„Begriffe wie Anti-Aging sind tabu!“
Naturkosmetik ist nicht nur bei den großen Ketten, sondern auch in den Supermärkten angekommen. Wolfgang Falkner, Organisator des jährlich stattfindenden "NaturkosmetikCamps", im Interview zu "beständigen Werten" in der Naturkosmetik und dazu, wie es der Branche mit dem eigenen Wachstum geht.
BIORAMA: Wie erklärst du deinen Bekannten den Unterschied zwischen Biokosmetik und Naturkosmetik?
Wolfgang Falkner: Ich beginne mal damit zu betonen, dass es um die Inhaltsstoffe geht. In der Naturkosmetik sind diese natürlichen Ursprungs. Natürlich heißt hier: nicht auf chemisch-synthetischer Basis. Im Detail erlauben manche Naturkosmetik-Gütesiegel aber bestimmte Prozentsätze konventioneller Inhaltsstoffe. Naturkosmetik bedeutet aber jedenfalls noch nicht, dass die Inhaltsstoffe aus biologischer Landwirtschaft stammen. Für Biokosmetik gibt es eigene Gütesiegel. (Mehr Info dazu gibt’s im Biorama-Wegweiser durch die Naturkosmetik-Gütesiegel, Anm. d. Red.)
Die Verpackung ist also egal?
Streng genommen Ja. Es ist nirgends vorgeschrieben, dass bei Naturkosmetik auch die Verpackung umweltschonend sein muss. Aber naturgemäß bemühen sich jene Hersteller, die bei Inhaltsstoffen auf Nachhaltigkeit achten, auch eher, umweltverträgliche Verpackungen zu entwickeln und zu verwenden. Ich mache gerne den Lebensmittelvergleich: Im Supermarkt bekomme ich leider viel zu oft auch Biogemüse, das in Plastik verpackt ist.
Insgesamt sind jedoch Verbesserungen der Umweltverträglichkeit der Verpackungen auf dem Camp jedes Jahr ein großes Thema, Vorreiter sind hier zum Beispiel Less is More, Dr. Bronner’s, plaine, oder Speick.
Warum passiert der Fortschritt hier nur schleppend?
Verpackungsdesign ist ja ein Teil des Marketings. Wenn da auf die in der Kosmetik häufige Doppelverpackung verzichtet wird, ist man schon einmal in seinen Möglichkeiten eingeschränkt. Und auch das Verpackungsmaterial ist oft ein Kompromiss. Die Naturkosmetik kämpft ja immer noch mit dem Image. Sie tut sich tendenziell schwer, als Luxusprodukt wahrgenommen zu werden. Wenn man so weit wie möglich auf nachhaltige Verpackung setzt und sie überall, wo sie nicht unbedingt gebraucht wird, weglässt, ist das Design von Flasche, Tiegel und Tube, dass dann Naturkosmetik und gleichzeitig Luxusprodukt vermittelt, schon eine Herausforderung.
In welchem Bereich steckt die Naturkosmetik noch besonders in den Kinderschuhen?
Mir fällt hier als erstes der Spa-Bereich ein (Wolfgang Falkner organisiert auch das SpaCamp, Anm. d. Red.). Es gibt immer noch verhältnismäßig wenige Spas, die mit (zertifizierter) Naturkosmetik arbeiten. Ich habe den Eindruck, dass viele Kosmetiker und Spa-Manager bei Naturkosmetik nicht so auf die Wirkung der Inhaltsstoffe vertrauen. Oder auch nicht mutig genug sind, auf neue Naturkosmetikprodukte zu setzen, weil sie Angst haben, Spa-Kunden zu verlieren – Zum Glück bewegt sich da aber einiges Eine große Herausforderung ist sicher der Vertrieb vieler Naturkosmetik-Hersteller, die oft nicht in der Menge, Frequenz und Kontinuität liefern und auch noch die Verkaufsschulungen fürs Spa-Personal sowie eigene Zeremonien mitliefern können. Das Spa ist auf jeden Fall ein wichtiger Trendsetter und muss auch daher von Natur- und Biokosmetik besetzt sein.
