Shoppingdiät: Gezielter Verzicht
Seit 15. Jänner 2012 hat Nunu Kaller kein Modegeschäft mehr betreten. Obwohl – betreten wahrscheinlich schon, nur hat sie es jedes Mal ohne Einkauf wieder verlassen. Das liegt weder an den hohen Preisen, noch an der aktuellen Kollektion. Denn sie hat ein Experiment gestartet: ein Jahr ohne Kleidungsshopping. Im Interview erzählt Kaller, wie sie auf diese Idee kam, warum öko eigentlich nur ein anderes Wort für das Leben unsere Großelterngeneration ist und welche Auswirkungen Überforderung auf unser tägliches Konsumverhalten hat.
BIORAMA: Du hast dir vorgenommen, ein Jahr lang keine Kleidung mehr zu kaufen. Was sind deine Beweggründe für diese Aktion?
Nunu Kaller: Letztes Jahr bin ich zufällig auf einen Artikel von einer Frau gestoßen, die eine Modediät gestartet hat. Das klang für mich wie eine Erleichterung, denn immer, wenn ich Probleme hatte, habe ich mich mit Shopping getröstet. Ich hatte überhaupt keinen Überblick mehr über meine Sachen. Außerdem habe ich neu gekaufte Kleidung sogar schon vor meinem Freund im Schrank versteckt. Zu den Beweggründen zählte aber auch, dass ich seit 3 Jahren im NGO Bereich arbeite und es langsam nicht mehr verantworten kann, in einem 5-Euro-T-Shirt durch die Gegend zu laufen.
In deinem Blog schreibst du, dass du dir eine Excel-Liste anlegen musstest, um dich in deinem Kleiderschrank orientieren zu können. Wo würdest du persönlich die Grenze zwischen Notwendigkeit und Luxus ziehen?
Was Kleidung angeht: wenn ich Garderobe für drei Wochen habe, ohne waschen zu müssen, dann reicht das völlig. Aber diese strenge Trennung: was brauche ich und was ist Luxus, mag ich eigentlich nicht. Für mich ist Luxus, wenn ich mir ein neues Buch kaufe. Ich habe es in der Hand, ich fühle und rieche es. Für einen Freund von mir ist der neue Kindle ein Luxus. Was für mich wiederum ein Horror ist, weil ich dieses haptische Erlebnis brauche. Und wieder Andere definieren Luxus über ihre neue Gucci-Jacke. Ich denke, das ist immer eine subjektive Definition.
Du hast festgelegt, dass du dir selbst Dinge nähen darfst und Freunde dir Kleidung schenken können. Das klingt für mich wie ein Raucher, der „nur“ beim Fortgehen raucht oder „nur“ wenn ihm eine Zigarette angeboten wird. Inwieweit geht es dir tatsächlich um ein „Umdenken“ in Bezug auf Konsum?
Ich denke, es kann sich jeder seine eigenen Regeln aufstellen. Es gab einen ORF-Artikel über meine Aktion und nach der Veröffentlichung habe ich viele positive Zuschriften bekommen. Ein paar Leute haben sich angehängt und jeder hat sich eigene Regeln gesetzt. Eine Frau meinte, sie will in allen Lebensbereichen verstärkt auf die Herkunft von Produkten achten. Eine Andere hat erzählt, sie könne nicht ohne Nagellack leben. Deswegen ist bei ihrem Shoppingverzicht alles verboten – außer Nagellack. Das Selbst-Produzieren habe ich festgelegt, weil ich sehen wollte: Wie viel Arbeit steckt dahinter? Wovon ich wegmöchte, ist diese Fast-Food-Kultur in der Bekleidungsindustrie.
Inwiefern siehst du in Konsumfragen Bereiche wie die Werbebranche in der Verantwortung?
Es läuft sicher sehr viel auf der unterbewussten Ebene ab. Zum Beispiel diese Zeitschrift, in der ich den Artikel über die Modediät entdeckt habe: Ich blättere zwei Seiten weiter und da steht eine tolle Dessouswerbung. Es ist komplett absurd. Ich bin aufgewachsen mit Kleidung, die auch schon meine Brüder getragen haben. Dann bin ich mit 19 ausgezogen und habe quasi neben einem H&M gewohnt – und vorbei war es mit dem Ganzen. Gerade mit 19 oder 20 schafft man sich ja auch optisch eine Identität. Das Problem hängt jedenfalls nicht nur mit der Werbebranche zusammen, sondern insgesamt mit dieser Fast-Food-Kultur. So ein System finde ich erschreckend, das hat keine Zukunft.
Diese Systemkritik sprichst du in deinem Blog nicht direkt an. Sollte ein Nachdenken über Konsum, nicht immer auch ein Nachdenken über gesellschaftliche Fragen sein?
