Ottensheim. Oder: die Opposition im (öffentlichen) Obstgarten.
Drei Jahre lang haben die Bewohner Ottensheims gemeinsam Wildnis- und Gartenwissen gesammelt, Bäume gepflanzt und veredelt. Was bleibt? Projektleiter Christoph Wiesmayr im Interview.
BIORAMA: Drei Jahre lang lief das Projekt „Kostbare Landschaften Ottensheim“, in dem gemeinsam mit den Bewohnern von Ottensheim essbare Pflanzen und Fruchtgehölze auf den Überschwemmungs- und Brachflächen entlang der Donau gepflanzt wurden. Im vergangenen Herbst ist das Projekt offiziell ausgelaufen. Nun gegen Ende der 2. Erntesaison würde mich eine Einschätzung interessieren: Was bleibt davon?
Christoph Wiesmayr: Das Projekt war bewusst auf drei Jahre „Anlaufzeit“ konzipiert, mit dem Wunsch, dass es nach dieser Zeit zum Selbstläufer wird und von diversen Institutionen der Gemeinde einverleibt bzw. weiter getragen wird. Wenn ich jetzt nach Ottensheim komme, freut es mich, die Früchte dieser Jahre aufgehen zu sehen. In dieser Zeit konnte der Samen für die Projektidee in Anlehnung zum Konzept der „Essbaren Stadt“ gut in die Gemeinde getragen werden. Mir war es wichtig genug Zeit für partizipative Mitgestaltung engagierter Bürger und Vereine zu haben, die das Projekt mit ihren Ideen bereichert haben. Im ersten Jahr lag der Fokus auf Ideensammlung und Dialog. Dazu gab es einige Gruppentreffen, die ich mit Hilfe von Andrea Scheuringer (gewaltfreie Kommunikation) organisiert hatte. Meine Erfahrungen aus der Gründung von diversen Gemeinschaftsgärten in Oberösterreich haben mich zum Entschluss gebracht, dass eine pädagogisch ausgebildete Fachperson für diese Treffen nötig sein wird – um die vielen Anliegen, Wünsche und Bedürfnisse der Leute in den Griff zu bekommen. Als Architekt brachte ich in erster Linie organisatorische, raumplanerische und wenn nötig gestalterische Qualtäten ein. Schon im ersten Jahr konnten die ersten Gestaltungsideen umgesetzt werden. Was neben den entstanden Gärten bleibt ist vor allem der angewandte Know-how-Transfer, der wir über die zahlreichen Permakultur-Workshops passiert ist.
Wer betreut und wer nutzt nun das gemeinsam Geschaffene?
Christoph Wiesmayr: In erster Linie haben wir nur Projetkideen im Ort umgesetzt, die auch ihre Patenschaften haben. Das heisst: Jeder Garten, jeder Strauch hat zumindest einen „Kümmerer“, der sich eben drum kümmert. Es sind nun unterschiedliche Vereine wie SOWO (für die Streuobstwiesen Ottensheim und den Vermehrungsgarten), die Neue Mittelschule und Volksschule (für den Beeren-Naschgarten und den Lehmofen), sowie diverse Privatpersonen (für Naschgärten und den Permakulturgemeinschaftsgarten), die die jeweiligen Gärten betreuen. Es wurde von Beginn an ganz klar kommuniziert, dass keine Gemeinde-Betreuungskosten für die entstandenen Gärten aufgewendet werden können und dass die Bürger und Vereine lernen müssen ihren Gestaltungsraum selbst in die Hand zu nehmen. Dies ist uns auch zu 99 Prozent geglückt! Mir ging es wirklich um die Idee der Mitgestaltung und das macht nur Sinn, wenn die Leute selbstbestimmt mit ihren Rechten und Pflichten ihre Umgebung mitgestalten können und nicht erst Recht wieder der Bauhof der Gemeinde oder das Gartenamt einspringen muss, weil jemand dann doch keine Lust hat, das Unkraut zu zupfen.
Welche Pflanzen genau habt ihr entlang der Donau gepflanzt?
Christoph Wiesmayr: Der Schwerpunkt lag deutlich im Erhalt, der Pflege und der Fortpflanzung der „Streuobstwiese-Ottensheim“ direkt neben dem Donaualtarm, das als Natura-2000-Projekt gilt. Dazu haben wir eine lokale Gendatenbank im „Vermehrungsgarten“ mit ca. 400 veredelten Pflanzen (u.a. hochstämmigen Sorten); darunter: 255 Apfel-, 95 Birnen-, 41 Kirsch-, 23 Zwetschken- und 10 Marillensorten angelegt. Der aktuelle Stand über die diversen Sorten kann über den Verein (SOWO-Streuobstwiesen Ottensheim) abgefragt werden bzw. können über Vereinsspende sogar Pflanzen erstanden werden. Edelreiser aus der lokalen Streuobstwiese, die bei den Baumschnittworkshops im Februar geerntet wurden, werden dann direkt auf wilden Unterlagen (Weissdorn) weiterveredelt und sind somit vor Wildverbiss geschützt.