Was sind derzeit die Trends in der Naturkosmetik?
Das hoffe ich beim Naturkosmetikcamp zu erfahren (lacht). Die Naturkosmetik-Bloggerin Julia Keith wird das Camp mit einem Impulsreferat eröffnen, die begleitet die Szene schon sehr lange und ist viel international unterwegs. Und sie hat mir vorab verraten, dass österreichische und deutsche Produkte schon nach wie vor international im Trend liegen. Aber Asien zieht stark nach!
Ein großer Trend, der weiter anhält, ist auch die Expansion im Bereich dekorativer Kosmetik. Früher hat es geheißen, dass Naturkosmetik und Make-up irgendwie nicht zusammenpassen. Das ist vorbei.
Relativ neu sind die Anti-Pollution-Produkte. Da bin ich allerdings eher skeptisch, ob sie nicht vom eigentlichen Thema ablenken. Wir möchten mit Naturkosmetik ja die Umweltschäden minimieren und nicht versuchen, uns vor diesen zu schützen Mit Anti-Pollution-Kosmetik setzen wir ein falsches Zeichen – „Wenn wir schon nichts gegen Umweltverschmutzung machen können, schützen wir uns zumindest selber“. Naturkosmetik sollte nicht nur oberflächlich behandeln, sondern in der ganzen Wertschöpfungskette positiv auf Mensch und Umwelt wirken.
Männerkosmetik ist auch ein Trend. Die Marken, die das anbieten, werden gerade mehr. So wird z. B. versucht, Männer über das Thema Bart für Naturkosmetik zu begeistern. Männer handeln sehr wohl nachhaltig und begeistern sich aus diesem Hintergrund etwa für Multifunktionsprodukte, Rasiercreme, Duschgel, Haarshampoo in einem etwa. Die sind nicht nur aufgrund der natürlichen Inhaltsstoffe nachhaltiger, sondern auch dadurch, dass man nicht siebzehn Tiegeln herumstehen hat.
Leider tickt die Industrie (noch) so, dass man immer wieder Neues abliefern muss, den Kunden überraschen muss. Aber der springende Punkt an Naturkosmetik sind die natürlichen Inhaltsstoffe. Das ist nicht neu, aber das sollte eigentlich reichen. Naturkosmetik ist ein ganzheitliches Thema, voller Geschichten, diese gilt es zu kommunizieren – und viele Hersteller machen das schon sehr sehr gut und nehmen damit der konventionellen Kosmetik wertvolle Marktanteile weg.
Du bist ja in der Branche im deutschsprachigen Raum gut vernetzt. Worüber wird derzeit auf Herstellerseite diskutiert? Fachmarkt vs. Naturkosmetikkosmetik in der Drogerie vs. Biosupermarkt – Wie ist die Stimmung?
Denn der Druck kommt von mehreren Seiten. Es gibt ja Naturkosmetik nicht mehr nur im Bioladen, sondern auch in den Bioketten, in den normalen Supermärkten und den Drogerieketten. Und: auch online. Amazon ist ja auch hier im Spiel und legt massiv zu. Und da sind die kleinen Hersteller gefordert. Viele kleine Hersteller suchen nach Lösungen für finanziell und ethisch vertretbare Vetriebswege. Wenn bio im Mainstream ankommen soll, dann braucht es auch dementsprechende Vertriebswege. Denn das Ziel muss sein, dass mehr Landwirte global bio produzieren.Ich will ja nicht in Kauf nehmen, dass es der einen Kuh gut geht, aber der anderen daneben nicht.
Hierzu wird es auch einen spannende Session geben auf dem NaturkosmetikCamp, die der Frage nachgeht: Ist der Bioladen oder im Reformhaus noch der richtige Anlaufpunkt für Naturkosmetik? Braucht es ein luxuriöseres Umfeld? Und wo finde ich die sonst? Im Dayspa oder eher dort, wo es Ecofashion und -Design zu kaufen gibt? Das geht wohl auch im Denns bzw. im Biosupermarkt nicht unbedingt, denn da fehlt vielleicht die Kosmetik-Beratung.
