»Ich bin im Team Altlasten«

Beim Brachflächendialog werden Lösungen für die Nutzung von leerstehenden Industrieflächen gesucht.

Das Innere des Standorts der Laufen AG.
Seit 1795 wird auf diesem Standort in Wilhelmsburg Steingut erzeugt, seit 1967 durch den Zusammenschluss zur Laufen AG. Das Areal hat eine Größe von 8 ha. Bild: Laufen Austria AG.

Wer interessiert sich schon für Industriebrachen ohne Potenzial zum Ruin Porn? Es gibt eine Community, die sich zum sogenannten Brachflächendialog versammelt. Eine der OrganisatorInnen ist Sabine Rabl-Berger. Die Umweltingenieurwissenschafterin betreut gemeinsam mit ihrer Kollegin und Expertin für Bodenverbrauch, Gundula Prokop, den 2022 ins Leben gerufenen Brachflächendialog. Das mehrjährige Projekt von Klimaministeriums und Umweltbundesamt soll »leerstehende und untergenutzte Standorte wieder in die Nutzung bringen«.
Im Gespräch erklärt Sabine Rabl-Berger, wie ein solcher Dialog zum Umgang mit industrieller Brachfläche idealerweise ablaufen kann. Und zwar anhand dessen, was im Zuge der Auflassung eines Betriebsstandortes in Wilhelmsburg passiert: Eine inklusive Suche nach einer neuen Nutzung eines eher gefragten Standortes, die auch für weniger gefragte versiegelte Flächen Pate stehen soll. 

BIORAMA: Wird im Brachflächendialog zwischen Brachfläche und Leerstand, zwischen Flächenrecycling und Nachnutzung unterschieden?

Sabine Rabl-Berger: Das ist leider ein offener Punkt. Es ist abhängig davon, mit wem Sie sprechen und in welchem Projekt Sie sich befinden, was unter Leerstand und Brachfläche verstanden wird. Klar ist: Wir meinen nicht die landwirtschaftliche Brachfläche. Auch mit Wohnungsleerstand und leerstehenden kleinen Läden im innerstädtischen Bereich beschäftigen zumindest wir uns gar nicht, das fällt für uns nicht unter Brachfläche. 

Laut dem Brachflächendialog werden Brachflächen definiert als »baulich vorgenutzte Grundstücke, Flächen und Objekte bzw. Objektteile verstanden, welche derzeit nicht mehr oder nicht entsprechend dem Standortpotenzial genutzten werden«.

Der Brachflächendialog will also vor allem Lösungen für Industriebrachen finden?
Ja, es geht um größere Flächen, um den Flächenfraß – und eben nicht um diese innerörtlichen Flächen. Im Brachflächendialog kommen unterschiedliche Zugänge zusammen, ich zum Beispiel bin im Team Altlasten des Umweltbundesamtes beheimatet, meine Kollegin Gundula Prokop im Team Boden.
In diesem Format und konkret auch beim Projekt Laufen geht es um unternutzte bzw. brachliegende vormals industrielle oder gewerblich genutzte Flächen. Wir sehen aber das Problem der Abgrenzung auch und das Problem der Definitionen. Und deswegen wird sich die erste Facharbeitsgruppe des Brachflächendialogs, die am Beginn des Jahres 2023 starten wird, mit Definitionen beschäftigen. Dabei wird sich eine Expertengruppe zusammenfinden, um eine sinnvolle Definition in einem gemeinsamen Papier festzuhalten, auf die wir uns in weiterer Folge beziehen können. Und wir hoffen, diese dann verbreiten zu können, damit wir zumindest österreichweit einmal in der Community zu einem gemeinsamen Punkt kommen. Der zweite große Punkt wird die Erhebung von Brachflächen sein. 

