2.000 Quadratmeter Platz für Ideen
Zwischennutzungen sind in Mode. Wohl deshalb, weil ganz unterschiedliche Akteure davon profitieren. In Wien geht gerade ein neues Zwischennutzungs-Objekt an den Start.
Stadt- und Raumplanung sind schon seit einer Weile Boom-Themen. Eine neue Welle der Urbanisierung und wachsendes ökologisches Bewusstsein, dazu die Gentrifizierung, ein Paradigmenwechsel in der Verkehrsplanung und die Bedürfnisse einer alternden Gesellschaft: alles große Debatten-Themen, nicht nur unter ausgewiesenen Urbanisten. Wem gehört die Stadt? Wer soll sie wie gestalten und wie sorgt man dabei für Nachhaltigkeit? Spannende Fragen. Urbane Nachhaltigkeit erreicht man nicht nur durch Urban Gardening, Fahrradwege und Öffentliche Verkehrsmittel. Einleuchtend. Zur Stadt gehören auch immer die Immobilien, die in ihr herumstehen. Die meisten davon befinden sich in privatem Besitz. Und wo privater Besitz eine Wertsteigerung erlebt, wird gerne spekuliert.
Leerstand dank Spekulation
Was Immobilienspekulation für Städte bedeuten kann, das kann man vielerorts besichtigen. Dafür muss man nicht in die spanischen Geisterstädte reisen, die der Immobilienboom dort vor ein paar Jahren hinterlassen hat. In jeder Stadt kommt man an Spekulationsobjekten vorbei. Oft sind es leerstehende Gebäude in Toplagen, die vor sich hin verrotten, während die Mieten ringsum steigen und man Probleme hat, bezahlbaren Wohnraum zu finden. Manchmal fehlt Immobilieneigentümern das Geld zum Renovieren, manchmal setzen sie auf steigende Preise. Andere Gebäude werden von großen Immobilien-Entwicklern bewusst leer stehen gelassen, um die Mietpreise für Büro- oder Wohnraum konstant hoch zu halten.
Die Nachfrage nach günstigem Raum ist in Städten meist größer als das vorhandene Angebot. Da wäre es doch sinnvoll, leerstehende Gebäude nutzbar zu machen. So in etwa lautet der Gedanke hinter dem Konzept der Zwischennutzung. Vorhande Immobilienfläche temporär zu nutzen, ohne in den Markt einzugreifen, damit es den Besitzern von Betongold bloß nicht allzu weh tut? Da ist ja jeder Hausbesetzer einen Schritt weiter! Möglich. Und trotzdem steckt hinter Zwischennutzungen ein Konzept, das eine Menge mit urbaner Nachhaltigkeit zu tun hat. Schließlich ist Leerstand eine Form von Ressourcen-Verschwendung. Und wo Raum als Ressource verschwendet wird, fehlt potenziell genau der Platz, an dem neue Ideen und Konzepte, also auch Arbeitsplätze und Lebensentwürfe entstehen können.
Zwischennutzung als Dauerthema
Margot Deerenberg ist Human-Geografin und stammt aus Amsterdam. Seit ein paar Jahren lebt sie in Wien, wo sich für sie vieles um Zwischennutzungen dreht. Zusammen mit Veronika Kovacsova, Leonie Spitzer, Günther Lichtenberger und Stephan Trimmel hat sie Paradocks ins Leben gerufen. Das Team realisiert gerade eine groß angelegte Zwischennutzung im Dritten Wiener Bezirk. Dort sollen auf 2000m² ehemaliger Bürofläche bis zu 65 Studios entstehen, verteilt auf sieben Etagen. 600m² sollen nach dem Shared Space Prinzip genutzt werden. Mit viel gutem Willen kann man bei dem zwischengenutzten Objekt von einem Bürohaus der Klassischen Moderne sprechen.
Das Immobilienunternehmen Conwert hat das Gebäude dem Team von Paradocks zur Verfügung gestellt. Für das Unternehmen ist die Zwischennutzung ein willkommenes Projekt. Für zwei Jahre kann die Immobilie so „unentwickelt“ bleiben, ohne leerzustehen. Das Shared-Space Konzept von Paradocks gefällt auch den Wiener Hochschulen. Kooperationen sind schon angedacht, heisst es beim Beauftragten für Universitäten und Forschung der Stadt Wien, Alexander von der Bellen.
Im Moment schaut in dem Haus noch alles nach Leerstand aus. Die Möbel sind noch nicht angekommen. Nur eine Terrasse mit selbst angebautem Rababer lockern die Arbeitsatmosphäre auf, die sich Margot Deerenberg und das Zwischennutzer-Kollektiv Paradocks hier geschaffen haben. Das wird sich bald ändern. Beim Projekt sind eine Interior Designerin und Social Design Studenten von der nahegelegenen Uni für Angewandte Kunst mit an Bord.
Raum für alle, die Platz für Ideen brauchen
Zwischennutzung, das hat etwas idealistisches an sich. Es geht darum, bestehenden Raum freizuräumen für Leute, die ihn sich eigentlich kaum leisten können. Das macht ihn interessant für junge Kreative. „Ein Problem bei Zwischennutzungen ist, dass zwar diese kreative, lockere und prozess-orientierte Atmosphäre herrscht, aber am Ende müssen doch ganz konkrete und verbindliche Verträge gemacht werden.“ Da fehle es oft auch auf Behördenseite an Erfahrungen. Deshalb sei es immer ein wenig chaotisch.
Die groß angelegte Zwischennutzung in der Marxergasse geht gerade in die entscheidende Phase. Ab dieser Woche läuft der offene Call für alle, die Interesse an den Räumlichkeiten haben. „Das Neue an diesem Projekt ist, dass wir uns ganz gezielt auch an Leute richten, die hier vielleicht ein Yoga-Studio betreiben wollen, oder Physiotherapie anbieten. Dafür eignen sich die Räume zum Glück auch. Es geht nicht nur um Künstler, Architekten und die Leute, die eh schon affin und am Thema dran sind. So viel Kreativität unter einem Dach zu vereinen, wie irgendwie möglich,“ wünscht sich Margot Deerenberg für das Haus und für Zwischennutzungen im Allgemeinen.
„Erst mit so einem mehrdimensionalen Blick können alle Potentiale von Zwischennutzung erforscht werden. Wir werden hier bestimmt noch spannendere Kooperationen sehen!“
Der Call richtet sich deshalb an alle, die Platz für ihre Ideen brauchen. Besichtigt werden kann das Haus – übrigens das ehemalige Bundesdatenzentrum – am kommenden Freitag, dem 28. März. Platz gibt es reichlich. 65 Studio-Räume sind prinzipell möglich.
www.paradocks.at
Marxergasse 24, 1030 Wien
Open House:
Fr, 28.03. 16:00-19:00 Uhr, anschl. Drinks & Music
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