Milchkuhhaltung für Enthusiasten
In der heute üblichen Milchviehhaltung werden Kuh und Kalb unmittelbar nach der Geburt voneinander getrennt. Das Muttertier geht in den Melkstand und das Kalb geht zum Saugen an den Tränkeeimer. Eine natürliche Beziehung der Tiere zueinander wird so unterbunden. Vielen Konsumenten ist dieser Umstand möglicherweise nicht bewusst, wenn sie einen Liter Milch aus dem Supermarktregal nehmen. Gibt es eine tiergerechtere Alternative zur gängigen Praxis? Die muttergebundene Kälberaufzucht stellt einen Versuch dar.
Was verbirgt sich nun hinter dem Begriff muttergebundene Kälberaufzucht? Auskunft dazu gab Kerstin Barth vom Thünen-Institut für Ökologischen Landbau bei der 21. Freiland-Tagung bzw. 26. IGN-Tagung (Anm. der Redaktion: Internationale Gesellschaft für Nutztierhaltung) am 25.9. an der Universität für Bodenkultur in Wien. Ihr Vortrag hatte den treffenden Titel „Zurück zur Natur?! – Viele Fragen und einige Antworten zur muttergebundenen Kälberaufzucht“. Sie hielt eingangs fest, dass sich hinter diesem Begriff zum Teil ganz unterschiedliche Systeme und Vorgangsweisen verbergen. Generell versteht man unter der muttergebundenen Kälberaufzucht eine Aufzuchtform, die das längere Saugen der Kälber an der Mutter ermöglicht. Zusätzlich werden diese Kühe gemolken.Wie lange und wie häufig der Kontakt zwischen Kuh und Kalb möglich ist, ist jedoch variabel. Manchmal ist es auch nicht die eigene Mutter, die das Jungtier mit Nahrung versorgt, sondern eine so genannte Ammenkuh. Sie ist dann für die Ernährung mehrerer Kälber verantwortlich. Die Ammenkuhhaltung stellt oft einen integralen Bestandteil der muttergebundenen Aufzucht dar. Am biologisch-zertifizierten Versuchsbetrieb des Thünen-Instituts in Trenthorst wird aber eine rein muttergebundene Aufzucht der Kälber praktiziert. Die Rednerin berichtete ausführlich von der nunmehr zwölfjährigen Forschung am Betrieb zu diesem Thema. Eines der wesentlichsten Ergebnisse war, dass das gegenseitige Besaugen der Kälber – ein großes Problem in der sonst gängigen Praxis – bei diesem Verfahren gänzlich wegfällt. Klar ist jedoch, dass es Einbußen bei der Milchmenge, die zum Verkauf zur Verfügung steht, gibt und auch die Melkbarkeit der Kühe nachlässt. Weiters gibt es Einbußen beim Fettgehalt der Milch, weil die Kühe nicht vollständig stimuliert werden können und die fetthältigere Alveolarmilch im Euter zurückbleibt. Andererseits nehmen die Jungtiere sehr gut zu und entwickeln sich gut an der Seite ihrer Mütter. Wird die Milch der Rinder den gesetzlichen Anforderungen entsprechend gewonnen und werden die hygienischen Bestimmungen eingehalten, kann es hinsichtlich der Qualität der Milch keinerlei Probleme geben.
Die muttergebundene Kälberaufzucht ist laut Kerstin Barth ein sehr emotional besetztes Thema. Es braucht viel Enthusiasmus, um sich den Herausforderungen, die dieses Verfahren mit sich bringt, zu stellen. Was die Wissenschaftlerin mit ins Spiel bringt, ist die große Berufszufriedenheit, die die praktizierenden Landwirte kennzeichnet. Es gibt noch eine Vielzahl an offenen Fragen und einen großen Forschungsbedarf. Fakt ist jedoch, dass die Nachfrage Seitens der Bauern wächst und zunehmend kritische Stimmen zur herkömmlichen Milcherzeugung aus der Konsumentenschar laut werden. Wie praktikabel die muttergebundene Kälberaufzucht ist, wird sich herausstellen. Es gilt jedoch, dass diese spezielle Produktionsweise gut in die Praxis umgesetzt werden muss und sie nur funktionieren kann, wenn die Tierhalter hundertprozentig hinter dem stehen, was sie machen.
Am 28.10. findet ein Informationstag zum Thema „Muttergebundene Kälberhaltung als alternative Aufzuchtform“ am Thünen-Institut für Ökologischen Landbau in Braunschweig statt. Die Veranstaltung ist kostenlos, um Anmeldung wird bei tasja.kaelber@ti.bund.de gebeten!