Welche Typen von industriellen Brachflächen haben den Löwenanteil am Problem Flächenfraß? Geht es um versiegelte Fläche ohne Gebäude mit Perspektive auf Nachnutzung oder um die Nachnutzung von Gebäudebestand?
Relevant sind für uns vor allem zwei Typen von industriell-gewerblichen Brachflächen. Zum ersten Typ können Sie sich eine alte Tankstelle vorstellen, wie sie jeder von uns kennt. Da habe ich einfach nur eine Fläche, die angepatzt ist, aber kein Gebäude, das nachgenutzt werden kann.
Das andere ist das Gebäude. Der Unterschied ist da gar nicht so groß, weil die Gebäude in den seltensten Fällen die Größe, das Ausmaß haben, dass sie ideal nachgenutzt werden können. Dementsprechend ist ein Gebäude auf einer Brachfläche nicht immer ein Benefit, sondern sogar sehr oft ein Hindernis ist, weil dadurch Abbruchkosten und Entsorgungskosten entstehen. In Oberösterreich beispielsweise wird in einem Projekt bereits Abbruch gefördert, damit Brachfläche vielfältiger nutzbar werden kann. So gesehen würde ich die zwei Typen von industriell-gewerblichem Leerstand gar nicht sehr auseinanderdividieren.

Das heißt, nur wenn der Nachnutzer ästhetisch-architektonischen Wert sieht und nutzen kann, gilt Gebäudebestand auf einer ungenützten Fläche als Vorteil?
Ja, wenn ich eine Nachnutzung finde, die diesen architektonischen Wert einbauen kann. So eine alte Fabrikhalle hat einen Charme, aber das heißt nicht, dass es dann einfacher ist, die Fläche zu nutzen.

Studierende vom Institut für Städtebau, Landschaftsarchitektur und Entwerfen der Technischen Universität Wien haben auf dem Gelände Nachnutzungspotenziale beforscht. Bild: Laufen Austria AG.

Die Nachnutzung des Standortes der Laufen AG in Wilhelmsburg soll künftig als Musterprozess dienen. Wofür?
Die Idee war, dass wir im Brachflächendialog diese Nachnutzung begleiten. Die Laufen AG war von Anfang an sehr offen für unterschiedliche Wege der Nachnutzungsfindung und hat das entsprechend kommuniziert. Auch indem Studierende eingebunden und gefördert und ihnen die Möglichkeit gegeben wurde, vor Ort zu arbeiten, konnten viele unterschiedliche Zugänge entstehen. 
Derzeit geht es um den Verkauf dieses Areals und sowohl die Nachnutzung und der weitere Prozess dahin – als auch, ob das ein Best-Practice-Beispiel wird, hängt ganz sicher davon ab, wer es nachnutzen wird. Die frühe Begleitung durch die Gemeinde und die TU waren relevante Aspekte dieses Prozesses. Ob die Gemeinde dann das Ganze nutzen wird können, wird sich erst zeigen.

Wie sieht denn die Bandbreite an Nutzungsperspektiven für so ein Werksgelände wie das des alten Laufen-Standortes aus? 
Die reicht von einem großen Landschaftspark – auch weil das Gebiet direkt an der Traisen liegt, war Wasser ein großes Thema in den Entwürfen der Studierenden – bis zu einer riesigen Wohnbebauung, weil Wilhelmsburg eine wachsende Stadt ist. Studierendenkonzepte haben den Vorteil, dass sie nicht beeinträchtigt sind von der Vorwegnahme der mutmaßlichen Forderungen unterschiedlicher Akteure. Sondern ziemlich frei darüber nachdenken und Ideen spinnen können. Deswegen waren das ja freie Konzepte. Und die Möglichkeiten sind auf solchen Geländen ja auch wirklich vielfältig. Wien kämpft zum Beispiel gleichzeitig stark dagegen, dass der Stadt Gewerbeflächen abhanden kommen – und Niederösterreich tut sich hier im urbanen Bereich nicht leichter, weil schlicht der Wohndruck so stark ist. Trotz allem braucht eine Stadt auch Arbeitsplätze. Und deswegen besteht natürlich durchaus eine Möglichkeit, das gewerblich-industriell weiterzunutzen. 
Als Ideal stellt man sich in Wilhelmsburg vielleicht einen Nutzungsmix vor, kein Wohnghetto, aber auch Wohnungen, denn es reichen schon Wohngebiete an das Areal heran, an die man anknüpfen könnte.

