als Milch oder Mehl – einen Platz in den europäischen Küchen, insbesondere der österreichischen, bekam: In Österreich etwa wurden in Gerichten der klassischen »Wiener Küche« tierische Zutaten dadurch ersetzt, was als Wiener Soja-Küche bekannt wurde.
Dauerhaft etablieren konnte sich die Sojaküche allerdings damals noch nicht – sie wurde als Notlösung wahrgenommen und wieder durch tierische Produkte ersetzt, sobald diese ausreichend verfügbar waren. In den USA allerdings wuchs indes das Interesse an Sojamilch ab den 1950er-Jahren an. Während sie bis in die 1970er-Jahre vorwiegend als ein Ersatzprodukt für Laktoseintoleranz, Diabetes oder Mitglieder der Kirche der Siebten-Tags-Adventisten vermarktet wurde, führte eine Verbesserung des Geschmacks der industriellen Produkte und vegetarische Kochbücher wie «Diet for a Small Planet» zu einer Steigerung der Bekanntheit. Mitte der 1990er-Jahre wurde eine Studie des Forschungsteams Anderson, Johnstone und Cook-Newell veröffentlicht, welche die Vorteile von Sojaproteinen im Vergleich zu tierischen Proteinen aufzeigte. Die Publikation führte zu einem erneuten Beliebtheitsanstieg der Sojamilch, sodass sie daraufhin weltweit auch aufgrund gesundheitlicher Aspekte konsumiert wurde.
Schmalzgeld oder Mandel!
Das älteste überlieferte Rezept für Mandelmilch stammt aus einem ägyptischen Kochbuch des 14. Jahrhunderts und dürfte schon einige Jahrzehnte später auch im europäischen Raum bekannt gewesen sein. Durch die strengen Fastenrichtlinien der weite Teile Europas dominierenden katholischen Kirche wurde Mandelmilch bis ins 20. Jahrhundert als willkommene Alternative zu den verbotenen tierischen Milchprodukten genutzt. Sowohl für reine Milch, als auch für Käse oder ein Gemisch mit Wein sind klösterliche Kochanleitungen erhalten geblieben. Gläubige, die dennoch Milchprodukte verzehren wollten, konnten in sogenannten Butterbriefen um Ausnahmen ansuchen und eine Bußezahlung (Schmalzgeld) leisten. Im 19. Jahrhundert entwickelte sich die Mandelmilch zu einem erfrischenden Sommergetränk, welches gerne bei Tee- und Tanzgesellschaften in Mittel- und Westeuropa gereicht wurde. Zunächst wurde Mandelmilch noch händisch für den Eigenbedarf produziert, doch die industriell gefertigten Produkte in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts boten sowohl besseren Geschmack als auch eine längere Haltbarkeit. Der Historiker Uwe Spiekermann weist in seinem Blog über die Geschichte der Mandelmilch auch auf eine weitere Verwendung als Milchersatz für Säuglinge im 19. Jahrhundert hin. Die von dem Mediziner Heinrich Lahmann eingeführte vegetabile Milch für Säuglinge sollte vor allem als Muttermilchersatz dienen und dadurch der hohen Kindersterblichkeitsrate von bis zu 40% im deutschsprachigen Raum entgegenwirken. Weiters wurde die Milch ebenso zu medizinischen Zwecken bei der Behandlung von Kranken genutzt. Während der Weltkriege wurde Mandelmilch ähnlich wie Sojamilch als Alternative in Zeiten der Lebensmittelknappheit und Krankheit herangezogen. Nach den Kriegsjahren verlor Mandelmilch zwar an Beliebtheit, konnte aber weiterhin im Reformhaus erworben werden. Erst ab den 2000er-Jahren stieg die Popularität von Mandelmilch wieder an, nachdem Studien aus den USA über die gesundheitlichen Vorteile der Milch veröffentlicht wurden.
Eine Lücke im Gedächtnis
Wie Sojamilch stammt auch die Reismilch aus dem geografischen Raum um China. Allerdings finden sich kaum Aufzeichnungen über die Nutzung oder die Herstellung dieser, sodass der Beginn der Produktion von Reismilch nicht genau bestimmt werden kann. Im Westen konnte Reismilch zunächst in den USA Fuß fassen. Die ersten Rezepte in englischer Sprache für die Herstellung zu Hause finden sich in Kochbüchern ab Anfang des 20. Jahrhunderts. Im Jahr 1921 wurde die erste Fabrik für Reismilch durch das Unternehmen Vita Rice in San Francisco eröffnet. Das Produkt konnte jedoch nur in kleinen Mengen produziert und gelagert werden. Erst in den 1990er-Jahren kam sowohl in den USA als auch in Europa der industrielle Aufschwung für Reismilch. Mit 1991 wurde in Europa der erste Reisdrink namens »Rev’Riz« auf den Markt gebracht.
Heimatland Schweden
Zusammen mit Dinkel- und Hirsemilch wurde die Hafermilch in den 1990er-Jahren in den europäischen Alternativmilchmarkt eingeführt. Entwickelt wurde diese von dem schwedischen Lebensmittelforscher Rickard Öste. Zusammen mit seinem wissenschaftlichen Kollegen Skanska Lantmänne gründete er das Unternehmen Oatly, das sich auf die Produktion von Hafermilch spezialisierte. Die Beliebtheit des Produkts stieg ab den 2010er-Jahren, heute wird von keiner anderen Pflanzenmilch in der EU mehr verkauft wie ein Bericht des Smart-Protein-Projektes 2021 aufzeigte.
Die Neue aus der Schote
Erbsenmilch ist der Neuzugang unter den pflanzlichen Milchsorten. In den 2010er-Jahren vom amerikanischen Unternehmen Ripple entwickelt, wird sie aus gelben Erbsen produziert. Heute werden auch schon europäisch angebaute und produzierte Alternativen in Bioqualität wie zum Beispiel der Marke Alnatura angeboten. Die Erbse zeichnet sich neben anderen Milcharten vor allem durch die Verträglichkeit für Nuss- oder Gluten-AllergikerInnen aus.
Ob aus Obstkernen, Lupinen oder Roggen, das Interesse der KonsumentInnen in der EU an den pflanzlichen Milchalternativen ist vorhanden und entsprechend dieser wird die Suche der ProduzentInnen nach «neuen» Entwicklungen und Rezepturen fortgesetzt.
Ein Beitrag dazu, wie man selbst Biohafermilch herstellen kann, ist hier online.