Nachhaltigkeit: wie umgehen mit dem N-Wort?
Unser Magazin hat sich dem nachhaltigen Lebensstil verschrieben. Immer öfter stellen wir fest, dass Nachhaltigkeit für viele ein absolutes No Go ist. Zumindest als Begriff. In einer Studie der Universität Lüneburg wurde gerade festgestellt, dass der Begriff Nachhaltigkeit immer seltener fällt. Woran liegt’s?
Manchmal wundert man sich. So wie neulich. Auf einer Podiumsdiskussion in Wien forderte eine prominente Vertreterin von SlowFood, der Begriff Nachhaltigkeit solle endlich zum „Unwort des Jahres“ gekürt werden. Das sei längst überfällig. Zur Erinnerung: im Vorjahr war das österreichische Unwort des Jahres „Negerkonglomerat“ und im Jahr davor „inländerfreundlich“. Und nun fordert ausgerechnet eine Verfechterin von ökologisch produzierten und fair gehandelten Lebensmitteln, den Begriff Nachhaltigkeit in diese Reihe zu stellen?
Schon einmal, nur ein paar Wochen früher, habe ich mich ebenfalls gewundert. Auf einer Journalismus-Tagung tat sich die Umwelt-Redakteurin eines deutschen Wirtschaftsmagazins hervor, indem sie kundtat, das Wort Nachhaltigkeit würde sie unter allen Umständen in ihren Artikeln vermeiden, ja sie finde es sogar ganz schrecklich.
Offensichtlich ist „Nachhaltigkeit“ ein Buzzword , das bei einigen Leuten alle Glocken schrillen lässt. Eine Erklärung, weshalb das so ist, hat im vergangenen Jahr Axel Bojanowski geliefert. Er kam zum Schluss, der Begriff sei verschleiernd, gar schädlich und man solle ihn listigen Verkäufern überlassen. Nachhaltigkeit als Werbefloskel: nichts Neues. Aber macht das den Begriff wirklich zum No Go?
Ein polarisierend unpolarisierender Begriff
Es gibt viele Begriffe, die trotz diffusen Inhalts nicht wegzudenken sind. Freiheit zum Beispiel ist so ein Begriff. Er wurde schon für so ziemlich jede erdenkliche politische Forderung verwendet, instrumentalisiert und missbraucht. Es gibt Pressefreiheit, Versammlungsfreiheit, Reisefreiheit, Religionsfreiheit, ziemlich wunderbare Freiheiten. Trotzdem werden nationale Freiheit, Gesinnungsfreiheit, Meinungsfreiheit und Co. auch immer wieder zu politischen Kampfbegriffen, die nicht mit anderen Freiheitsbegriffen unter einen Hut zu bringen sind. Die Folge: Freiheit ist ein Begriff, dessen Inhalt ziemlich variabel ist. Würde deshalb irgendjemand fordern, Freiheit zum Unwort des Jahres zu machen?
Die Kommunikationswissenschaft hat viele Namen für Begriffe, deren Bedeutung abhängig vom Kontext und deshalb nicht eindeutig ist. Einer der anschaulichsten ist der vom argentinischen Theoretiker Ernesto Laclau geprägte Begriff des Leeren Signifikanten. Ein solcher Leerer Signifikant ist ein sprachliches Symbol, dessen Signifikat – also das, was er bezeichnet – so schwammig ist, dass der Signifikant quasi inhaltsleer benutzt werden kann, als pure Worthülse.
Der Medienwissenschaftler Torsten Schäfer hält solche Klammerworte für wichtig. In seiner Antwort auf Axel Bojanowskis Abrechnung mit dem Nachhaltigkeits-Begriff stellt er fest, dass erst in der öffentlichen Debatte die Schärfung solcher Begriffe stattfindet. Beim Begriff Demokratie hätten wir uns längst daran gewöhnt, ihn durch Ergänzungen wie direkt oder repräsentativ mit konkretem Inhalt zu füllen. Bei Nachhaltigkeit fehle noch die Akzeptanz für die Widersprüchlichkeit des Begriffs. Dass der Begriff so wahllos verwendet werden kann, so mir nichts dir nichts als unscharfes Label an alles und jedes geknüpft werden kann, ohne großen Widerspruch hervorzurufen, das polarisiert.
