Nina, Stadtkind trifft Natur
Was muss passieren, damit sich ein überzeugtes Stadtkind eine Nacht in der Natur verbringen will? Und vor allem: Was passiert dann dort vor Ort? Nina Mohimi hat ihr kleines Abenteuer für uns festgehalten.
Mogli, Sheena und Nell, was haben mich als Kind diese Figuren fasziniert, die im (Ur-)Wald großgeworden sind. Ich bin quasi die umgekehrte Version davon.
Ich bin während meiner Kindheit mit so gut wie keiner Natur im Inland in Berührung gekommen. Die Ausnahme waren Seen, wo ich stundenlang nur damit beschäftigt war, Steine zu sammeln. Oder Zoobesuche in Schönbrunn und Co., aber ich vermute das zählt nicht als Natur.
1999 bin ich auf einem Bauernhof von Freunden das erste Mal in einem Stall gewesen. Meine spontane erste Aussage „Warum macht denn keiner sauber hier?“ ist bei meinen alten Freunden bis heute ein ganz großer Lacher.
Ich bin auch bis vor kurzem jemand gewesen, der Batterien in den Müll geworfen hat. Was natürlich in meinem (fast durchwegs sehr grünen Freundeskreis) für Fassungslosigkeit gesorgt hat – nicht nur die Tatsache an sich, sondern mein fehlendes Versteckenwollen davon. Aber das ist bei allen Dingen so – ich mag es nicht, wenn Leute so tun als ob.
Der Wald, ein gruseliger Ort
Wandertage in der Schule waren mir ein Graus, viel lieber bin ich in Museen gegangen, habe gelesen oder bin in Kaffeehäuser gegangen. Was Menschen daran begeistert hat, einen Berg rauf und wieder runter zu gehen, ist mir völlig schleierhaft gewesen. Allerhöchstens ein Picknick auf einer Wiese, ja das war ok. Im Park idealerweise.
Der Wald selber war für mich ein gruseliger Ort, wo man mit hoher Wahrscheinlichkeit auf Serienmörder trifft – weil, wer sollte sich da sonst aufhalten? Nein, das ist kein Scherz – ich habe spätestens seit Twin Peaks den Wald immer mehr als spooky gefunden.
Über die Kulinarik zur Natur
Mitte 30 dann hat sich einiges verändert. Ich habe mich mehr und mehr (privat und beruflich) mit kulinarischen Themen beschäftigt und da passiert es dann automatisch, dass man bei der Natur ankommt. Über den Umweg der Lebensmittel und deren Herkunft. Irgendwann sitze ich daheim, esse eine Handvoll Erdbeeren aus dem Garten von Freunden und fühle mich plötzlich in die 80er-Jahre versetzt, wo Erdbeeren das erste Zeichen für Sommer waren. Die Süße, der Geruch. Wie damals. Das ist mir ewig schon nicht mehr passiert, weil ich immer nur irgendwelche halbreifen Früchte aus gottweisswo gekauft habe.
Überhaupt finde ich es ziemlich super, wenn ich mal in Gärten irgendein Obst oder Gemüse selber ernten kann. Selber habe ich ja eher den tödlichen Daumen, statt einem grünen – bei mir überlebt nicht mal ein Kaktus.
Ich glaub 2009 hab ich das erste Mal einen Apfel von einem Baum gepflückt und war höchst beeindruckt. Meine Schwiegerfamilie hat das damals unglaublich amüsant gefunden (die leben am Land und haben alle Gärten mit deren Ernte mal recht lange überleben könnte).
Die Natur-Bucket-List
Einer meiner liebsten Ort ist die Stadtflucht Bergmühle, ein wunderbarer Ort, wo ich immer das Gefühl habe meine Gedanken gehen in den Airplane-Modus und ich bin komplett entspannt, wenn ich wieder heimfahre. Ich habe lange überlegt, woran das liegt, habe aber keine Antwort gefunden, außer, dass es einfach so viel schöne Natur und Ruhe rundherum gibt. Genau dort habe ich mir auch eine Natur-Bucket-List erstellt, die ab und zu erweitert wird:
- einen Berg besteigen (irgendetwas muss ja dran sein)
- Wildkräuter erkennen können
- Radfahren lernen (auch wenn ich mir nicht vorstellen kann, wozu genau)
- einmal im Wald übernachten
- eine mehrtägige Wanderung machen
- Tiere, die ich esse, selber töten und verarbeiten (vom Fisch bis zum Rind)
- ein eigener Garten mit richtigem Feld (keine Töpfe, die monatlich nachgekauft werden)
Einen ersten Schritt habe bei der BIORAMA Leser-Safari zur Arche de Wiskentale 2012 gemacht, wo vor uns ein Schwein geschlachtet wurde. Das klingt fürchterlich, ist aber der unumgängliche Prozess, den jeder Fleischesser gern verdrängt. Und genau den wollte ich live erleben. Jeder, der Fleisch isst, sollte das einmal zumindest machen.
