„My Stuff“: Gegenstandslos glücklich
Der Finne Petri Luukkainen entschließt sich dazu, all sein Eigentum in Kisten zu packen, wegzuschaffen und sich nur ein Ding pro Tag wieder zurückzuholen. Das schräg-humorige Filmprojekt macht Spaß – und nachdenklich.
BIORAMA: Wie bist du auf die Idee gekommen, all deine Sachen wegzupacken und dir nur einen Gegenstand pro Tag wieder zurückzuholen?
Petri Luukkainen: Ende 2010 war ich nicht sonderlich glücklich mit meinem Leben und ich hatte zu viele Dinge in meiner Wohnung angesammelt. Da habe ich mir einfach gedacht, wenn ich das mit meinem Besitz auf die Reihe kriege, vielleicht werde ich glücklicher. Heute denke ich mir, dass ich vielleicht ein Zuhause in einem eher philosophischen Sinn gesucht habe und mein Leben noch einmal neu anfangen wollte. Ich denke, deshalb habe ich mit den Gegenständen angefangen, und ich habe während dieses einen Jahres gelernt, dass es mehr braucht als bloß Dinge, um ein Zuhause zu schaffen.
Zuerst war es der Plan, einfach mein ganzes Zeug in diesem Selfstorage unterzubringen. Ich wollte aber nicht ein Wochenende damit verbringen, auszumustern und alles blitzblank zu putzen. Ich wollte an Hand dieses Experiments herausfinden, was ich wirklich brauche. Weil ich mich nicht entscheiden konnte, was ich behalten sollte bzw. weil die Entscheidungsfindung so schwer war, dachte ich mir, dass ich durch den Auswahlprozess am meisten lernen könnte. Also hatte ich die sonderbare Idee, einfach alles wegzugeben und dann ein Ding pro Tag zurückzuholen und den Prozess so zu verlängern.
Die Idee kam nicht einfach über Nacht. Das Konzept und die Regeln kamen mir in den Sinn, als ich alles in die Boxen stapelte.
Die Herausforderung war groß. War es die Erfahrung wert?
Ja, auf jeden Fall. Ich bin überglücklich, dass ich das gemacht habe – dass ich etwas gemacht habe. Oft habe ich das Gefühl, dass die Konzentration auf das viele Zeug die Zeit und die Jahre einfach so vergehen lässt. Man weiß in etwa, was man gerne tun würde, hat aber nicht den Mut oder die Energie dazu, das umzusetzen. Ich glaube, dass ich am Anfang dieses Projektes einfach das Risiko gewagt habe und anfing, meinen Lebensstil zu ändern. Und es ist gut gegangen. Ich denke, dass es deshalb so war, weil es meine eigene Idee war, das Ganze anzufangen. Wenn man zum Beispiel seinen Job verliert, die Ausgaben reduzieren und das Auto verkaufen muss und auch nur mehr wenig einkaufen kann – dann hat man vielleicht das Gefühl, dass einem etwas weggenommen wird. Wenn man aber selbst entscheidet, ohne Auto zu leben und weniger zu kaufen, einfach um zu sehen, wie es dann geht und das dann sogar ganz gerne mag, lernt man auch etwas daraus. Und das, weil es über einen positiven Weg abläuft.
Also ja, die Herausforderung war es wert. Es war eine Art Expedition in mein eigenes Leben, innerhalb meiner 40 Quadratmeter-Wohnung.
Was haben deine Freunde und deine Familie zu Beginn über dein Projekt gedacht? Wie hat deine Umgebung darauf reagiert?
Jeder hat sich gefragt: Was hat er denn jetzt vor? Und warum bloß das Ganze?
In der Woche, in der ich die Idee hatte und zu packen anfing, entschied ich auch, dass ich das filmen sollte. Ich wollte einfach das Filmen üben und vielleicht einen Dokumentarfilm drehen. Das sollte ganz simpel sein, da ich ja ein für mich ganz großes Projekt vorhatte. Also nahm ich auch das Filmen als Ausrede.
Als meine Mutter mich nach dem Warum fragte, gab ich ihr zur Antwort, dass ich das alles auch filmen und eine Dokumentation daraus machen wollte. Dann hat sie es irgendwie verstanden. Ich denke heutzutage ist Teilen eine gute Ausrede dafür, um etwas Radikales zu tun.
Deine Großmutter spielt eine Schlüsselrolle im Film. Sie gibt dir Ratschläge, sagt dir aber nicht, was du zu tun hast. Sie gibt dir die Möglichkeit, deine eigenen Erfahrungen zu machen. Sie ist sich ganz genau bewusst, dass all die Gegenstände, die man besitzt, eines Tages zurückgelassen werden müssen. Ist sie ein Vorbild für dich?
Meine Großmutter ist meine Heldin. Sie ist jemand, zu dem ich aufschaue, der mir aber gleichzeitig das Gefühl gibt, ebenbürtig zu sein. Ich kann mir keinen sichereren Ort vorstellen, als einfach bei meiner Oma zu sitzen und mit ihr Kaffe zu trinken oder gar nichts zu tun. Sie hatte immer Zeit, hörte immer zu. Die Liebe, die sie über ihr einfaches Handeln gibt, ist verblüffend.
Es macht Spaß, deinen Film anzuschauen. Gleichzeitig regt er dazu an, über die wirklich wichtigen Dinge im Leben nachzudenken. Es ist nicht gerade einfach, sie in der heutigen schnelllebigen und materialistischen Welt im Auge zu behalten. Wie können wir in uns selbst mehr Bewusstsein dafür schaffen, abgesehen von Projekten wie deinem?
Ich denke, dass wir alle wissen, was wir tun sollten. Wir hören aber nicht hin. Ich habe auch nicht auf mich gehört, aber dann habe ich mein Vorhaben gestartet und während dieser Zeit habe ich etwas über mich selbst gelernt.
Selbstreflexion beginnt kaum auf dem Sofa, nach einem harten Arbeitstag, oder an einem der seltenen, freien Sonntagnachmittage. Man muss sich Zeit geben, um auf sich selbst zu hören. Das ist ganz einfach. Langeweile wird heute nicht mehr toleriert. Wir müssen etwas machen und beschäftigen uns ständig mit unseren Smartphones. Es ist vielleicht einfacher, etwas Aktives zu machen, um bei uns selbst Bewusstsein zu schaffen. Vielleicht Joggen gehen, das unnötige Zeug aus der Wohnung schmeißen. Oder für eine Woche auf das Telefon verzichten und über Monate hinweg nichts mehr einkaufen. Wie Zauberei bricht es mit deiner Routine und du hast die Chance, etwas zu verändern.
Wichtig ist auch, mit den Leuten zu reden und mit ihnen in Dialog zu treten. Als ich ein Jahr lang nichts gekauft habe, waren die meisten Menschen sehr aufgeregt und wollten ihre Ideen mit mir teilen.
„My Stuff“
Finnland 2013
Regie: Petri Luukkainen
Ab 5. März 2015 in den deutschen Kinos.