Nyéléni Austria: Agrarpolitik von unten

Pfirsich

Bild: flickr.com/blumenbiene – CC BY 2.0

Vom 13. bis 17. April 2014 findet im Schloss Goldegg in Salzburg das erste österreichische Forum für Ernährungssouveränität Nyéléni Austria 2014 statt. Es werden dort Strategien erarbeitet, welche der Bevölkerung wieder mehr Selbstbestimmung hinsichtlich ihrer Ernährung und Landwirtschaft ermöglichen soll. Es keimt eine neue Agrarpolitik „von unten“. BIORAMA hat vorab mit Brigitte Reisenberger von FIAN Österreich und Ludwig Rumetshofer von der Österreichischen Bergbauern Vereinigung gesprochen. Beide sind an den Vorbereitungen zum Nyéléni Austria 2014 beteiligt.

 

BIORAMA: Ernährungssouveränität ist ein relativ neuer Begriff. Was ist damit gemeint?

Ludwig Rumetshofer: Ernährungssouveränität fordert das Recht, dass Menschen über ihre Ernährung selbst bestimmen. Dies fängt an bei der Produktion, geht über die Verteilung von Lebensmitteln bis hin zum Konsum. Es sollten alle Akteure, die an der Nahrungskette teilhaben, mitbestimmen können was auf den Tellern landet und wie das produziert und verteilt wird. Das steht dem aktuellen Agrar- und Ernährungssystem diametral gegenüber, indem nicht wir, also die Bürger und Bürgerinnen darüber bestimmen was auf den Tisch kommt, sondern das sehr stark von einer weltweit tätigen Agrarindustrie beeinflusst wird. Ernährungssouveränität setzt hier einen Kontrapunkt.

BIORAMA: Als Österreicher oder Österreicherin könnte man sich fragen: Wozu brauche ich Ernährungssouveränität? Die Nahrungsmittel sind hier doch leicht verfügbar. 

Brigitte Reisenberger: Man muss sich dann aber auch die Frage stellen: Welche Lebensmittel sind es, die leicht verfügbar sind? Also wenn man das Angebot im Supermarkt ansieht, dann findet man dort überwiegend Produkte des industriellen Agrarmodells. Die hohe Konzentration auf wenige Hersteller und wenige Supermarktketten ist ein großes Problem. Außerdem ist es auch in Österreich nicht mehr so, dass alle Personen leicht Zugang zu ausreichend und gesunden Lebensmitteln haben. In den letzten Jahren ist der Zulauf bei Sozialmärkten und Tafeln stark angestiegen. Schon alleine das zeigt, dass sich was ändern muss. Auch die Produktionsbedingungen muss man sich anschauen. Beispielsweise haben 2013 in Tirol Erntehelfer wegen der miserablen Arbeitsbedingungen und der schlechten Bezahlung gestreikt. Diese Ereignise bleiben für die breite Öffentlichkeit oft fast unsichtbar, wodurch der falsche Eindruck entstehen könnte: „Bei uns ist ohnehin alles in Ordnung.“

Brigitte Reisenberger

Brigitte Reisenberger

Ludwig Rumetshofer: Die bei uns relativ leichte Verfügbarkeit fußt auch auf der Ausbeutung von LandarbeiterInnen und Ressourcen in ärmeren Ländern. Um den Energiebedarf der industriellen (Fleisch-)Produktion zu decken, werden Futtermittel und somit Energie  bei uns importiert. Dadurch kommt es einerseits zur Flächenkonkurrenz in den Ländern des Südens und andererseits wird in unseren Breiten einem energieintensivem, klimabelastenden Produktionsmodell Vorschub geleistet, anstatt ein kreislauforientiertes Modell zu fördern.

BIORAMA: Der ehemalige Landwirtschaftsminister Nikolaus Berlakovich hat einmal gemeint, dass die Agrarpolitik an der Supermarktkasse entschieden wird. Ist das so?