Über den gesamten Projektzeitraum hinweg gab es immer wieder Workshops, Kurse und begleitende Informationsveranstaltungen. Kommen die Ottensheimer künftig allein und ganz ohne fachkundige Beratung aus?
Christoph Wiesmayr: Ja, das war eines der Hauptanliegen. Unser „Know-how Transfer“, über die Workshops Wissen anzueignen, das man dann selbst im eigenen Garten anwenden kann, hat Früchte getragen. Besonders die Baumschnittkurse- und Veredelungskurse sind bei der Bevölkerung gut angekommen und werden auch aktuell noch nach Projektlaufzeit in Ottensheim über den Verein SOWO angeboten.
Unter Urban Gardenern erfreut sich das Prinzip der „Essbaren Landschaft“ mittlerweile weltweit großer Beliebtheit. Euch war in Ottensheim offensichtlich ein Permakultur-Ansatz besonders wichtig. Warum?
Christoph Wiesmayr: Der ganzheitliche Ansatz der Permakultur ist ein probates Modell, um unsere verletzte Umwelt und die monokulturell dem stetigen Wachstum unterworfenen Landwirtschaft zu heilen. Natürlich passiert das nicht von heute auf morgen und ein Hochbeet alleine wird die Welt nicht retten. Doch ob Hochbeet oder Streuobstwiese – alles steht schlussendlich miteinander in Verbindung. Und wenn natürliche Kreisläufe verstanden und wieder in Beziehung gebracht werden können, dann wird etwas spürbar und fängt Schritt für Schritt an wieder „Sinn“ zu machen. Bei den Hochbeeten im Permakulturgarten wurde keine Kunststofffolie, statt dessen stärkeres Lärchenholz verwendet. Für den Humus keine Torferde aus dem Baumarkt, sondern Biopferdemist, vorverrotteter Grasschnitt aus der Umgebung und Hackgut vom Baumschnitt aus der Streuobstwiese. Besondere Unterstützung haben wir durch das Team von Josef A. Holzer bekommen, das bei allen Workshops wie Baumschnitt, Veredelung und beim Anlegen der Naschgärten mit Rat und Tat zur Seite gestanden ist. Im Vorfeld hab ich Josef A. Holzer gebeten, der nun schon seit einiger Zeit den Krameterhof seines Vaters im Lungau übernommen hat, uns zum Schutz der Streuobstwiesen in Ottenseheim ein Konzept zu erstellen. Schwerpunkt dieses Konzeptes war nicht ein konservatorischer Zugang, sondern wieder eine aktivere Nutzung der Streuobstwiesen. Die Workshops und das damit generierte Wissen um die Streubstwiesen, sowie der Vermehrungsgarten sind gelungene Resultate auf die man stolz sein kann. Heuer gab es einen beträchtlichen Sturmschaden und man kann nun auf junge Bäumchen, die jetzt schon bis zu 3 Meter Höhe herangewachsen sind, zurückgreifen. Es ist dies ein unbezahlbarer kultureller Schatz. Weiters wird vom Verein SOWO ein jährliches „Obstklauben“ organisiert, bei dem die Früchte geerntet werden und zu Apfelsaft gepresst oder weiter zu Schokolade verarbeitet werden. Auch mit Schulgruppen direkt vor Ort wird Saft gepresst.
2013 gab es auch in Ottensheim weitreichende Überschwemmungen. 2014 habt ihr begonnen, die Überschwemmungsflächen zu bepflanzen. Wie hochwassergefährdet sind denn die gemeinsam angelegten öffentlichen Naschgärten?
