Nachhaltige Ernährung ist erschwinglich
Die Berliner Köchin und Aktivistin Sophia Hoffmann über die Rolle der Gastronomie für eine Veränderung hin zu nachhaltiger Ernährung und schwierige Diskussionen rund um »Besseresser«.
BIORAMA: Österreich hat in vielen Bereichen einen höheren Bioanteil als Deutschland, gerade in der Gastronomie ist Bio aber nach wie vor auch hier ein vernachlässigtes Thema. Wie schätzt du die Situation in Berlin ein?
Sophia Hoffmann: Tatsächlich sind die infrastrukturellen Voraussetzungen in Deutschland anders. Zum Glück ist Biolandwirtschaft auch hier ein zwar immer noch geringer, aber stetig wachsender Bereich, aber im Vergleich zu Österreich mit 24 Prozent aller Agrarbetriebe liegen wir hierzulande laut Statistischem Bundesamt mit 7 Prozent noch deutlich darunter. Das heißt nach aktueller Verfügbarkeit wäre es für eine große Zahl gastronomischer Betriebe in Berlin noch nicht möglich sich hauptsächlich regional bio zu versorgen. Aber die VorreiterInnen auf diesem Gebiet helfen, dies zu ändern, indem sie die Beziehungen zu und den Direktbezug von LandwirtInnen ausbauen. Eine Schlüsselrolle spielt hier für mich »Die Gemeinschaft«, ein von GastronomInnen gegründetes Netzwerk, um diese Beziehungen zu stärken. Bio ist hier ein Teil der DNA.
Wie ist die Kennzeichnung in Deutschland gesetzlich geregelt? Wer darf sich Biorestaurant nennen?
Das Bio-Siegel ist ein markengeschütztes Zeichen. Jedes Produkt und jedes Unternehmen, das mit dem Bio-Siegel beworben oder gekennzeichnet wird, muss somit vor Deklaration bei der Informationsstelle Bio-Siegel angemeldet werden. Auch die Begriffe »Bio« und »Öko« sind gesetzlich geschützte Begriffe. Im gastronomischen Bereich gilt: Wer kommunizieren möchte, dass er Bio- oder Ökolebensmittel verarbeitet und anbietet, muss als Betrieb vorab am Kontrollverfahren nach der EG-Öko-Verordnung teilnehmen.
Dies gilt sowohl für die Verwendung der Begriffe auf der Speisekarte, der Tafel im Gastraum, der Website sowie in jeglicher anderen werblichen Form. Hierbei ist es ganz egal, wie hoch der eingesetzte Bioanteil ist oder ob sich die Auslobung nur auf einzelne Produkte oder komplette Gerichte bezieht. Wer also die Formulierung »Rührei aus Bioeiern« auf seine Karte nehmen möchte, benötigt hierfür eine Biozertifizierung. Vom Kontrollverfahren ausgenommen sind nur verpackte Lebensmittel, die nicht weiterverarbeitet, sondern lediglich »weiterverkauft« werden wie beispielsweise Getränke in Flaschen (Biolimo).
Aber die Realität in Berlin sieht anders aus: Erstens werden diese Auflagen kaum kontrolliert und zweitens sind sich viele GastronomInnen überhaupt nicht bewusst, dass es nicht zulässig ist, ohne Zertifizierung mit »Bio« zu werben. Viele, die ich kenne, sind bei diesem Hinweis meinerseits aus allen Wolken gefallen und hatten noch nie davon gehört. Es bedarf meiner Meinung nach noch viel Aufklärung zum Thema. Etwa wissen viele auch nicht, dass es die Option einer nicht hundertprozentigen Zertifizierung gibt, die es ermöglicht trotzdem Produkte von ProduzentInnen des Vertrauens zu verwenden, die etwa aus Rentabilitätsgründen keine Zertifizierung haben.
Für uns ist Bio eine Grundlage, es gibt in der Nachhaltigkeit, aber noch mehr Themen …
… it’s complicated. Im gleichen Atemzug in dem Berlin für eine internationale, diverse und innovative Food-Szene steht, steht die Stadt auch für besonders billiges Essen. Und die, die versuchen Bio und fairen Handel als Teil ihrer Gastrokonzepte umzusetzen – wie etwa mein aktueller Arbeitsplatz Isla Coffee, ein Café, das nach dem Kreislaufprinzip arbeitet – werden als böse Gentrifizierer beschimpft. In der komplexen Debatte um die Markthalle Neun, wahrscheinlich mit der wichtigste Standort kulinarischer Wertschätzungskultur in Berlin, wird dann auf einmal der Begriff »Besseresser« zu einem Schimpfwort.