Ich kann es gar oft genug wiederholen, wie sehr mich dieser Ausflug geprägt hat. Und auch verändert. Klar, ich wusste vorher schon, dass Massentierhaltung einfach unfassbar weit weg ist von dem was auf Biohöfen passiert und ja, ich habe auch davor schon fast immer Bio-Fleisch gekauft, aber seit damals geht es einen Schritt weiter – ich möchte einfach kein Fleisch mehr essen, wenn ich nicht weiß, wo es herkommt. Habe ich mich immer daran gehalten? Nein, aber ich versuche es fast immer.
Als nächstes möchte ich gerne die Jagdprüfung machen, weil es dabei um sehr viel mehr geht als um das Töten von Tieren. Man lernt sehr viel über die regionale Fauna und Flora und den gesamten Lebenszyklus der Waldbewohner – Dinge die mir bislang völlig fremd sind. Und es geht um den Respekt den Tieren gegenüber (nein, das muss kein Widerspruch zum Töten der Tiere sein).
Jedenfalls glaube ich fest daran, dass es da draußen sehr viele Menschen gibt, die sich zwischen „Ich bin ein durch und durch Bio Mensch, der alle Konzerne verweigert“ und „Mir das alles völlig egal“ bewegen und die auch, so wie ich, den Bezug zur Natur nie hatten oder verloren haben.
Kapitel 1 – Die Nacht im Wald
Mehr als 15 Mal war ich wohl sicher nicht im Wald in meinem ganzen Leben. Und das auch nur widerwillig und komplett desinteressiert. Mit Bedacht auf einer möglichst leeren Blase (aus Gründen). Das einzige Interessante war wohl das eine Mal als ich Schwammerlsuchen war. Ewig her.
Seit einiger Zeit wollte ich trotzdem mal im Wald übernachten und das nicht in einer Hütte oder einem Zelt, sondern in einem selbstgebauten Unterschlupf.
Natürlich war es keine Sekunde eine Option, dass ich das alleine mache. Immerhin – der Axtmörder kann ja hinter jedem Baum lauern. Bedauerlicherweise ist das kein Scherz, sondern tatsächlich mein allererster Gedanke, wenn ich an einen Wald denke.
Das Glück will es, dass mein Trauzeuge u.a. auf Grund seiner militärischen Ausbildung ein Experte im Überlebenstraining ist und sich sofort bereit erklärt hat, das mit mir zu machen.
Schritt 1: die Vorbereitung
Er hat sich um Dinge gekümmert wie die Auswahl vom Ort, die Route, Karten, Schnur und Seile, Kompass, Feldkocher, Axt, Schlafsäcke, Kälteschutz, Spaten und Stirnlampen, fünf Liter Wasser. Und um den passenden Rücksack für mich (er kennt mich wohl gut genug, um zu vermuten, dass ich ansonsten mit meinem Stella-McCartney-Rucksack aufgetaucht wäre).
Meine Rucksackinhalt:
- Thermoskanne, Feuerzeug und wasserfeste Zünder
- eine Regenschutz-Jacke, die ich im Segelshop besorgt habe
- eine feste Cargo-Hose (meine Frage, ob es auch Jeans sein können wurde verneint)
- Sachen zum Wechseln
- eine Fleece-Jacke
- ein Coldgear-T-Shirt zum Drunterziehen, falls es kalt wird
- Wanderschuhe (zu meiner großen Freude durfte ich alternativ meine 15 Jahre alten Timberlands verwenden)
- meine Machete (war vor Jahren ein Geschenk von ihm)
- Instant-Kaffee von Sonnetor abgepackt in kleine Sackerl
- Jause (ich hab mich für eine Art Brettljause und Bananen entschieden).