Christoph Wiesmayr: Das war ja genau die Herausforderung, sich besonders mit diesen Flächen zu beschäftigen. Die in den lezten Jahren stark zunehmenden Hochwässer sind Resultat des Klimawandels, falscher Raumplanung und monokultureller Nutzung in der Landwirtschaft. „Das Steinzimmer“ befindet sich genau am Rodlspitz, wo das Hochwasser den Park und die frisch angelegten „Pflanzenzimmer“ zerstört hat. Es ist eine aus Granisteinblockresten geformte Sitzbank des 2013 zerstörten Hochwasserdamms und ermöglicht einen schönen Ausblick auf die entstandene renaturierte Au auf der gegenüberliegenden Donauseite. Der Lehmofen am Rodlfestivalgelände – die Rodl ist ein Bach, der an dieser Stelle in die Donau mündet – wie auch der Infokiosk bei der Schiffsanlegestelle sind zu 100 Prozent aus Naturbaustoffen wie Lehm und Holz gebaut. Der „Lehmofen“ kann somit von der Donau selbst wieder einverleibt werden. Der Infokiosk, bestehend aus einer Holzkonstruktion, kann, wenn nötig, zwei Tage vor Hochwasser mit einem Traktor abtransportiert werden. Der Kiosk hat kein festes Fundament und Teile der Außenwand bestehen aus einfachem Scheitholz, die Stampflehmwand kann herausgebrochen werden.
Die Streuobstwiese selbst steht auch im Hochwassergebiet und ist selbst Indiz dafür, dass sie seit Jahrzehnten dem Hochwasser Stand hält. Ursprung vieler Obstbäume ist ja die Au selbst.
Nichts ist perfekt. Welche Fehler sind euch denn rückblickend beim Aufforsten der „Kostbaren Landschaften Ottensheim“ passiert?
Christoph Wiesmayr: Es sind kaum Fehler passiert! Bei den Verdelungsworkshops im Vermehrungsgarten haben die Workshopteilnehmer unter Anleitung vom Team Holzer echt gute Arbeit geleistet: Es sind über 80 Prozent der Bäumchen angewachsen! Sie durften damals sogar ein paar Bäumchen für den eigenen Garten mitnehmen. Am Donauufer haben wir versucht wilde Kischbäumchen zu veredeln. Das ist uns nicht gelungen weil das Edelreis schon zu trocken war, nur ein Baum ist gelungen. Aber es ist dabei nichts verloren, es handelt sich dabei ja um Learning By Doing, also das praktische Üben des zuvor Gelernten. Die Bäume sind ja deswegen nicht gestorben. Schwieriger jedoch gestalt sich ein guter Dialog mit unterschiedlich orientierten Mensch, hier bemerke ich viel Aufholbedarf in einer egostrapazierten Gesellschaft.
Ließe sich Vergleichbares überall umsetzen?
Christoph Wiesmayr: Nur unter anderen Voraussetzungen. Selbst in Berlin werden an der Spree in Kreuzberg seit einiger Zeit Urban-Permaculture-Seminare abgehalten.
Die Donau weiter stromabwärts gedacht: Welche Gegenden in Wien würden sich denn besonders gut als „Essbare Landschaft“ und für „Wild Food“ eignen?
Christoph Wiesmayr: Ja, da gäbe es sicher genug Möglichkeiten, besonders auch in der Seestadt Aspern wäre es wünschenswert, neben den dicht bebauten Wohnquartieren das Thema der „Essbaren Stadt“ besser einzuflechten, hier engagiert sich der Verein „Gartenpolylog“. Meines Wissens gibt’s da auch einen Gemeinschaftsgarten. Paradoxerweise hat man aber Abneigung, neben Gemüse Obstbäume zu pflanzen. Viele Ängste tun sich da auf. Angst davor, dass Menschen auf Kirschbäume klettern und vom Baum fallen können. Oder Immobilienhaie keine Bäume mögen, da ein Baumbestand das Baurecht einschränken kann. Zum Glück gibt es Bestrebungen mehrerer Vereine das Projekt „Obststadt Wien“ (analog zur „Obststadt Wiener Neustadt“, Anm.) umzusetzen.
Als Architekt und Landschaftsplaner beschäftigst du dich seit vielen Jahren mit Urban Gardening. Wie siehst du dessen gegenwärtige Entwicklung? Was kommt nach dem Hype?
Christoph Wiesmayr: Nach dem Hype kommt hoffentlich mehr Bewußtsein für ökologisch angebaute Lebensmittel, die kein Supermarkt anbieten kann. Ich sehe Urban Gardening als eine zwingende parallele Entwicklung zu unseren wirtschaftlichen und ökologischen Krisen. Solange unser politisches System noch stärker auf die rein auf Wachstum orientierte Einbahnstrasse setzt wird es auch eine starke Opposition brauchen – und die Keime davon gedeihen in so manchen Gemeinschaftsgärten. In Oberösterreich sind seit 2012 über 100 Gemeinschaftsgartenprojekte entstanden. Das ist doch schon einmal ein guter Anfang.
Weiterlesen? Werner Sturmberger hat recherchiert, in welchen Weltgegenden Urban Gardening eine Frage des Überlebens darstellt.