Vier Viertel vom Schwein
Nose to tail: Die steirische Plattform „Nahgenuss“ vernetzt Bio-Schweinebauern mit Konsumenten. Von Food-Bloggern zum „Bio-Startup 2016“ gewählt suchen die beiden Gründer nun auch Mitstreiter in Deutschland.
„Innovation im Food-Bereich kommt fast immer von Quereinsteigern, die nicht betriebsblind die Branchenlogik verinnerlicht haben.“ Es war als wollten die Gebrüder Beiglböck diese Beobachtung der Trendforscherin Hanni Rützler bestärken. Dass das Projekt der beiden – die Shop-Plattform „Nahgenuss“ – am Bio-Camp der Marke Ja! Natürlich von den knapp hundert anwesenden Bloggern und Branchenkennern zum „Bio-Start-up 2016“ gewählt wurde, bestätigt sie jedenfalls. Der 27-jährige Micha ist eigentlich studierter Jurist und Philosoph; der 30-jährige Lukas verdingt sich nach abgebrochenem Politikwissenschaftsstudium im Marketing. Mit der Landwirtschaft kamen sie – durchaus repräsentativ für die Gesamtbevölkerung – vor allem am Teller in Kontakt. Oder auch beim Besuch der Familie ihres Großcousins, eines Biobauern im steirischen Hartberg. „Das Essen dort hat immer so fantastisch geschmeckt. Da haben wir uns immer gefragt, warum Jakob das nicht direkt vermarktet“, erinnert sich Micha Beiglböck. „So wurde uns klar, wie schwer das ist, weil Landwirte nur schwer alle Teile des geschlachteten Tiers verkaufen können.“ Genau hier setzt nun die Geschäftsidee des Brüderpaars an. Bereits neun Bio-Bauern bieten auf der Plattform schlachtreife Schweine zum Kauf an. Verkauft werden aber nicht bloß einzelne Gustostückerln, sondern Viertel. „Bio-Schweinefleisch hat einfach höchste Qualität, da können alle Teile des Tiers schmackhaft zubereitet werden.“
Als Zielgruppe sieht man vor allem Mehrpersonenhaushalte aus der Stadt oder den Vorstädten. Binnen weniger Wochen konnten über Nahgenuss bereits 76 Schweineviertel – also 19 Tiere – vermittelt werden. Bezahlt wird direkt beim Bauern, wo die Viertel entweder abgeholt oder von wo aus sie gekühlt versandt werden.
„Wir müssten im Jahr 1.000 Schweine verkaufen, damit das zum Leben reicht.“
„Früher war das auch in unserer Familie üblich: Wir haben halbe Schweine gekauft, eingefroren, manches gleich gegessen,“ erinnert sich Micha Beiglböck. Diese bis vor wenigen Jahren weit verbreitete Praxis habe sich aber fast überall aufgehört: „Einfach weil viele Bauern aufgehört haben, die Gesetze, Etikettierung, Steuerrecht, aber auch Hygienerichtlinien alles verkompliziert haben.“ Nahgenuss möchte sie mit allerhöchsten Ansprüchen revitalisieren. Die Partnerbetriebe – oft Archehöfe, die alte, selten gewordene Nutztierrassen vom Aussterben bewahren – sind durchwegs Musterbetriebe. Etwa der für seine engagierten Tierschutzprojekte mehrfach ausgezeichnete und bei Feinschmeckern für seine „Sonnenschweine“ geschätzte „Labonca“-Hof. Biobauer Norbert Hackl gefällt an Nahgenuss, dass sich die Plattform um ganzheitliche Vermarktung bemüht. „Das ist genau unser Weg – und je mehr Anbieter, diesen Weg gehen, gerne auch mit Labonca, desto interessanter und trendiger wird ‚Nose to tail’. Der Kunde kann immer noch entscheiden, ob er ganze Vierteln vom Sonnenschwein über Nahgenuss bestellen möchte und somit einen finanziellen Vorteil hat, oder über unseren eigenen Labonca-Onlineshop die Einzelteile ganz nach seinem Bedarf bestellt.“
Gründer Micha Beiglböck setzt mit Nahgenuss bewusst auf Transparenz, auch beim Preis: „Ja, auch innerhalb von Bio gibt es Unterschiede!“ Der Konsument zahlt bei ihm für eine Viertel Sau zwischen 200 und 400 Euro. Freilandschweine sind teurer als Strohschweine, auch spezielle Rassen – derzeit gibt es klassische Hausschweine ebenso wie Turopolje, Duroc, Porc Gascon oder Schwäbisch-Hällische – kosten mehr. Manche Viertel wiegen 15, andere 25 Kilogramm.
„Üblicherweise bekommt der Bauer für ein Bio-Schwein vom Handel 400 Euro und die Tiere werden lebend mit dem LKW abgeholt. Bei uns kann der Bauer durch Direktvermarktung mit einem Nettoumsatz von 1.000 Euro kalkulieren.“ Für Schlachtung und Verpackung müsse er davon 170 Euro abziehen, 140 Euro verrechnet Nahgenuss. Abzüglich Abgaben bleiben dem Landwirt so unterm Strich 200 Euro mehr. „Aber, ja“ gesteht Micha Beiglböck, „er hat natürlich auch mehr Arbeit.“
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