Wie unterscheidet sich der deutsche Naturkosmetikmarkt vom österreichischen – für den Konsumenten?
Die Unterschiede sind nicht riesig. Österreich hat mit bigood (BIPA/REWE-Eigenmarke, Anm.) eine Alternative zu Alverde Anscheinend ist da derzeit von der Rewe-Gruppe in Deutschland nichts Vergleichbares geplant. Es gibt dort allerdings die Müller-Marke Terra Naturi. In Deutschland sind Kosmetikprodukte, und das gilt auch für die Naturkosmetik, günstiger als in Österreich.
In Deutschland sind Reformhäuser stärker verbreitet, vor allem vermutlich, weil es in den Supermärkten erst später als in Österreich eine starke Präsenz der Bioprodukte gab. Die Österreicher haben sich schon daran gewöhnt, dass es Bio in den großen Ketten gibt. Die Reformhäuser sind zwar noch besser sortiert, aber auch hier ist der Sortiment bei Bio- und Naturkosmetik meist nicht riesig.
Ist die Verwendung des weiten Begriffs Naturkosmetik sinnvoll?
Auf jeden Fall, denn was wäre die Alternative? Dass manche zumindest den richtigen Weg gehen und Inhaltsstoffe aus der Natur verwenden, gehört unterstützt. Auch wenn es wünschenswert wäre, dass möglichst viele sukzessive auf bio umstellen. Es ist aber nach wie vor so, dass nicht alle Inhaltsstoffe – noch dazu in Riesenmengen für die großen Marken – in Bioqualität verfügbar sind. Fairer Handel ist natürlich auch noch ein Thema. Es ist ethisch schwierig zu entscheiden für einen Hersteller, in welcher Hinsicht er sich da zuerst weiterentwickeln soll – Richtung Fairen Handel oder in Biokosmetik? Natürlich ist beides wünschenswert. Die Richtung stimmt zumindest.
Bei euren Camps sind Händler, Journalisten, Blogger, und beispielsweise von Herstellerseite die großen der Naturkosmetikbranche genauso vertreten wie ganz kleine – mitunter auch Leute, die ihre Naturkosmetik im Nebenerwerb herstellen. Wie findest du Themen, die für alle interessant sind?
Das Camp ist schon in erster Linie eine Fachveranstaltung, wir bieten heuer auch keine Endkonsumententickets mehr an, weil wir gemerkt haben, dass es schwer ist, das Programm für Laien interessant zu gestalten. In den Workshops wird es schnell sehr spezifisch und geht in die Tiefe, uns beschäftigen ja auch viel die Kommunikationsstrategien für nachhaltige Produkte. Damit wird jemand, der sich in erster Linie aus Konsumentenperspektive interessiert, nicht unbedingt glücklich werden.
Unser Grundprinzip ist das Barcamp-Modell. Wir haben nicht Zuhörer und Vortragende. Sondern jeder Teilnehmer hat auch eine aktive Rolle, alle sind angehalten mitzudiskutieren und im Idealfall auch Themen einzureichen. Die, die ein Thema einreichen, halten ein 10-minütige Input-Referat und ab dann wird diskutiert. Denn wir wollen möglichst stark von der Expertise profitieren, die wir bei diesen Panels in einem Raum versammelt haben und wir wollen am Ende auch konkrete Ergebnisse haben. Ich gehe zu einem Barcamp nicht, um mich berieseln zu lasse, sondern um gemeinsam Dinge zu erarbeiten und spannende Leute kennenzulernen.
Wir haben viele Veränderungen in der Branche besprochen. Was darf sich in der Naturkosmetik nicht ändern?
Ich persönlich finde es wichtig, dass die Naturkosmetik nicht dieselben starren und ewiggleichen Schönheitsideale propagiert wie die konventionelle Kosmetik. Die Naturkosmetikhersteller sind für mich die Pioniere wahrer Schönheit. Auf das sollten sie sich besinnen. Begriffe wie Anti-Aging sind hier tabu!
Von, Freitag, 22., bis Sonntag, 24., Juni 2018 findet im Landgut Stober in Brandenburg das 5. NaturkosmetikCamp statt. BIORAMA ist Medienpartner.