Brigitte Reisenberger: Da versucht sich die Politik, welche die Rahmenbedingungen schafft und mitbestimmt, welche Nahrungsmittel wie produziert und verteilt werden, vollkommen aus der Verantwortung zu nehmen. Damit werden die Menschen nur mehr als Konsumenten und Konsumentinnen wahrgenommen, welche nur mehr beim Einkauf Entscheidungen treffen können. Sie werden aber leider nicht mehr als politischer Mensch bzw.  als Bürger oder Bürgerin wahrgenommen. Genau da setzt Ernährungssouveränität an und fordert einen politischen Prozess, an dem sich alle beteiligen können.

BIORAMA: Vertreter der industriellen Landwirtschaft meinen, dass eine Industrialisierung einfach notwendig ist um die wachsende Weltbevölkerung zu ernähren. Stimmt das? 

Brigitte Reisenberger: Das ist ein Mythos, der sich leider sehr gut hält. Im Weltagrarbericht kann man lesen, dass weltweit so viel produziert wird, dass man neun Milliarden Menschen ernähren könnte. Der absolute Großteil wird von Kleinbauern und Kleinbäuerinnen produziert. Es geht um Verteilungsfragen, die außen vor gelassen werden. Besorgniserregend ist, dass Agrarkonzerne unter anderem mit Hilfe der G8 in Gegenden vordringen, wo kleinbäuerliche Landwirtschaft die lokale Bevölkerung ernährt. Es geht in vielen Fällen darum, neue Märkte für Gentechnik-Saatgut zu erobern. Oder Futtermittel und Biotreibstoffe für den europäischen Markt zu erzeugen.

BIORAMA: Wie wird nun das Forum für Ernährungssouveränität ablaufen?

Ludwig Rumetshofer: Es werden ca. 250 Menschen aus dem deutschsprachigen Raum zusammenkommen um sich darüber auszutauschen, wie der Weg zu mehr Ernährungssouveränität aussehen kann und um einen gemeinsamen Aktionsplan zu entwickeln. Wer noch teilnehmen möchte kann sich bei der Vorbereitungsgruppe in dem jeweiligen Bundesland melden. Das Forum ist Teil eines Prozesses, der nach dem Forum weitergehen soll. Man kann sich also auch nach dem Nyéléni Austria am Nyéléni-Prozess beteiligen.

Ludwig Rumetshofer

Ludwig Rumetshofer

BIORAMA: Wer wird da teilnehmen?

Brigitte Reisenberger: Menschen, die in das Lebensmittelsystem involviert sind. Bauern, Bäuerinnen, Produzenten, Leute aus der Wissenschaft, NGOs, Vertreterinnen von Gewerkschaften, Köche, Köchinnen, kritische Konsumenten, also relativ breit. Wir erwarten Teilnehmer aus allen Regionen Österreichs und aus dem Umland.

BIORAMA: Was wünscht ihr euch? Wie soll es danach weitergehen? 

Brigitte Reisenberger: Ein Ziel ist es, dass es nach dem Forum besser vernetzt, besser abgestimmt, mit sehr viel Energie und neuer Motivation weitergeht in der Bewegung für Ernährungssouveränität. Ich hoffe, dass die Regionalgruppen, die es seit kurzem gibt, weiter aktiv sein werden. Ich bin zuversichtlich, dass auch Leute sektorenübergreifend sehen, dass sie sich für die selben Ziele einsetzen und neue Allianzen geschmiedet werden.

Ludwig Rumetshofer: Ich hoffe, dass es durch stärkere Vernetzung innerhalb der Bewegung möglich wird, der industriellen Landwirtschaft mehr entgegensetzen zu können. Ein weiteres Ergebnis wird ein Strategieplan sein, der beschreibt, wie man gemeinsam in der großen heterogenen Bewegung für Ernährungssouveränität weitermacht.

 

Die Zeit ist reif für Ernährungssouveränität!

Nyéléni Austria 2014
Österreichisches Forum für Ernährungssouveränität
13. bis 17. April 2014
Goldegg (Salzburg), Schloss Goldegg

www.ernährungssouveränität.at

 

 

VERWANDTE ARTIKEL