Braucht es einen Flächeneigentümer oder künftigen Flächennutzer, der intrinsisches Interesse an einer Nachnutzung seines Gebäudes hat?
Es braucht einen, der nicht plötzlich Hals über Kopf sagt, »Ich gebe das jetzt auf und dann steht es halt leer«. Konzerne lassen Flächen mitunter gezielt leerstehen und setzen auf den Wertgewinn mit der Zeit. 
Es braucht Menschen, die bereit sind, frühzeitig bekannt zu geben, dass eine Fläche zur Verfügung stehen wird. 

Die österreichischen Raumordnungen sind samt vieler Karten, darunter der Örok-Atlas, online studierbar

Um mit potenziellen Nachnutzern auch Informationen zu teilen?
Wenn ein Unternehmen in die aktive Kommunikation geht und sagt: »Wir stellen das zur Verfügung, quasi als Raum für ein Forschungsprojekt, als Studentenprojekt, kostet das Zeit der MitarbeiterInnen; es wurde im Projekt Laufen etwa auch die Halle für Veranstaltungen zur Verfügung gestellt. Eine solche Bereitschaft, einen versiegelte Fläche nicht einfach so fallen zu lassen, sondern möglichst lückenlos in eine neue Nutzung zu überführen, erweitert die Möglichkeiten der Nachnutzung. Und das ist uns als sehr positive Art aufgefallen, mit einer Veränderung einer Betriebsstruktur umzugehen.

Wenn dieser erste Schritt, das Engagement des Noch-Nutzers an einer Weiternutzung, gegeben ist, welche Rolle müssen andere Akteure übernehmen?
Es kommt immer darauf an, wer da dazwischengeschaltet wird. In Wilhelmsburg war es mit Ecoplus die niederösterreichische Standortagentur, die sich miteingebracht hat mit ihrem Wissen über einen Pool an Interessenten: Welche Firmen suchen grundsätzlich Flächen in welcher Größe und Struktur. Ecoplus versucht als Bindeglied zu wirken zwischen meist plötzlich aufgetauchtem Angebot und der Nachfrage und versucht, beide an einen Tisch zu bringen. In anderen anderen Bundesländern gibts andere Player, aber im Prinzip gibt es Institutionen, die zwischen Angebot und Nachfrage fungieren.

Ist deren Vermittlungsarbeit eine Krücke oder eine Übergangslösung hin zu einer umfassenderen Informationslage – Stichwort Datenbank – oder braucht es das auf jeden Fall?
So sehr wir uns alle gerne vorstellen: ›Wär doch cool, wenn wir jetzt eine bundesweite Datenbank hätten, wo Brachflächen eingespeist sind. Da schauen dann alle, die sich interessieren rein und wenden sich sofort an den Anbieter‹: Das wird meiner Meinung nach so nicht funktionieren. 
Die Erhebung von Informationen wird ein Thema sein, damit wir wissen, wo es Brachflächen gibt, die so auf eine Nachnutzung warten. Aber das kann nur regional funktionieren, weil es betrifft einen Markt in Bewegung. Im Idealfall fällt etwas ja gar nicht vollkommen brach, sondern gelangt vorher schon zu einer neuen Nutzung. Und wer sollte da bundesweit den Überblick bewahren? Ich denke, das wird durch Datenbanken der Länder statt eine Bundesdatenbank funktionieren müssen. Weil einfach das ganze zu sehr in Bewegung ist, als dass jemand von Wien aus einen Überblick hat, wie die Marktsituation in Vorarlberg ist. 

