„Motor bin ich selbst“ – Katalog zur Wiener Radlgeschichte

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Klein und fein (und gratis zugänglich) ist die Ausstellung über ”200 Jahre Radfahren in Wien“. Der Katalog ist auch für Radfreunde, die es nicht ins Wiener Rathaus schaffen, lesenswert.

Eigensinnig, schwer zu administrieren, zu individualistisch: Radfahrer hatten es in Wien eigentlich bis vor kurzem nicht sonderlich leicht.  Bereits dem Habsburgerstaat war die aufkommende Mode der städtischen „Bicyclisten“ nicht geheuer. Obwohl das Radfahren unter Proponenten des Fin de Siecle große Anhänger fand – Arthur Schnitzler gilt etwa als begeisterter Nutzer des Fahrrades – war bis 1897 das Nutzen des Drahtesels streng reglementiert. Sogar eigene Nummerntafeln wurden ausgegeben, die erst durch den niederösterreichischen Statthalter Kielmannsegg für obsolet erklärt wurden.

Längste Zeit herrschte Skepsis vor

Gleich einem roten Faden zieht sich die offizielle Skepsis gegenüber dem effizientesten und umweltfreundlichsten Fortbewegungsmittel durch die vergangenen 100 Jahre. Auch im Roten Wien blieb das Fahrrad außen vor. Politisch zwar wertgeschätzt und bei 1. Mai-Aufmärschen propagiert, kümmerte sich die Stadtverwaltung nur oberflächlich um die Bedürfnisse der Radfahrer nach entsprechender Infrastruktur. Die Straßen waren ja meist noch holpriges Kopfsteinpflaster. Viel mehr setzte die Stadtregierung damals auf den zügigen Ausbau des öffentlichen Verkehrs. Wien wurde so zur europaweit bekannten Straßenbahnstadt, als Radfahrerstadt blieb sie unterhalb der Aufmerksamkeitsschwelle. Und das mehr oder weniger die längste Zeit. Während anderswo, auch jenseits der Niederlande und Dänemark, das Fahrrad nach 1945 als normales Vehikel für Alltagsfahrten angesehen, mitgeplant und budgetär berücksichtigt wurde, verkümmerte das Fahrrad in Wien immer mehr zum „Tschopperl“-Gerät für Kinder und Jugendliche. Wer es sich nur irgendwie leisten konnte, stieg auf den Roller oder – später- ins Auto, bevor er mit dem Rad in Wien unterwegs war.

Alternativbewegung machte Radfahren wieder ernsthaft

Erst mit Aufkommen der Alternativbewegungen in den 1970er Jahren zeichnete sich ein gewisses Revival an Ernsthaftigkeit ab. Die (antikapitalistische) Fahrradwerkstätte im WUK ist bekannt, dass es ähnliches auch in der „Hausbesetzer-Szene“ Ägidigasse gegeben hat, eher nicht. Die ersten Sternfahrten nach 1945 wurden wieder ins Leben gerufen, Anfang der 1980er formierte sich mit „Argus“ die erste und noch immer existierende Radfahrlobby, auch die Kommune reagierte überraschend schnell mit neuen Radwegen, freilich zuerst einmal an den grünen Stadtrand. Der Weg ins Zentrum, der akkordierte  Ausbau an Radwegen für den (inner)städtischen Normalbetrieb kam erst langsam in die Gänge. 1970, dem Tiefpunkt städtischer Rad-Infrastruktur,  gab es sage und schreibe 11 Kilometer Radwege, aktuell (2012) verfügt Wien über 1.222 Kilometer. „Heute spielt auch die Infrastruktur zu Hause eine wichtige Rolle, also sichere Abstellmöglichkeiten am Wohnort oder technische Serviceoptionen für kleine Reparaturen “, meint Bernhard Hachleitner, einer der vier Herausgeber des lesenswerten und reich bebilderten Ausstellungskataloges. „Bike City“, vielleicht auch die Service anbietende Fahrradstation am zukünftigen Hauptbahnhof weisen da in die richtige Richtung. Bekanntermaßen hat es sich Wien ja zum Ziel gesetzt, den Radanteil von derzeit 6 auf 12 Prozent zu verdoppeln.

Auch Freunde der Fahrrad-Kennzeichnung dürfen sich beim Lesen des „Motor bin ich selbst“-Kataloges freuen: insgesamt 3 Mal gab es bereits die Nummerntafel in der gut 100jährigen Geschichte des Radfahrens in Wien: in den 1890er Jahren, dann 1936/37 – hier ging es schlichtweg darum, Geld in die (Staats)Kassa zu bekommen und kurz nach 1945, als der sowjetische Stadtkommandant Wiens die Kennzeichnung zum Schutz vor Requirierung erließ. Sonderlich viel lässt sich daraus für heutige Konfliktsituationen freilich nicht folgern.

Mehr als 40 (Kurz-)Beiträge beinhaltet die Wiener Radgeschichte, die – ein bisschen übertrieben – den Bogen über 200 Jahre Radgeschichte spannt. Auch wenn einige Aspekte gar nicht vorkommen, etwa eine genauere Analyse des Verschwindens radfahrender Kinder und Jugendlicher oder die Bedeutung des (preistreibenden) Mountainbike-Hypes ab den 1990er Jahren: Die Herausgeber – neben Hachleitner  sind das Matthias Marschik, Rudolf Müllner und Michael Zappe – haben in erstaunlich kurzer Zeit – Start für Ausstellung und Katalog war der September 2012 – das Wiener Historiker-Netzwerk der Neigungsgruppe Mobilität hervorragend angezapft und zusammen gebracht. Das Ergebnis: ein zwar vorläufiger, dennoch sehr umfassender Befund über die recht mühsame Etablierung des Radfahrens in Wien.

 

„Motor bin ich selbst. 200 Jahre Radfahren in Wien“ (190 Seiten, Paperback, € 25,-), ist im Metroverlag erschienen.

Tipp: Noch bis 31.10.2013 ist im Foyer der Wienbibliothek im Rathaus (Stiege 6, 1. Stock) eine kleine, aber klug zusammengestellte Schau über die Wiener Fahrradgeschichte gratis zu sehen.

Öffnungszeiten: Mo-Do 9.00 Uhr-18:30 Uhr, Fr 9.00-16:30 Uhr, Sommer-Öffnungszeiten (5. bis 23.8.2013): Mo-Fr 9.00 – 15.00 Uhr

Infos: www.wienbibliothek.at

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