Ortsumfahrungen: DURCH DEN ORT VS. UM DEN ORT

Ortsumfahrungen sind ein heißes Eisen in der Regionalpolitik. Je nach Standpunkt gibt es großes Fürsprechen oder Gegenbewegungen. Oft geht die Initiative für ein solches Projekt von Bürgerinnen und Bürger aus, die in der Nähe von stark befahrenen Hauptstraßen leben. Die Wechselkröte wird es ihnen allerdings wenig danken, wenn ihr Weg zum Laichplatz über eine Schnellstraße führt. Umfahrungsstraßen haben unterschiedlichste Auswirkungen auf Ortschaften und deren Umgebung.  Hier die Top 10 der maßgeblich betroffenen Bereiche:

1. Lärm- und Emissionsbelastung

Der meist genannte Grund für Umfahrungs-Projekte ist eine Verkehrsberuhigung in Ortschaften. Die Lärm- und Schadstoffbelastung wird für Menschen, die an Durchfahrtsstraßen leben mittels der Verkehrsverlagerung minimiert. Allerdings erfüllt sich die  Erwartungserhaltung der Anrainerinnen und Anrainer nicht immer, da der Binnen-, Ziel- und Quellverkehr bestehen bleibt. Um eine spürbare Verbesserung der Lärmbelastung zu erreichen, müsste das Verkehrsaufkommen um mindesten die Hälfte gesenkt werden.

2. Neuverkehr

Neue Straßen, dazu gehören auch Umfahrungsstraßen, erhöhen das Verkehrsaufkommen in der Region bis zu 20 Prozent, in extremen Fällen sogar bis zu 30 Prozent. Durch die Verkürzung von Wegstrecken und/oder Fahrzeit steigt die Attraktivität des motorisierten Individualverkehrs. Demzufolge werden Einkäufe mit dem Auto erledigt, die man früher mit dem Fahrrad oder zu Fuß in seinem Heimatort getätigt hat. Auch werden die Fahrten länger, da bis in das nächste größere Dorf, die nächste Stadt oder zu Einkaufszentren gefahren wird.

3. Kaufkraft

Bei der Verwirklichung von Ortsumfahrungen besteht die Gefahr der Abwanderung von Kaufkraft aus dem Ort zu Supermärkten und Einkaufszentren auf der „Grünen Wiese“ oder in die nächste Stadt. Dies hat das Aussterben des Einzelhandels im Zentrum zu Folge und damit vermindert sich die lokale Lebensqualiät. Um dem Entgegenzuwirken ist neben der Verlagerung des Verkehrs auch die Aufwertung des Zentrums mitzudenken.

4. Trassenführung

Der Verlauf von Umfahrungsstraßen muss in langfristigen Infrastrukturplanungen im Rahmen der örtlichen Raumplanung festgelegt werden. Das bedeutet eine vorausschauende Bereitstellung von Grundstücken in Regional- und Flächenwidmungsplänen. Neben bautechnischen Erfordernissen sind dabei wirtschaftliche und politische Interessen der involvierten Gemeinden, Regionen und des Bundes wesentlich. Letztlich spielen auch ökologische Rahmenbedingungen eine beachtenswerte Rolle.

5. Ökologische Folgen

Straßen und Baustellen haben weitreichende Wirkungen auf Ökosysteme. Die Einwirkung von Lärm, Schadstoffen und Erschütterungen schwächen und verändern die Tier- und Pflanzenwelt in der Umgebung. Durch die Trennwirkung von Straßen können Funktionszusammenhänge durchbrochen werden, was weitreichende Folgen haben kann. Deshalb können Schutzgebiete und Rote-Liste-Arten eine Umfahrungsprojekt sogar verhindern. Mittels unterschiedlichen Maßnahmen der Straßenbegleitplanung werden schädigende Auswirkungen reduziert. Dazu gehören unter anderem eine ökologische Bauaufsicht, Ausgleichsflächen und Querungshilfen für Wildtiere

6. Regionale Ressourcen

Neben den ökologischen Folgen können große Baustellen und neue Straßenführungen auch Auswirkungen auf den Boden, Grund- und Oberflächenwasser haben. Die Bodenbeschaffenheit kann sich durch Verdichtung, Erschütterungen und Schadstoff-Immissionen verändern. Ähnliches trifft auf das vorhandene Oberflächen- und Grundwasser zu. Zusätzlich wird durch die Oberflächenversiegelung der Fahrbahn und das von dort abfließende Wasser der Wasserhaushalt verändert. In Überschwemmungsgebieten kann eine Straße aber auch gleichzeitig als Damm genutzt werden, wie das auf der Stockerauer Schnellstrasse abschnittsweise umgesetzt wurde.

7. Klima

Der veränderte Wasserhaushalt und die Wärmeemission der Asphaltoberfläche beeinflussen in jedem Fall das Kleinklima, in manchen Fällen auch das lokale Klima. Damit können sich Wärme- und Windströme, die auch die Ortschaft selbst betreffen verändern. Zudem trägt das vermehrte Verkehrsaufkommen, wie bekannt, zur globalen Erderwärmung bei.

8. Strukturveränderungen

Eine Umfahrungsstraße hat großen Einfluss auf das Landschaftsbild. Die Fahrbahn an sich ist ein prägendes Element, welches durch Anpassungen der Topografie (Einschnitte und Aufschüttungen) und Veränderungen von Baumpflanzungen noch deutlicher hervorsticht. Die künftige Modifikation von Siedlungserweiterungsgebieten werden durch Ortsumfahrungen stark begrenzt. Deshalb sind hierbei weit vorausschauende Entwicklungspläne essenziell. Wie schon oben erwähnt, ist mit dem Wegfall des Starkverkehrs eine Verbesserung der Ortsbildes möglich.

9. Wirtschaftliche Entwicklung

Zu den klassischen Standortfaktoren von Gewerbegebieten gehört eine optimale Verkehrsanbindung an Straße und Schiene. Viele Gewerbebetriebe sind auf den motorisierten Individualverkehr ausgerichtet und setzen bei der Standortwahl eine entsprechende Struktur voraus. Für die ökonomische Entwicklung der Region sind solche Wirtschaftszentren ein wichtiger Faktor. Wobei auch hier wieder der Erhalt des Lebensraumes für Mensch und Natur in zukunftsweisenden Konzepten beachtet werden muss.

10. Geld

Der Bau und die Erhaltung von Umfahrungsstraßen kostet Geld, viel Geld. Viele dieser Verkehrswege sind Bundesstraßen (Schnellstraßen und Autobahnen) und werden aus dem Budget für Infrastruktur vom Land Österreich finanziert. Für andere Straßen kommt das jeweilige Bundesland bzw. die entsprechende Gemeinde auf. Manchmal gibt es auch Zuschüsse von der EU, besonders wenn die Anbindung an östliche Nachbarländer verbessert wird. Fraglich ist, wie sinnvoll ein weiterer Ausbau des Straßennetzes in Bezug auf eine nachhaltigen und klimaschonenden Verkehrsentwicklung ist. Die aufgewendeten Ressourcen fehlen bei der Verbesserung des öffentlichen Nahverkehrs, der Bahn und der Entwicklung von Alternativkonzepten.

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