Der Einkauf meiner Sachen alleine war schon ein Abenteuer. Ich war in Geschäften, die ich noch nie vorher betreten habe – Outdoor-Stores. Was es da nicht alles gibt … unglaublich. Bei mehr als der Hälfte der Sachen hätte ich nicht mal sagen können, wozu das gebraucht wird. In der Umkleidekabine habe ich mich gefühlt wie Indiana Jones. Oder besser: als wäre ich auf eine Faschingsfeier eingeladen worden. Ich glaube die Verkäuferin war etwas irritiert über das laute Lachen in der Kabine.
Am Tag davor noch schnell ein paar Wetterprognosen gecheckt und dann vor lauter Aufregung kaum schlafen können. Wie es wohl werden wird? Und vorallem, was mach ich denn wenn ich mal „muss“…
Auf geht’s
Auf geht’s mit dem Pony (= mein Smart) zum Fuße vom Gelände und dann weiter zu Fuß. Ok, bergauf gehen ist nun wirklich nicht meine Stärke. Am Weg der kurze Versuch mir den Kompass näher zu bringen und zu beschließen, dass es dafür wohl etwas mehr Zeit braucht (oder Schnaps für ihn)…
Nach gefühlten drei Stunden (= 40 Minuten) hat er gemeint, wir können jetzt vom Weg in den Wald rein zu einer kleinen Lichtung und dort das Lager aufbauen. Ich bin mir zu dem Zeitpunkt sehr sicher, dass er eigentlich ein anderes Ziel ausgesucht hatte, aber offenbar ob meines hochroten Kopfes und der Wadlkrämpfe beschlossen hat, mein Leiden schneller zu beenden.
Die Lagerplatzwahl basierte darauf, einen Ort zu finden, wo wir möglichst ideale Bedingungen finden, um das hier zu bauen:
Wir fanden sie dann auch recht schnell, die zwei Bäume, die in einem passenden Abstand zueinander stehen. Und dann ging es schon los mit der Materialsuche – natürlich alles nur aus umliegenden Stämmen, Zweigen und Blättern (es ist kein lebender Baum zu Schaden gekommen). Ohne Handschuhe natürlich und nach kurzem Zögern hat es mich eigentlich gar nicht gegraust, ordentlich zuzupacken. Naturdreck ist viel weniger unangenehm als Stadtdreck. Außerdem hatte ich ja feuchte Tücher (von der US-Army ein Mitbringsel einer Freundin, die ein paar Wochen lang den US-Militäreinsatz in Afghanistan fotografiert hat) mit.
Meine Machete hat sich als sehr hilfreich erwiesen beim Kürzen von einigen Stämmen.
Und ich habe endlich verstanden, wozu er meterlange feste Schnur mithatte – nämlich zum Befestigen des obersten Holzstammes zwischen den Bäumen, damit wir die schrägen Stämme irgendwie anlehnen können. Und so sah dann das Ergebnis aus:
Ich muss sagen, beim Anblick der fertigen Unterkunft war ich schon etwas stolz. I will survive! Oder so.
Dann der erste Horror. Ich muss mal. Verdammt, ich hätte nicht so viel Wasser trinken sollen am Weg hierher. Hilft nichts, es muss sein. Und es war ehrlicherweise auch genauso schlimm wie ich es mir vorgestellt habe. So im Freien, nein das muss nicht sein. Aber gut, ich hab jetzt halt auch mal im Freien gepinkelt.
Feuer machen
Als nächstes wurde eine Feuerstelle ausgehoben und entsprechend passendes Material zusammengesucht, damit wir möglichst lange auskommen und nicht im Dunkeln suchen müssen (zum Feuermachen noch ein Hinweis – man darf natürlich nicht einfach so im Wald Feuer machen, sondern nur nach Bewilligung! Also bitte auf jeden Fall nachfragen!).
Spannend war es zu sehen, wie man alles schlichtet für den Start und wann man welche Holzstücke (verschiedene Größen und Längen) und trockenen Blätter nachlegt.
Wir sitzen inzwischen dann am Waldboden, ohne Unterlage und es besuchen uns allerlei Krabbeltiere, die mich allerdings überhaupt nicht gestört haben. Immerhin bin ich ja in ihrem Wohnraum zu Besuch.
Dann wurde es ruhig
Nach ein paar Tassen Kaffee und der Jause (warum schmeckt eigentlich alles irgendwie besser da draußen), sind wir beim Lagerfeuer gesessen und haben einfach die Natur wirken lassen. Das Feuer, die Luft, die großen Bäume rund herum, die für mich zum allerersten Mal wie ein beruhigender Schutzwall gewirkt haben.