Der Begriff Nachhaltigkeit wird langsam schärfer
Dass Nachhaltigkeit inflationär und inhaltsleer verwendet wird, ist ein Eindruck, den viele teilen. Ein Team um Daniel Fischer am Institut für Umweltkommunikation der Leuphana Universität in Lüneburg wollte es allerdings genauer wissen. Für eine Studie haben die Wissenschaftler deshalb jede einzelne Nennung des Begriffs Nachhaltigkeit in sechs überregionalen deutschen Tageszeitungen ermittelt. Und das für einen Zeitraum von zwanzig Jahren. Für die Jahre 2001, 2007 und 2013 wurden zusätzlich alle Nennungen des Begriffs einzeln untersucht, und in 20.000 Prüfvorgängen jeweils einem bestimmten Nachhaltigkeits-Verständnis zugeordnet. Ein Sisyphos-Projekt.
„Für den breiten Untersuchungszeitraum der 20 Jahre ist zunächst festzustellen, dass der Begriff heute in etwa doppelt so häufig auftaucht wie zu Beginn des Untersuchungszeitraums,“ berichtet Daniel Fischer aus der Studie. „Nicht vergessen sollte man jedoch in der Einordnung dieses Befundes, dass der Begriff der Nachhaltigkeit heute trotzdem erst in lediglich 2% aller publizierten Artikel auftaucht.“
Die Verwendung des Begriffs Nachhaltigkeit, die in drei Jahren genauer untersucht wurde, brachte zutage, dass im Jahr 2001 über 75% aller Nennungen des Begriffs in einem alltagssprachlichen Kontext vorkamen, z.B. wenn über den besonders nachhaltigen Abgang eines Weins geschrieben wurde, oder mit nachhaltig schlicht dauerhaft gemeint war. Im Vergleichsjahr 2013 waren nur noch knapp über 50% aller Nennungen des Begriffs mit einem alltagssprachlichen Verständnis verbunden. Gleichzeitig nahm die Verwendung von Nachhaltigkeit in spezifischen Dimensionen – etwa ökologisch, sozial, ökonomisch – in den drei Vergleichsjahren kontinuierlich zu. „Es gibt also durchaus empirische Anhaltspunkte dafür, dass der Begriff aus der Nische in den Mainstream kommt und auf diesem Wege eine semantische Aufladung erfährt,“ meint Daniel Fischer.
Man liest Nachhaltigkeit immer seltener und spezifischer
Ob Bio-Bauer, Umweltjournalist oder Greenwasher eines Erdölkonzerns: wer ein berufliches Nahverhältnis zu Nachhaltigkeit im Allgemeinen hat, dem wird der Begriff omnipräsent erscheinen, einfach wegen der Häufigkeit, mit dem er in bestimmten Branchen benutzt wird. Dass er in nur zwei Prozent aller Artikel von überregionalen Zeitungen auftaucht, und das sogar mit abnehmender Tendenz, zeigt: der Eindruck, er werde ständig, überall und von jedem für alles mögliche verwendet, ist Quatsch.
Was bedeutet es, wenn ausgerechnet Journalisten den Begriff meiden, weil er ihnen zu abgenutzt und inhaltsarm erscheint? Eigentlich müssten es doch sie sein, die den Begriff schärfen und so ernst nehmen, dass er eben nicht mehr der reinen sprachlichen Begrünung dienen kann. „Angesichts dessen, was in den kommenden Jahren und Jahrzehnten auf dem Spiel steht, können wir auf den Beitrag einer qualitativ hochwertigen journalistischen Auseinandersetzung mit den Kontroversen und Handlungsfeldern nachhaltiger Entwicklung schlichtweg nicht verzichten,“ ist sich Daniel Fischer sicher.
Es bleibt die Erkenntnis, dass der journalistische Umgang mit dem N-Wort sich wandelt, weniger alltäglich, dafür spezifischer wird. Gleichzeitig nimmt die Verwendung des N-Worts ab. Vielleicht liegt das daran, dass die Leute den Begriff inzwischen bewusster, und dadurch auch seltener verwenden. Vielleicht liegt das daran, dass den Leuten der Begriff einfach zum Hals heraushängt, weil sie ihn zu oft in Verbindung mit vagen Ankündigungen, Absichtserklärungen, politischer Rhetorik oder Werbung verwendet oder gehört haben. Letztlich ist das aber egal, denn es geht der Nachhaltigkeit wie der Freiheit: auch wenn sie als Begriff flüchtig und flexibel ist, bleibt sie als Konzept bestehen, das immer wieder mit konkretem Handeln versehen wird.
Ein Interview mit Daniel Fischer findet sich hier.
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