Unter der Erde, unter ausgestopften Tieren
Weiß gefliest, grünes drahtiges Geländer. Das Stiegenhaus des Tiefenspeichers des Naturhistorischen Museums in Wien (NHM) sieht optisch nicht anders aus als die zahlreichen unterirdischen Garagen, Baujahr 1980er. Hinter den Türen verbergen sich hingegen keine Autos, sondern Präparate. BIORAMA hat sich in der Säugetierabteilung umgeschaut.
Nüchtern, in Weiß und Grün gehalten, ist der Speicher des NHM vier Stockwerke in die Tiefe gegraben. Den Weg dorthin zu finden, ist nicht ganz einfach. Der unterirdische Riesentresor ist nicht Teil des Originaltraktes, sondern wurde erst vor 20 Jahren im Zuge der U-Bahn-Arbeiten angebaut. Deshalb fehlen dort die hohen runden Gewölbe, der Steinboden und die dunklen Holzelemente, die für den Rest des Museums so charakteristisch sind. Dennoch hat er einiges zu bieten: Alle Exponate, die dort lagern, kann zumindest jetzt gerade kein anderer sehen, als der, der Zugang in Tiefe hat. Der gewöhnliche Museumsbesucher darf hier nicht hinein.
Von kleinen Äffchen bis zum springenden aufgerichteten ausgewachsenen Löwen stehen die präparierten Tiere in Reih und Glied nebeneinander wie eine fellige Terrakottaarmee, regungslos. Die Temperatur ist konstant auf maximal 10 Grad Celsius runter gekühlt. Die toten Tiergestalten sind zwar mit chemischen Stoffen konserviert, könnten aber dennoch Bakterien anziehen und zu Faulen beginnen. Die Leuchten werfen ein kaltes Licht auf die Tierkörper, dürfen aber nicht zu lange eingeschalten sein, sonst erwärmt sich das Lager zu stark. „Anschauen, aber auf keinen Fall anfassen!“, heißt die Direktive von Dr. Frank Zachos, dem Leiter der Säugetiersammlung, der durch den Speicher führt. Einige Präparate sind schon sehr alte Hasen und wurden damals noch mit hohen Dosen von Arsen haltbar gemacht, das bekanntlich sehr giftig ist. Man möchte meinen, dass man das Gift riecht oder von anderen olfaktorischen Düften umgeben ist. Fehlanzeige. Irgendwie riecht es hier nicht.
Die roten Zähne hatten die Biber schon vorher und sind keine Folgen des Präparationsvorgangs. Die Zahnschmelze der Europäischen Biber seien mit Eisen und Eisenverbindungen verfärbt, erklärt Zachos, was ihre rötliche Verfärbung erkläre. Zwischen all den Tieren, die zumindest ich von meinen Besuchen im Tiergarten Schönbrunn kenne, finden sich auch einige Unbekannte – entweder weil sie sehr selten sind oder aber auch, weil sie schon ausgestorben sind. In dieser Abteilung stehen zwei der ausgerotteten Huffüßler: das Equus Quagga Quagga, eine Zebraart mit bräunlichen Streifen, das seit 1883 als ausgerottet gilt, und eine Blaubockkuh, eine Antilope, die um 1800 ausgestorben ist. Sie sind passend im Raum hintereinander gereiht und für die Wissenschaft von wahnsinnigem Wert. Das Quagga war die erste Tierart, dessen Genetik postum analysiert wurde. Weltweit gibt es nur vier erhaltene Blaubockpräparate und ausgerechnet das des NHM ist das einzige Weibchen unter ihnen.
Weniger wissenschaftlich wertvoll ist zum Beispiel der Löwe, da außer dem Fell kaum Originale für das Präparat verwendet wurden. Bei einigen alten Exemplaren fehlt der Orginalschädel, was schade sei, bemerkt Zachos, weil er das komplexeste Körperteil ist. Bei Politikern ist Leo allerdings populär: Für ein Fest der Parlamentarier musste er an seinen alten Platz in der Eingangshalle des Naturhistorischen Museums gekarrt werden. Sie konnten sich gemeinsam mit ihm fotografieren lassen.
Der unterirdische Großsarkophag ist nicht nur Lagerstätte für wissenschaftliche Objekte, sondern auch für illegale Stücke, die der Zoll im Gepäck aufgespürt hat. 20 bis 30 Objekte spendete er noch vor zwei Dekaden jährlich ans NHM, heute sind es nur noch alle paar Jahre ein bis zwei. Wieso die Zahl sich so reduziert hat, ist zumindest offiziell unbekannt. Beliebt waren damals vor allem Accessoires aus Kobra- der Krokodilleder. Unzählige Reptilien müssen ihr Leben für Handttaschen gegeben haben.