Liegt die Sicherheit der Wiener Erde auf dem Rücken der Pferde?

In Wien wird die Wiedereinführung einer Pferdestaffel diskutiert. Zentrale Streitpunkte sind die erhöhte Sicherheit und die artgerechte Haltung der Pferde.

Es ist eine wiederkehrende Debatte: Was spricht wirklich gegen eine berittene Polizei? Was wären Argumente gegen Sicherheitsorgane hoch zu Ross? BIORAMA sprach mit Sicherheitsforschern, Tierrechts-Aktivisten und dem Leiter der Münchner Polizei-Reiterstaffel.

Werden bald Polizeipferde in Wiens Innenstadt im Einsatz sein? Was in anderen Ländern seit Jahren zum Stadtbild gehört, könnte auch in Österreich eine Renaissance erleben. Die Idee einer berittenen Polizei wurde vor allem von der FPÖ, mitunter auch von ÖVP-Vetretern, in den vergangenen Jahren wiederholt ins Spiel gebracht. Nun will Innenminister Herbert Kickl (FPÖ) die Einrichtung einer Pferdestaffel prüfen, die an verschiedenen Orten in und um Wien oder auf Demonstrationen eingesetzt werden könnte. Der Vorschlag polarisiert, obwohl noch keine konkreten Details zum genauen Einsatzgebiet der Pferde bekannt gegeben wurden.

Zu den Vorteilen einer berittenen Polizei zählen die einfache und schnelle Erreichbarkeit und bessere Überwachung von Gebieten ohne befahrbaren Straßen, wo Geländewagen nicht mehr fahren können. Gerade in Wiens Naherholungsgebieten wie der Donauinsel könnte eine berittene Polizei schnell im unwegsamen Gelände zur Stelle sein.

Kritik von Tierschutzorganisation

Martina Pluda, die Kampagnenleiterin der Tierschutzorganisation Vier Pfoten, äußert sich in einer Presseaussendung kritisch zum Vorschlag der FPÖ und hat am 17. Jänner 2018 eine Online-Petition gegen die Pläne einer berittenen Polizei gestartet: „Pferde sind hochsensible Fluchttiere, die gerade bei Polizeieinsätzen überhaupt nichts verloren haben“. Laut Vier Pfoten sollen „Tiere nicht gegen Menschen“ eingesetzt werden und es solle jede Gefahrensituation zwischen Menschen und Tieren vermieden werden.

Zudem sind nicht nur Polizeipferde und Polizisten Gefahren und Verletzungsrisiken ausgesetzt, auch Passanten könnten verletzt werden. Kritiker sagen, dass es bei Tieren keine Garantie gäbe, dass sie in Stresssituationen trotz guter Ausbildung nicht außer Kontrolle geraten könnten. In Aachen, Deutschland, gab es Ende 2017 einen Zwischenfall mit einem Polizeipferd auf einer Demonstration, bei der eine Aktivistin von den Hufen an Arm, Schulter und Rücken verletzt wurde.

Sicherheit oder Gefahr?

Andreas Freundorfer, der Leiter der Reiterstaffel des Polizeipräsidiums München, der größten Reiterstaffel in Deutschland, ist der Meinung, dass es zwar theoretisch möglich ist, aber in der Praxis so gut wie nicht vorkommt, dass Pferde im Einsatz durchgehen. Christoph Lischer, Direktor der Klinik für Pferde an der Freien Universität Berlin erklärt, dass ein Pferd bei unvorhersehbaren Ereignissen grundsätzlich das Potential hat, für sich und für Menschen in seiner Umgebung zur Gefahr zu werden. Das gilt sowohl für Freizeitpferde wie auch für Polizeipferde. Solange es bei einem Einsatz Rückzugsmöglichkeiten für Pferde gibt, hält Lischer die Gefahr, die von Polizeipferden ausgeht nicht für größer als die von Pferden in einem Reitstall. Denn „Pferde sind nicht grundsätzlich im Stress, wenn sie auf der Straße sind“. Natürlich seien die Anforderungen an ein Polizeipferd diesbezüglich höher, da es verkehrssicher sein und eine gute Ausbildung haben müsse. Lischer weist darauf hin, dass nicht jedes Pferd das Zeug zum Polizeipferd hat und dass Polizeipferde bewusst ausgewählt und ausgebildet werden.

Das Polizeipferd gilt als Sympathieträger. Aber kommuniziert ein Polizist auch auf Augenhöhe mit der Bevölkerung, wenn er auf dem Pferd durch die Stadt reitet? (Bild: Chang Nguyen)

Artgerechte Tierhaltung?

Auch bei der Ausbildung der Polizeipferde scheiden sich die Geister. Die Tierschutzorganisation Vier Pfoten ist der Meinung, dass die Dressur der artgemäßen Haltung widerspreche, da bei der Dressur der natürliche Fluchtinstinkt der Pferde unterdrückt werden muss. Laut Lischer trifft das aber auf fast alle domestizierten Pferden zu, die vom Menschen als Reit-, Zug- oder Tragpferd genutzt werden, nicht nur auf Polizeipferde. Für Lischer ist es eine Frage, wo man die Grenze zieht: „Wenn man unsere Sport-, Freizeit- und Arbeitspferde mit einem Pferd in freier Wildbahn vergleicht, dann ist der Fluchtinstinkt in jedem Fall eingeschränkt.“ Wichtig sei es laut Lischer, dass Reiter und Pferd gut miteinander harmonieren und dass den Pferden vor und nach der Arbeit genügend Ausgleichs- und Erholungszeit gegönnt wird. Freundorfer ergänzt, dass man den Tieren ihre Instinkte nicht abgewöhnen kann, aber sie lehren kann, damit umzugehen und Angstsituationen angstfrei zu überstehen. „Wir verlangen von den Pferden nichts, wozu sie von Natur aus nicht die Anlage haben.“

Erhöhte Sicherheit durch Polizeipräsenz?

