Wien–Berlin: Nur noch ein Mal schlafen

Auf klimaschonende Weise von Wien nach Berlin und von Berlin nach Wien zu kommen, war eine Zeit lang gar nicht so komfortabel. Das hat sich durch den wieder eingeführten Nachtzug nun geändert.

Ein nightjet-Zug steht im Bahnhof
Die Verbindung der Nachtzüge zwischen Wien und Berlin war für ein Jahr eingestellt. Seit 2018 fahren sie wieder. Bild: ÖBB.

Ich habe Vorsätze. Nun gut, die hat fast jedeR. Die meisten meiner Vorsätze haben mit nachhaltigem Lebensstil zu tun. Und ich kann schon vorausschicken: Es ist nicht immer leicht, sich an diese Vorsätze zu halten. Insbesondere, wenn das dann auch noch ins Geld geht. 
So habe ich mir schon vor Jahren vorgenommen, nicht mehr in ein Flugzeug zu steigen.

Auf Flugverkehr bei der Reiseplanung zu verzichten, ist eigentlich die einfachste Art, den ökologischen Fußabdruck auf einem vernünftigen Level zu halten. Wie ich diesen Vorsatz mit meinem Lebenstraum, noch einmal Neuseeland und Island zu sehen, verbinden kann, weiß ich noch nicht. Aber schon nach Berlin oder Hamburg zu kommen, war in den vergangenen Jahren schwer für mich. Es gab nachts keine Direktverbindung und nicht die Möglichkeit, Einzelkabinen zu buchen. Im Dezember 2017 wurde die von den ungarischen Bundesbahnen angebotene Nachtverbindung überhaupt eingestellt. Ein Jahr darauf, Ende 2018, haben die ÖBB einen ihrer »Nightjets« auf die Strecke geschickt. Wien ist für BerlinerInnen und Berlin für WienerInnen nun im Schlaf erreichbar. 

Ein Wochenende in Berlin

Immer wenn ich im Berliner Biohotel Almodovar absteige, streife ich durch die Gegend, durch die vielen kleinen Bars in Friedrichshain, treffe FreundInnen und gebe mir die abendliche Clubkultur am raw-Gelände. Schnell ist man am Alexanderplatz und bei den anderen touristischen Attraktionen. Besonders gern klappere ich aber die zahlreichen Craft-Bier-Bars der deutschen Hauptstadt ab. Da hat sich viel getan und für einen Wochenendausflug ist das bierige Thema schon Grund genug. Ich muss gestehen, ich hab diesen Weg auch schon einmal mit dem Flugzeug genommen. Das war irre billig, unglaublich eigentlich; und wenn man sein Leben nur vom schnöden Mammon bestimmen ließe, wohl die 1a-Variante für so einen kurzen Wochenendtrip. 
Autofahren kommt für so Kurztripps gar nicht infrage – nicht nur, weil ich ja gar keinen PKW mehr besitze, sondern schon allein wegen der vielen sinnlosen Zeit, die man konzentriert am Steuer sitzen muss. Zwischen acht und zehn Stunden muss man da schon einrechnen, das ganze mal zwei. Nein, sicher nicht.

Grafik der Zugverbindung Wien-Berlin über Tschechien und Polen
Tipp für tagsüber: Mit dem Zug via Prag, dort zwei Stunden Pause, die Beine vertreten und dann weiter. So wird schon die Reise zum Erlebnis. Bild: ÖBB.

Eine wunderbare Alternative ist der ÖBB Nightjet, der zwischen den beiden Hauptstädten verkehrt. Vom Hauptbahnhof aus verlässt der Nachtzug Wien um 22:10 und ist morgens um 9:53 in Berlin. Das sind etwas unter zwölf Stunden Fahrzeit. Der Zug wird über das tschechische Ostrava und das polnische Breslau geführt. 
Selbige Strecke fährt man untertags mit ICE oder Railjet um vieles schneller. Die schnellste Verbindung von Wien geht am Tag in acht Stunden und 32 Minuten. Dabei muss man aber zwei Mal umsteigen (in Breslau und Prag). Gerade der Stop in Prag könnte auch eine Tagesfahrt attraktiv machen, denn auch in der tschechischen Hauptstadt liegt der Bahnhof sehr zentral. Mit zwei Stunden Pause und Weiterfahrt im nächsten Zug nach Berlin kann man schon einige Sightseeing-Spots in der Goldenen Stadt an der Moldau besuchen.

Komfort hat seinen Preis

Für mich aber kein Thema, mein Ziel ist Berlin, und dort möchte ich ausgeschlafen ankommen, fit und ausgeruht für ein Wochenende. Im Nightjet bieten sich da seit jeher drei verschiedene Kategorien an: der Sitzwagen, der Liegewagen und der Schlafwagen. Ersteres hätte man früher als die Holzklasse bezeichnet, die Reiseklasse für TramperInnen, osteuropäische ArbeitspendlerInnen und vor allem für Menschen, die es schaffen, auch im Sitzen entspannt zu schlafen und ausgeruht in den frischen Tag zu gehen. Ich gehöre nicht dazu. Auch wenn das Ticket mit 37,90 Euro auf der Sparschiene hier wohl mit dem Preis des Billigfliegers konkurrieren kann. Die Zeiten der Interrail-Bahnstreifzüge durch halb Europa im Low-Budget-Modus liegen bei mir schon Jahrzehnte zurück. Noch früher, in den 1970er-Jahren, bin ich mit meinen Eltern auch einmal im Liegewagen gefahren. Sechs Menschen auf engstem Raum übereinandergestapelt. So was muss man mögen. Insbesondere wenn man nicht zu sechst als Freundeskreis oder Familie ist und das Abteil mit fremden Menschen teilt.

