Kann Spuren von Gift enthalten
Pestizide schützen Pflanzen und verursachen zugleich Schaden. Auch an unserer Gesundheit.
Text: Ulrike Potmesil
Frühling liegt in der Luft und lockt uns hinaus in die Natur. Wie wohltuend – wenn man nicht gerade unter einer Pollenallergie leidet –, spazieren zu gehen, Sport zu treiben, die Nase in die Frühlingssonne zu recken. Was aber, wenn plötzlich die Augen zu tränen beginnen, die grün knospenden Bäume im Sichtfeld verschwimmen, Hustenreiz und Atemnot den Ausflug trüben? Dann ist möglicherweise Pestizid-Abdrift die Ursache. An von Betroffenen dokumentierten Fällen mangelt es jedenfalls nicht.
Im Jahr 2022, so teilt das Umweltinstitut München mit, wurden in Deutschland 32.138 Tonnen Pestizide verkauft. Welche und wie viel davon tatsächlich eingesetzt wurden, ist nicht bekannt. »Landwirtinnen und Landwirte müssen diese Informationen zwar dokumentieren und bei einer Kontrolle vorweisen können, doch die Sammlung und Auswertung der Daten seitens der deutschen Behörden erfolgt bisher nicht. Das ist ein großer Missstand, gegen den das Umweltinstitut seit Jahren ankämpft», teilt dessen Sprecherin, Christine Vogt, mit. Denn das europäische Zulassungsverfahren ignoriert den Cocktaileffekt aus einer Kombination von Pestiziden und bewertet nur Einzelstoffe. Tatsächlich sind jedoch Mensch und Umwelt einer Vielzahl von Schadstoffen aus unterschiedlichen Quellen zugleich ausgesetzt. Und relevanter als die Mengen in Tonnen eines Präparats sind darüber hinaus die Mengen enthaltenen Wirkstoffs in den Pflanzenschutzmitteln – und auch die Frage, welche Mittel bzw. Wirkstoffe zum Einsatz kommen.
Pflanzenschutzmittel gibt es viele
Das in Deutschland am häufigsten verkaufte Pestizid war im Jahr 2022 mit 3915 Tonnen der Unkrautvernichter Glyphosat, gefolgt von Schwefel mit 3090 Tonnen, Prosulfocarb, ebenfalls ein Unkrautvernichter, mit 1667 Tonnen und dem Wachstumsregulator Chlormequat mit 1536 Tonnen.
Die 2022 in Österreich abgesetzte Pestizidmenge betrug 14.011 Tonnen. Der Anteil der für die biologische Produktion gelisteten Wirkstoffe betrug hier insgesamt 4095 Tonnen. Denn auch in der Biolandwirtschaft sind bestimmte Pestizide zugelassen, derzeit sind dies in der EU 134 Wirkstoffe, die jedoch ein deutlich geringeres Gefahrenpotenzial aufweisen, als die für die konventionelle Landwirtschaft zugelassenen chemisch-synthetisch erzeugten Pestizide.
Pestizide werden außerdem auch abseits von landwirtschaftlichen Betrieben in der Forstwirtschaft, in Gärten, bei der Deutschen Bahn ebenso wie den ÖBB und von Kommunen eingesetzt. Im Gegensatz zu privaten GartenbesitzerInnen müssen LandwirtInnen und Betriebe dokumentieren, wann sie in welchen Mengen welche Pestizide eingesetzt haben.
In Österreich werden die Daten von der Agentur für Gesundheit und Ernährungssicherheit, AGES, zentral erfasst und ausgewertet. In Deutschland ist dies nicht der Fall, die Behörden kontrollieren nur stichprobenartig einzelne Betriebe. Laut dem Deutschen Bundesamt für Verbraucherschutz wurden 2021 bei 1,5 Prozent der landwirtschaftlichen Betriebe solche Kontrollen durchgeführt.
Ein Gerichtsprozess gegen das Umweltinstitut München lieferte jedoch umfangreiches Informationsmaterial für die Forschungsarbeit des Münchner Umweltinstituts. Die Auswertung der Daten, die im Südtiroler Pestizidprozess als Beweismittel sichergestellt wurden, ermöglichte konkrete Aussagen über Pestizide im Apfelanbau. Im Jahr 2017 hatte das Umweltinstitut München den hohen Pestizideinsatz in Südtirols Apfelanbau kritisiert – und war dafür vom Südtiroler Landesrat für Landwirtschaft und mehr als 1300 Bäuerinnen und Bauern wegen übler Nachrede und Markenfälschung vor Gericht gestellt worden. Der Prozess endete mit einem Freispruch – was blieb, war das umfangreiche Datenmaterial: Die untersuchten Betriebe hatten 2017 über den Untersuchungszeitraum von sieben Monaten hinweg Pestizide in teils hoher Frequenz und Menge eingesetzt. Mehrere davon stuft die Europäische Behörde für Lebensmittelsicherheit (EFSA) als »vermutlich fortpflanzungsschädigend« oder «vermutlich krebserregend« ein.