Umfassende Informationen zu teils öffentlichen Veranstaltungen und Wissen rund ums Thema Bodennutzung in Österreich
bodeninfo.net

Braucht es Anreize, damit sowohl der ehemalige Nutzer als auch der künftige Interesse an dieser Form der Nachnutzungsorganisation hat?
Das kommt auf die Fläche an. In diversen Forschungsprojekten haben wir die Flächen in A-, B- und C-Flächen eingeteilt und die A Flächen sind die Selbstläufer. Also das Nordbahnhofgelände in Wien etwa, das funktioniert einfach. Da gab es nur die Einschränkung, dass die Stadt hier auch viel sozialen Wohnbau gewünscht hat. Aber dass das nachgenutzt wird, war ganz klar, weil der Flächendruck so groß ist. 
Auch wenn im Zentrum von St. Pölten eine Brachfläche verkauft wird, findet sich sofort ein Wohnbauträger, der dort hinbaut. A-Bracheflächen bestehen kaum für nennenswerte Zeit, es sei denn, die BesitzerInnen dieser Fläche warten darauf, dass der Wert weiter steigt. Und andererseits gibt es C-Flächen. Etwa eine Fläche im nördlichen Waldviertel, zum Beispiel eine alte Textilfabrik: Selbst wenn die Anreize noch so stark sind, werde ich mir schwer tun, diese Fläche zu entwickeln. 
Die interessanten Flächen hingegen sind die in der Mitte: Um hier etwas in Bewegung zu bringen, wurde zum Beispiel im April 2022 die Flächenrecycling-Förderung eingeführt. Es werden beispielsweise Untersuchungen zum Zustand der Brache gefördert; denn es gibt durchaus auch Ängste im Zusammenhang mit Haftungsfragen bei allfälliger Kontamination. 
So sollen Incentives dafür geschaffen werden, dass die Brachfläche von denen, die sie loswerden wollen, attraktiver gemacht werden, indem sie Untersuchungen vorlegen können. Oder für Interessenten an einer Brachfläche, denen durch eine geförderte, von ihnen in Abstimmung mit dem Noch-Nutzer organisierte Untersuchung, einen Teil des Risikos abnehmen lassen.

Neu aufbereitete Informationen zum Schwerpunktbereich gewerblich-industrieller Nachnutzung und auch zu den entsprechenden öffentlichen Förderungen gibt es bei Brachflächendialog online

Welches Wissen aus dem Dialog sollte breiteres Gehör finden?
Das Ende des Zubetonierens landet als Notwendigkeit immer häufiger in den Medien. Es wird allerdings oft unterschätzt, was die Wiedernutzung von Brachflächen leisten kann, wenn es um Flächensparen geht.
Unsere Ziele in der EU sind ambitioniert: ein Netto-Bodenverbrauch von null bis zum Jahr 2050. Aber wir werden ja weiterhin wohnen wollen. Weiterhin arbeiten. Wir brauchen Unternehmen, und die brauchen auch Fläche. Das bedeutet, Flächen effizient zu nutzen und eben nicht einfach aus dem Wirtschaftskreislauf fallen zu lassen. 

Wird genug getan, um diese Flächensparziele zu erreichen? Ist der Gesetzgeber nicht in der Pflicht, das Verbauen der grünen Wiese zu verunmöglichen?
Raumordnung und alles, was damit zusammenhängt, ist in Österreich Ländersache. Ja, es gibt in der Österreichischen Raumordnungskonferenz ÖROK immer wieder gemeinsame Initiativen, um da weiterzukommen. Derzeit arbeitet sie gemeinsam mit dem Bund und den Ländern an einer Bodenstrategie, um den Bodenverbrauch zu senken. 
Was der Bund, das BMK und wir (das Umweltbundesamt, Anm.) dazu beitragen können, ist, dieses Bewusstsein zu schaffen und Hürden abzubauen. Und das ist das, was wir mit dem Brachflächendialog versuchen. Alles andere wünschen wir uns.

Möchten Sie ein bestimmtes Problem identifizieren, an dem die Erfüllung ihrer Wünsche scheitert? 
Ein Problem? Wenn es ein Problem allein wäre, dann wüssten wir, wo wir ansetzen können. Oft ist es leider schon die Akzeptanz der Problems, an der es scheitert. 

Sabine Rabl-Berger organisiert für das Umweltbundesamt den Brachflächendialog.


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BIORAMA Niederösterreich #10

Dieser Artikel ist im BIORAMA Niederösterreich #10 erschienen

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