Muss Fahrradfahren sexy sein?

An und für sich gute Dinge zu bewerben kann ja schon von Grund auf nichts Böses sein, so könnte man für sich denken und laut sagen: Der Zweck heiligt alle Mittel. Ein kurzer Aufschrieb zur diffizilen Thematik der Radfahr-Werbung anhand von drei imaginären Beispielen.

Gute Werbung arbeitet nicht nur an der Oberfläche, sie kratzt auch daran und im besten Fall bohrt sie tief ins Gehirn. Was an dieser Stelle lautmalerisch ausformuliert grindig klingt, entspricht höchstwahrscheinlich der Tatsache. Anzutreffen an mittlerweile allen möglichen und unmöglichen Ecken der Stadt, Land, Fluss, empfiehlt sie uns, was ihrer Meinung nach gerade gut zu finden wäre. Radfahren zum Beispiel. Gesund, der Gemeinheit dienlich, sexy. Sexy?
Wer zum Sheldon Brown hat in einer starken Minute seines Daseins entscheiden dürfen, was gut wäre, dürfte könnte sollte auch sexy sein? Wer jetzt »sex sells« sagt, hat schon verloren. Auch wenn man sich gerade von der Vorstellung eines kess lächelnden Rolemodels werberisch schon ein bisschen abgeholt fühlt, sollte man dabei auch an die Nebenwirkungen denken.

Bildschirmfoto 2013-04-10 um 16.15.17 Cycle Chic – Das Rolemodel im klassischen Sinn

Sexy BIORAMA-Leser kennen diese Wortkombination längst, doch auch vielen anderen dürfte der Terminus »Cycle Chic« (allen anderen voran www.copenhagencyclechic.com) bereits geläufig sein. Kurz: Die schicksten der schicken Alltagsradler der schicksten Städte der ohnehin schicken Szene, gebannt auf schwarzem Fotopapier diverser Blogs, geeint unter einem Banner (schickes Logo). Quasi die Quintessenz des schönen Rolemodels – mit all seinen negativen Seiten. Fans und ich mögen mir verzeihen: Es ist der heiße Chice [sic!]. Im Werbefritzen-Quartett würde das wohl ob des hohen Kopf-Drehmoments den Super-Trumpf stellen, doch auf einen großen Teil der Zielgruppe – und die ist nach einem gewissen Ranking zum Schluss wirklich ein jeder – wirkt diese sogar abschreckend.

Die High Heels am Ende ihrer zwei Drittel des Körpers ausmachenden Beine lassen, von den paar Schneeflocken absehen, welche lieblich die schräg einfallende goldene Wintersonne durchstöbern, Und der Feschak auf der Pupperlhutschn (am Gepäckträger) ihres frisch gebohnerten Pelago-Damenrads kudert ob der Tatsache, dass er seinen Espresso über seinen Woll-Poncho verschüttet hat.

Szenen, wie sie nur das Leben schreibt. Klar spricht dieses Bild von Werbung das innerste Wunschdenken vieler von uns an, auch einmal so rattenscharf rüberkommen zu können. Doch das Leben ist kein Cinzano-Sujet. Dass sich damit kaum jemand auf ehrlicher Ebene identifizieren kann, scheint nicht weit hergeholt, suggeriert es doch in erster Linie, dass Fahrradfahren den Feschen und ihrem Lifestyle vorbehalten ist. Und nichts wäre unwahrer als das, denn Radfahren zeichnet sich vor allem durch seine Klassenlosigkeit im besten Sinne aus. Der Hausmeister – um bei Stereotypen zu bleiben –  wird deswegen seine Zigaretten bestimmt öfter mit dem Fahrrad holen fahren, aber sich vielleicht von Fortbewegung, gekoppelt mit dieser Art von Lebensgefühl ausgeschlossen fühlen.

Bildschirmfoto 2013-04-10 um 16.15.17 Statussymbol-Bashing

Dass das Auto als Statussymbol Nummer Eins nach wie vor Gültigkeit besitzt, bleibt nicht anzustreiten. Dennoch darf man dem Fahrrad als Kultobjekt – besonders bei einer jüngeren, urbanen Generation – immer mehr an Bedeutung zumessen.