Alt-Linke und junge Autonome verteidigen Konzerne wie Aldi und beschimpfen ProduzentInnen und GastronomInnen als Snobs, ohne sich tiefer damit auseinanderzusetzen, warum der Status quo der Lebensmittelerzeugung postkolonial rassistisch ist und Menschen, Tiere sowie Umwelt gleichermaßen ausbeutet. Der Kaffee, der über 2,50 Euro kostet, und der Barista, der eine nachhaltige Produktphilosophie hat, werden zum Feindbild und nicht der Konzern, der durch Monopolstellung Lebensmittelpreise künstlich niedrig halten kann. Das ist vollkommen absurd. Ich kann nicht für mehr Gerechtigkeit auf die Straße gehen und dann guten Gewissens für 1,99-Euro-Billigfleisch von Tönnies bei Aldi einkaufen – das geht nicht zusammen. Zudem gebe ich zu bedenken, dass Menschen wie ich, die sich für Veränderung einsetzen, meist genau das Gegenteil von GroßverdienerInnen sind und zum Großteil aus Überzeugung und Idealismus handeln. Für sie stellt der Konsum hochwertiger Lebensmittel eine Priorität dar, dafür sparen sie in anderen Bereichen. Das hat natürlich viel mit Privileg, Bildung und Sozialisierung zu tun, deshalb ist es im Umkehrschluss verkehrt, Menschen mit niedrigem Einkommen zu verurteilen, wenn sie billiges, stark verarbeitetes Essen konsumieren. Es bedarf positiver Bildungs- und Überzeugungsarbeit, politischer Unterstützung für Wertschätzungsmehrung und höherer Sozialleistungen für die marginalisierten Bevölkerungsgruppen.
Aber in Berlin passiert auch viel Innovatives: Wir haben eine riesige vegane Food-Community und Zero-Waste-/Low-Waste-Konzepte, die Vorbildwirkung haben. Es gibt Genossenschaften und Initiativen, die neue Wege aufzeigen. Aber mehr geht immer noch!
Gerade in Sachen Kulinarik ist es ein Thema, dass man sich Nachhaltigkeit leisten können muss. Sowohl bei Bio als auch bei der Theorie, Gourmets könnten für ein Umdenken sorgen und Interesse an nicht industriell verarbeitetem Essen und besserer Qualität in die Breite tragen, spielt der Preis eine Rolle. Du bist aber der Meinung, dass auch nachhaltige Ernährung für alle leistbar sein kann?
Ja, absolut. Allerdings beinhaltet die Umsetzung eine größtenteils pflanzliche saisonale Ernährung und die frische Zubereitung in der eigenen Küche. Leider gibt es viele Menschen aus allen Einkommens- und Bildungsschichten, die seit Generationen nicht mehr richtig zu Hause kochen. Da hat ein enormer Wissensverlust stattgefunden, der mit Fertig- und Halbfertigprodukten und To-go-Speisen kompensiert wird. Die Zahlen sprechen für sich: In Deutschland landen laut Greenpeace 18 Millionen Tonnen Lebensmittel jährlich im Müll, 40 Prozent davon in Privathaushalten. Auch wenn das viele nicht gerne hören: Es ist ein Luxusproblem, so viel Essen wegwerfen zu können. Wir geben in Deutschland 12 Prozent unseres Einkommens für Lebensmittel aus, in Nigeria sind es 56 Prozent.
Ich mache zu fast 100 Prozent die Lebensmittelindustrie für diese Entwicklung verantwortlich, die den »Geiz ist geil«-Slogan in die Köpfe der VerbraucherInnen gepflanzt hat, sodass Deutsche heute mehr Geld für Motoröl ausgeben als für ein hochwertiges Speiseöl. Wir sind komplett sozialisiert und manipuliert von einer Werbeindustrie, die dafür jährlich Millionen ausgibt, und leben in dem Fehlglauben, frei zu entscheiden. Die Politik trägt daran eine enorme Mitschuld, wie man an unserer aktuellen Agrarministerin Julia Klöckner gut sehen kann, die als Marionette des Lobbyismus nicht ernst zu nehmen ist.
Die Gastronomie ist oft eine Wegbereiterin, die Themen setzen kann. Siehst du eine Chance, dass über die Gastronomie das Bewusstsein für Nachhaltigkeit in der Kulinarik gesteigert werden kann?
Absolut. Das ist für mich auch einer der Gründe, selbst ein Restaurant zu eröffnen – ich habe den Start von Happa aufgrund von Corona auf 2021 verschoben. Mit meiner Geschäftspartnerin ist es unser Ziel, neue Wege zu gehen, das Thema Biozertifizierung vom angestaubten 1980er-Grünkernlaibchen-Image zu befreien und modern und lecker als Qualitätsmerkmale für unsere Gäste zu präsentieren. Zudem rückt soziale Nachhaltigkeit zum Glück immer mehr in den Fokus.
So planen wir eine Vier-Tage-Woche, die wirtschaftlich durch eine Mehrfachnutzung der Location ermöglicht werden soll. Wir wollen weg von gesundheitsschädlichen Arbeitsbedingungen für Gastropersonal und vertreten die Meinung, man solle nie den Status quo akzeptieren, nur weil irgendjemand behauptet, es ginge nicht anders.