Auch wenn die Liegewägen auf unserer Strecke heute nur noch mit vier Liegen pro Abteil ausgestattet sind, greife ich da lieber etwas tiefer in die Geldtasche und leiste mir den Schlafwagen. Auch den gibt es in Varianten mit ein bis drei Betten. Das Doppelabteil mit Waschgelegenheit und Frühstück à la carte kostet bei Buchung etwa ein Monat im voraus 129 Euro pro Person.

Das luxuriöse Einzelabteil mit eigenem WC und Dusche (Single Deluxe) schlägt zu selben Konditionen mit 199 Euro pro Strecke zu Buche. Und aus Erfahrung kann ich sagen, dass dieses Abteil wirklich auch sehr großen Menschen genug Komfort und Platz für eine angenehme Fahrt von Hauptstadt zu Hauptstadt bietet. Dazu ist man beim Gepäck beinahe unbeschränkt – ja, man kann in beiden Städten wunderbar shoppen – und im Single-Deluxe-Abteil habe ich sogar mein Faltrad ungehindert mitnehmen können und war für das Wochenende in Berlin top-mobil unterwegs.
Detail am Rande: Die Verpflegung im Nightjet ist für den Mainstream durchaus ansprechend, wenngleich für mich gar nichts in Bioqualiät im Angebot enthalten ist. Am Klischeehaftesten: der Austria-Snack – Mannerschnitten mit einer Dose Red Bull.

Und würde man zum Billigfliegerpreis noch die Zuschläge für Gepäck, À-la-carte-Frühstück, Fußfreiheit und Fahrradmitnahme addieren, wäre der Preisunterschied zwischen Flieger und Bahn weg. Generell kann aber nicht oft genug gesagt werden, dass nicht die Eisenbahn zu teuer, sondern das Fliegen bei Weitem zu billig ist und vor allem von der Steuerbefreiung beim Flugkerosin profitiert. 

Fahrtdauer: Die Länge der Linien zwischen den Städten entspricht der jeweiligen Zugfahrtdauer. Alle abgebildeten Verbindungen sind Nachtzüge die als Direktverbindung geführt werden. Bild: BIORAMA.

Wohlfühloption Schlafwagen

In Zeiten, in denen einzelne Zugverbindungen nach dem Covid-19-Lockdown nur zaghaft wiederaufgenommen worden sind, hat man im Nightjet natürlich auch einige andere Optionen. Viel leichter gelingt es, ein gesamtes Abteil für sich beziehungsweise für die Familie zu bekommen und Abstand zu anderen Reisenden zu halten. Natürlich rüttelt es während der Fahrt immer wieder und es wäre schöngeredet, wenn man von einem ähnlichen Schlafvergnügen wie zu Hause im eigenen Bett sprechen würde. Aber im Verhältnis zu einer Fahrt im Sitzabteil oder all dem Stress mit den Kontrollen, dem Check-in und den Flughafentransfers ist der Schlafwagen eine Wohlfühloption.
Und noch ein Vorteil im Vergleich zum Flugverkehr: Anders als die Flughäfen liegen sowohl der Wiener als auch der Berliner Hauptbahnhof (Europas größter Kreuzbahnhof) in unmittelbarer Nähe zum Stadtzentrum. Am Morgen in Berlin angekommen hat man vom Südportal den Blick über die Spree auf das Bundeskanzleramt und das Reichstagsgebäude.
Nur ein Mal Schlafen … und schon ist man im Zentrum einer dieser beiden schönen Städte.

Im April 2018 wird europaweit in der Aktionswoche Back on Track gegen die Einstellung von Nachtzugverbindungen demonstriert, Zentrum der Proteste ist Deutschland. Nachtzugreisende AktivistInnen der Protestgruppe System Change, not Climate Change aus Österreich werden von ebensolchen am Berliner Hauptbahnhof empfangen – und einer Band, die den »Disappearing Night Train Blues« spielt.

Im Dezember 2018 haben die Österreichischen Bundesbahnen ÖBB die Verbindung Berlin–Wien übernommen, es fahren nun wieder Nachtzüge – auf neuer Route – zwischen den beiden Städten. Bild: System Change, not Climate Change!

Micky Klemsch reist gerne und oft. 
Allerdings nur an Orte, die leicht mit Bahn und/oder Fahrrad erreichbar sind. Wie er so nach Island oder Neuseeland kommen wird, weiß er bis heute nicht. Bild: Micky Klemsch.

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