Der Tatsache des nicht erforderlichen Parkplatz neidisch, schielt der gesackelte Unternehmertyp, den Ellenbogen auf einmal gar nicht mehr so lässig aus dem offenen Fenster seines dunklen BMWs hängen lassend,  bewundernd auf das vom frech zwinkernden, Tokyo-Hotelesque gekleideten Lehrhaxen geschulterte Fixie-Bike.

Man kennt das. Natürlich sind die Zeiten vorbei, in denen der Lehrling mit dem quietschenden Drahtesel, der Geselle mit dem laut scheppernden Moped und der Meister mit dem nobel gleitenden Schlitten im Firmenhof vorfuhr. Längst schon greifen übergebliebene Yuppies lieber zu japanischem Stahl oder italienischer Heritage in Doppeldiamant-Form als zur gestrig erscheinenden Karosse. Und natürlich gilt es als weithin smart, den Arbeitsweg mit dem Fahrrad zurück zu legen, sofern dies im Rahmen des Machbaren liegt. Doch wie sollte sich damit der Herrenfahrer fühlen, der sein gesamtes, nicht real vorhandenes Erspartes in einen gebrauchten Reihenvierzylinder gesteckt hat!? Zumindest nicht von der Werbung  abgeholt.

Bildschirmfoto 2013-04-10 um 16.15.17 Der Schulterklopfer

Dass Fahrradfahren schon seit über hundert Jahren nicht mehr in den Kinderschuhen steckt und es auch schon immer genügend selbsterkorene Helden des Alltages gab, die bereitwillig als Early Adopters herhielten, weiß man. Kaum jemand darf keinen einzigen davon zu seinem erweiterten Bekanntschaftskreis zählen.

Den Klingeldaumen zur bestätigenden Geste des Slogans erhoben, beißt der StVO-konforme, in Gummihosen und Goretex eingeschweißte 3M-Reflektorfolien-Verkäufer in einen imaginären Apfel und trotzt mit seiner vitalen Aura dem Jahrhundert-Frühlingssturm. »Schon dreitausendachthundertvierundsiebzig Kilometer in dieser Woche. Mach auch du!«

 Sicher. Um viele seiner alltäglichen Wege mit dem Fahrrad zu bestreiten, muss man sich nicht selber als Märtyrer deklarieren. Man muss kein Nerd sein, um gerne Fahrrad zu fahren, gleichwohl auch keine Funktionswäsche, spezielle Barttrachten oder Sticker einer politischen Bewegung zur Schau stellen. Auch einem oft demotivierend wirkenden Konkurrenzkampf, etwa mit Kollegen, sollte man sich zu ersparen wissen, um aus der Entscheidung, das Fahrrad als ernsthaftes Fortbewegungsmittel anzusehen, keine Selbstgeißelung zu machen.

Final bleibt festzuhalten: Fahrradfahren zu bewerben ist kein einfaches Handwerk und oft schließen sich Zielgruppen naturgemäß gegenseitig aus. Doch erscheint es als richtig, mit den empfänglichen Radfahrern zu beginnen, die nur noch einen kleinen Schupfer in die richtige Richtung zum Alltagsradler benötigen. Diese sind erfahrungsgemäß – dann privat, von Mund zu Ohr – ohnehin die wichtigsten und auch glaubwürdigsten Vermittler. Wer sich angesprochen fühlt,  der sei an dieser Stelle auch gleich angehalten, die frohe Botschaft zu verkünden. Peace.

rad2

 

Velo-City 2013

BIORAMA stellt im Vorfeld der Velocity, die von 11. bis 14. Juni 2013 Radexperten und Radbegeisterte aus aller Welt in Wien versammeln wird, das Konzept »Rad-Stadt« auf den Prüfstand. In einer Artikelserie diskutieren wir Entwicklungen auf dem Sektor Radverkehr und verschiedenste Aspekte der Fahrradkultur mit Experten und Aktivisten.

www.velo-city2013.com

www.ecf.com

VERWANDTE ARTIKEL