Belastet werden nicht nur jene, die diese Lebensmittel zu sich nehmen, sondern auch AnrainerInnen von Anbaugebieten. Denn werden Pestizide im Freien eingesetzt, entsteht Abdrift, und die liegt auch im wahrsten Sinne des Wortes in der Luft. Da bei der Ausbringung der Wirkstoffe der feine Sprühnebel mit dem Wind Hunderte Meter verweht werden kann, gelangen die Pestizide auch auf benachbarte Felder und in umliegende Gärten. Für Biobauern und Biobäuerinnen beispielsweise kann dies auch eine große ökonomische Bedrohung darstellen, denn wenn in ihren Produkten dadurch Rückstände chemisch-synthetischer Pestizide festgestellt werden, beschädigt das ihre Glaubwürdigkeit bei den KonsumentInnen. Außerdem setzen viele Zertifizierungen (etwa der Baby-Food-Standard) voraus, dass keine solchen Rückstände in den Produkten nachgewiesen werden können.
Bei höheren Temperaturen können Sprühnebel verdampfen, die Pestizide gelangen durch Thermik in höhere Luftschichten und werden viele Kilometer weit transportiert.
Die häufigsten Symptome einer akuten Pestizid-Vergiftung sind Augenbrennen, Atembeschwerden, Kopfschmerzen, Übelkeit oder Hautausschläge. Doch viele Menschen ordnen, wie Christine Vogt berichtet, die Symptome nicht der Abdrift zu oder ignorieren sie, auch um Konflikte zu vermeiden. »Bei manchen ist der Leidensdruck so hoch, dass sie etwas unternehmen müssen«, sagt Christine Vogt. Für Betroffene ist es jedenfalls schwierig, herauszufinden, welches Pestizid bei ihnen Vergiftungssymptome auslöst, vor allem, wenn die Landwirtinnen und Landwirte nicht auskunftswillig sind.
Am stärksten gefährdet sind jene, die selbst Pestizide anmischen und ausbringen. »Wir Bauern haben das höchste Risiko, wir sitzen ja quasi im Sprühnebel«, sagt der österreichische Landwirt und Mitarbeiter der AGES, Alois Leidwein, und ergänzt: »Jede und jeder, die oder der mit Pestiziden arbeitet, muss eine entsprechende Schulung absolvieren. Hier geht es um den Schutz der Umwelt und der Gesundheit, sowohl der eigenen als auch der von anderen.« Kein Landwirt, ist Leidwein überzeugt, würde mehr als das unbedingt notwendige Pflanzenschutzmittel einsetzen, denn: »Pestizide sind teuer.« Dass der Großteil der auf dem Markt verfügbaren Pestizide bei entsprechender Landwirtschaftsweise grundsätzlich gar nicht notwendig sind, zeigen sowohl manche konventionellen Betriebe, als auch Zigtausende Biobetriebe sowohl in Österreich als auch in Deutschland.
Zugelassene Gesundheitsschäden
Erst vor wenigen Tagen wurde bekanntgegeben, dass Parkinson in Deutschland als Berufskrankheit von Landwirtinnen und Landwirten anerkannt werden soll. In Frankreich ist das bereits seit zehn Jahren der Fall, denn längst ist bekannt, dass Parkinson durch den Kontakt mit Pestiziden ausgelöst werden kann. Die Liste der Gesundheitsgefahren, die von Pestiziden ausgehen, ist lang. Laut einer Studie der NGO Global 2000 sind auf 55 Prozent der Wirkstoffe, die nur in der konventionellen Landwirtschaft eingesetzt werden dürfen, verpflichtende Angaben zu Gesundheits- oder Umweltgefahren angebracht. Warnungen vor möglichen Schäden für das ungeborene Kind oder akuter toxischer Wirkung wurden bei 16 Prozent dieser Wirkstoffe gefunden. Dagegen waren bei keinem der im ökologischen Landbau genehmigten Wirkstoffe solche Warnungen angegeben.
Der in der Biolandwirtschaft am häufigsten eingesetzte Schwefel gilt laut AGES als »relativ ungefährliches« Pestizid. Eine Studie des National Institute of Environmental Health Sciences (USA) aus dem Jahr 2017 bringt die Anwendung von Schwefel in der Landwirtschaft jedoch mit verminderter Lungenfunktion bei Kindern in Verbindung. Kupfer wiederum gilt vor allem deshalb als problematisch, weil sich der Wirkstoff im Boden anreichert und sich wahrscheinlich negativ auf das Bodenleben auswirkt. Deshalb gibt es in der Biolandwirtschaft strenge Mengenbegrenzungen. In Deutschland wird im Biolandbau derzeit im Rahmen der sogenannten Kupferminimierungsstrategie eine weitere Reduzierung angestrebt. In Österreich gibt es derzeit kein vergleichbares Programm.
Laut EU-Gesetz dürfen Pestizide überhaupt nur dann zugelassen werden, wenn sie bei bestimmungsgemäßer Anwendung »keine sofortigen oder verzögerten negativen Auswirkungen auf die menschliche Gesundheit« haben. Dass mit dem Einsatz zugelassener Pestizide Gesundheits- und Umweltschäden entstehen, die im Zulassungsverfahren nicht ausreichend berücksichtigt wurden – oder dass die Anwendung nicht nach den gesetzlichen Bestimmungen erfolgt ist, muss dann von Betroffenen nachgewiesen werden. Beweise, die schwer zu erbringen sind.