Langsam kam dann auch der Mond raus und es wurde dunkel. Und ruhig, so wahnsinnig ruhig. Bis es dann plötzlich nicht mehr ruhig war….meine Güte, was geht denn da bitte ab. Verschiedenste Tiergeräusche haben sich ständig abgewechselt. Eines davon klang wie ein Affe, aber die Logik sagt, es war wohl keiner …
Auch das Feuer macht, wenn man sich darauf konzentriert, sehr viele verschiedene Geräusche gleichzeitig – Knistern, Rauschen, Klicks. Schön ist es halt sehr. Irgendwie wirkt im Wald alles viel einfacher. Es gibt weniger Auswahl – es ist einfach wie es ist.
Gute Nacht
Schlafenszeit. Er macht die Feuerwache und sorgt dafür, dass es nicht ausgeht. Es ist inzwischen schon etwas kühl, was er mir zwar vorausgesagt hat, ich aber nicht geglaubt habe, weil ich an die Nacht-Temperaturen auf meiner Terrasse gedacht habe und es im Wald deutlich kühler ist. Der Schlafsack war super, allerdings habe ich es nicht geschafft, ihn ganz zu zu machen, weil mir das einfach zu eingeengt gewesen wäre (es gibt ja immer noch die Chance auf den Axtmörder zu treffen und da will ich nicht daliegen wie ein wehrloser Burrito).
Beim Einschlafen habe ich versucht, die Geräusche, die nicht eindeutig von Tieren kommen, zu ignorieren. Das ist nicht immer leicht, oft klingt es einfach nach Schritten und das hat mich etwas nervös gemacht. Genauso wie die Tatsache, dass ich schon wieder „musste“ (das nächste Mal nehme ich einfach weniger Wasser mit). Aber im Dunkeln alleine aufzustehen und mit einer Stirnlampe eine geeignete Location suchen – ganz sicher nicht! Eine volle Blase macht das Einschlafen auch nicht leichter …
Am Morgen
Richtig fest geschlafen habe ich nicht, sondern bin ca. alle 90 Minuten aufgewacht und hab im Halbschlaf versucht festzustellen, ob „alles ok ist“. Aufgewacht bin ich dann gegen 5.30 Uhr mit einem leichten Nieselregen, der aber durch unser „Dach“ nicht wirklich durchgekommen ist. Das Feuer war inzwischen aus und er war dabei, die Feuerstelle wieder zu zu schütten (das macht man scheinbar so). Bemüht darum, nichts zu hinterlassen, haben wir das Lager vollständig wieder abgebaut und die Stämme wieder entsprechend verteilt.
Fazit: Ich habe mir eine Nacht im Wald sehr viel dramatischer vorgestellt. Gut ausgerüstet (und mit jemandem, der sich auskennt), ist es tatsächlich eine sehr kurzweilige Art, der Stadt für ein paar Stunden zu entkommen. Das Zeitgefühl ist dort ein anderes und auch, wenn die Smartphones dabei waren, war es viel schöner, stundenlang in ein selbstgemachtes Feuer zu starren als auf einen der Social-Media-Feeds.
Ich mache das ganz sicher wieder. Wenn auch sicher nie alleine. Das nächste Mal würde ich gerne etwa mehr auch Sachen aus dem Wald essen, statt sie von zuhause mitzunehmen.
Natur, werden wir doch noch Freunde?
AD PERSONAM
Nina Mohimi ist 1977 in Los Angeles geboren, aufgewachsen in Wien.
- Stadtkind mit unlängst entdeckter Sehnsucht nach Natur
- Kann nicht Rad fahren
- Achtet auf Bio, findet aber regional wichtiger
- Mag keine Gutmenschen Heuchler (besser ehrlich scheiße, als fake gut)
- Kocht und isst gern saisonal
- Versucht nicht zu werten und nie zu missionieren
- War in einer Chemie HTL mit dem Traum im Labor zu stehen
- Hasst Lebensmittelverschwendung & verflucht das zu kleine Gefrierfach täglich
- Kauft zu 95% nur Naturkosmetik
- Kauft nur sehr ungern bei Modeketten ein
- Isst keine Sojaprodukte
- Kauft mit Priorität österreichische Produkte
- Kauft Kleidung nur, wenn für das neue Teil ein altes wegkommt
- Recycelt nicht aus purer Faulheit
- Fährt leidenschaftlich gern und fast immer Auto
- Versucht sich zu bessern