Ich bin nicht missionarisch unterwegs. Das bin ich im Job, ich bin Pressesprecherin von Global 2000. Die Modediät ist mein Projekt und in meinem Projekt will ich Niemandem etwas aufzwingen. Es ist ein Test, und ich teste meine eigene Konsequenz. Ich bin ein politischer Mensch. Trotzdem habe nicht vor, mit diesem Blog die Welt zu verbessern. Die Grenzen zu meinem Job sind ohnehin fließend, es ist aber trotzdem mein eigenes Projekt.
GLOBAL 2000 richtet unter dem Motto „Der gute Style“ momentan einen Wettbewerb für junge Leute aus. Wie präsent ist das Thema nachhaltiges Konsumieren bei Jugendlichen?
Wir sind mit dem Style-Wettbewerb dann wirklich erfolgreich, wenn H&M tatsächlich Umsatzeinbußen hätte. Aber das – und so realistisch muss man sein – wird nicht passieren. Aber bereits jetzt zeigt die Resonanz, dass wir ein Thema erwischt haben, dass die jungen Leute auch „packt“ – und dass da ein Umdenken zu sehen ist, freut uns. Wir haben einen Schulungsfilm für Jugendliche gemacht und touren damit durch Österreich. Wir erreichen viele Schüler und Schülerinnen, aber das ist nur ein Bruchteil. Und wiederum nur ein Bruchteil davon, nimmt wahrscheinlich auch tatsächlich die Message mit. Ich fürchte, der Großteil der Jugendlichen denkt sehr konsumorientiert. Das Interesse für das Thema ist aber da, das sieht man auch an den Leserzahlen meines Blogs. Man muss da ganz optimistisch sagen: Jede und jeder, bei der oder dem ein Umdenken in die ökologische Richtung einsetzt, ist ein kleiner Schritt in die richtige Richtung.
Dein Ziel ist es, in Zukunft nachhaltiger und ökologischer zu konsumieren. Das würde bedeuten, nur noch in Weltläden oder ähnlichen Einrichtungen einzukaufen. Deine bisherigen Shoppingziele wie H&M fallen damit weg….
Beim Thema Konsum ist es generell schwer, immer alles richtig zu machen. Meine Weste ist von H&M und ich habe mich beim Kauf unglaublich toll gefühlt, weil sie aus Biobaumwolle ist. Dann lese ich den CSR-Report und merke: das ist nur Greenwashing. Wenn man einmal anfängt, sich mit diesen Punkten zu beschäftigen, macht man sich ein riesiges Feld auf. Und genau da setzt die Überforderung ein. Wenn ich beschließe, mir etwas zu nähen, vermeide ich zwar, dass eine arme Näherin in Bangladesch einen Mindestlohn kassiert. Aber wo kommt der Stoff eigentlich her? Da bin ich wieder bei der ökologischen Frage. Würde ich den Ökogedanken konsequent umsetzen, müsste ich irgendwo am Land leben, ein Beet im Garten haben und Tiere halten. Das ist aber für mich einfach nicht realistisch. Oft denke ich mir: Es geht gar nicht um „nur öko“ – es geht einfach darum, wieder die Werte zu berücksichtigen, nach denen meine Großmutter gelebt hat. Dazu gehört selbst nähen genau so wie qualitativ und regional einkaufen. Die Frage ist nur: Wo ist der Weg dahin – für mich als „modernen“ Stadtmenschen?
Man könnte also sagen: Man kann nicht alles richtig machen, aber man kann versuchen, möglichst wenig falsch zu machen….
Ich glaube, dass man sich Bereiche aussuchen kann. Ich selbst merke, wie gut es mir tut, dass ich mich komplett auf einen Bereich konzentrieren kann. Das soll jetzt keine Schutzrede für mich sein, aber ich denke, es ist schon viel getan, wenn sich die Menschen zumindest in einem Bereich ihres Lebens intensiv mit einem Thema auseinandersetzen. Alles andere ist zu viel erwartet. Da erreicht man nur eine sehr kleine Gruppe, die das tatsächlich in die Tat umsetzt. Ich bewundere diese Leute sehr, aber ich freue mich auch schon, wenn es im Kleinen anfängt.
Blog von Nunu Kaller: ichkaufnix.wordpress.com
Global 2000-Style Wettbewerb: www.der-gute-style.at
Kleidertauschparty: Wer sich Nunu Kallers Idee anschließen möchte oder ganz einfach nur so Lust zum Kleidertauschen hat, dem sei die Kleidertauschparty am 7. Mai 2012 ab 15 Uhr im Dellago am Yppenplatz empfohlen.