Ob es durch die Pferdestaffel eine erhöhte Sicherheit gibt? Freundorfer von der Münchner Polizei-Reiterstaffel kann dies mit absoluter Sicherheit bejahen und erklärt: „Wo wir waren, passiert in aller Regel nichts.“ Polizisten auf Pferden würden durch zwei Vorteile maßgeblich zur Sicherheit beitragen. “Sehen und gesehen werden. Ein Reiter auf dem Pferd nimmt alles schneller wahr, wird aber genauso schnell gesehen. Polizisten haben auf dem Rücken der Pferde einen besseren Überblick über das Geschehen und können ein größeres Gebiet besser überwachen. Auf der anderen Seite werden Polizeipferde schnell gesehen, was vorbeugend gegenüber Kriminalität wirkt.“

Polizeipferde bei Großveranstaltungen

Der Wiener FPÖ-Landesparteisekretär Anton Mahdalik sprach sich 2016 mit dem Argument für eine berittene Staffel aus, dass Polizeipferde allein durch ihre Größe auf Kriminelle abschreckend wirken würden. Auch Freundorfer argumentiert in eine ähnliche Richtung: Gerade auf Großveranstaltungen wie Fußballspielen würden berittene Polizisten alleine durch die „imposante reiterliche Präsenz“ Gewalt vorbeugen können und deeskalierend wirken. „Polizisten auf Pferden wirken respekteinflößend, das nutzen wir aus.“ Aber nicht nur um aggressive Fußballfans im Zaum zu halten, werden berittene Pferdestaffeln eingesetzt. Wenn es um das subjektive Sicherheitsempfinden in der Bevölkerung geht, helfe Polizeipräsenz auf Pferden um das Sicherheitsgefühl in der Bevölkerung zu stärken. Laut Freundorfer ist der psychologische Effekt der Präsenz der Tiere nicht zu unterschätzen: „Die Pferde sind einer der größten Sympathieträger der Polizei.“ Polizisten werden durch die Pferde volksnaher, kommen schnell mit der Bevölkerung ins Gespräch und sind bürgernah.

Eine Polizei auf Pferden blicke auf die Menschen herab, meint Sicherheitsforscher Norbert Leonhardmair. Sie wären der Bevölkerung besonders nah, meinen Befürworter. Im Bild: rumänische Polizisten hoch zu Ross (Foto: Septimiu88)

Die Relevanz der Diskussion

Für Norbert Leonhardmair, wissenschaftlicher Mitarbeiter am Wiener Zentrum für sozialwissenschaftliche Sicherheitsforschung, geht es in der Diskussion um eine berittene Polizei mehr um eine „Scheindiskussion“ als um Sachpolitik: „Es geht um militärische Ästhetik, dadurch wird kein Problem der Polizei gelöst“, so Leonhardmair. Um eine berittene Staffel wiedereinzuführen, brauche es einen großen Apparat, eine Infrastruktur, die Ausbildung von Mensch und Pferd. Für Leonhardmair lohne dieser Aufwand nicht, wenn man ihn mit den Einsatzbereichen der Pferde gegenübergestellt. „Es ist fraglich, welchen Nutzen eine berittene Staffel hat, die nicht schon durch vorhandene Mittel erreichbar wäre. Die direkte Fußstreife ist immer noch das beste Mittel aufgrund der direkten Ansprechbarkeit. Im ersten Bezirk wären zusätzlich dazu auch Radfahrstreifen eine gute Option.“ Für Leonhardmair seien Bürgervertrauen und unmittelbarer Kontakt zur Bevölkerung, der zu Fuß erreicht werden kann, die besten Mittel um das Sicherheitsgefühl zu stärken. Eine Polizei auf Pferden kommuniziere nicht auf Augenhöhe und blicke auf die Menschen herab.

Eine alte Diskussion

Eine Pferdestaffel ist in Österreich nicht neu, die letzte berittene Staffel wurde aber 1950 in Graz aufgelöst. Auch die Diskussion um eine erneute Einführung einer berittenen Polizei ist nicht neu: 2016 sprach sich die rechtsextreme FPÖ bereits für eine Reiterstaffel auf der Donauinsel aus. Dieser Vorschlag wurde aber auf Eis gelegt. Es ist schwer rekonstruierbar, warum die Diskussion damals im Sand verlaufen ist. Es ist ebenso unklar, warum der Vorschlag genau jetzt wiederaufgetaucht ist. Gut möglich, dass es nicht das letzte Mal war, dass dieser Vorschlag aus dem Nichts auftaucht und für Gesprächsstoff sorgt – und dann womöglich genauso schnell wieder verschwindet.

VORGESCHLAGENE ARTIKEL DER REDAKTION