»Zufrieden mit den Instrumenten«
Ein Gespräch mit Landesrat Ludwig Schleritzko über Mobilität und Natur. Über Konflikte, Rechtsvertrauen und Zufriedenheit mit dem, was er in der Hand hat, um Politik durchzusetzen.
BIORAMA: Landauf, landab gibt es Proteste für und gegen Straßenbauprojekte. Manche davon – nicht nur das Lobau-Bauprojekt – sind seit Langem geplant. Gibt es einen klassischen Weg, wie man mit dem Zielkonflikt zwischen Mobilitätsbedürfnissen und Umwelt-, Natur- und Klimaschutz umgeht?
Ludwig Schleritzko: Es gibt keine Patentlösung. Aber es gibt erprobte rechtsstaatliche Verfahren, um einen gewissen Ablauf zu gewährleisten und Konfliktsituationen zu bewerten und vielleicht auch zu entschärfen. Es ist ja nicht nur ein Zielkonflikt zwischen Mobilität und Umwelt-, Natur- und Klimaschutz. Es gilt auch Faktoren wie Lebensqualität und wirtschaftliche Entwicklung zu betrachten.
Dafür braucht es die rechtsstaatlichen Verfahren wie die Strategische Prüfung Verkehr (SPV), die in Österreich sowohl für hochrangige Projekte auf der Straße als auch der Schiene stattfindet. Auch bei Schienenprojekten gibt es immer wieder den angesprochenen Zielkonflikt. Und es gibt natürlich auch die Umweltverträglichkeitsprüfung (UVP). Die gewährleistet aus unserer Sicht ja auch die Teilnahme von BürgerInnen beziehungsweise BürgerInnenbewegungen bei großen Bauprojekten.
Brauchen wir hier neue Entscheidungsfindungsverfahren?
Ich glaube, die derzeitigen Instrumente sind ausreichend. Und wir kennen das ja bei unterschiedlichen Bauvorhaben. Wenn man von der Lobau weggeht, zum Beispiel zur S8, der Marchfeld-Schnellstraße, die gerade bei Gericht anhängig ist: Hier müssen nun RichterInnen oder Behörden entscheiden, in welche Richtung es gehen soll. Du wirst es bei solchen Bauprojekten im 21. Jahrhundert nie allen recht machen können. Es braucht natürlich übergeordnete Instanzen.
In Ihrer vorherigen Tätigkeit im Nationalpark Thayatal waren Sie fast nur dem Hüten der Natur vor menschlichem Eingriff verpflichtet. Fehlt es Ihnen manchmal, einen so klaren Auftrag zu haben?
Als Nationalparkdirektor ist man mehr als nur der Hüter der Natur. Jedenfalls habe ich meine Rolle damals im Nationalpark Thayatal so angelegt. Und auch die KollegInnen machen das fast in allen Nationalparks so. Es geht auch hier darum, Ausgleich zu finden. Den zwischen Tourismus und Naturschutz, weil diese Schutzgebiete unter touristischem Druck stehen. Den zwischen Jagd und Naturschutz, im Nationalpark Thayatal findet Jagd zum Beispiel auf Schwarzwild statt. Glassturzpolitik im Naturschutz ist oft kontraproduktiv für das eigentliche Naturschutzziel. Was meine ich damit? Der Natur ihren freien Lauf lassen, das gibt es auch in manchen Nationalparks nicht.
Das Nationalparkprinzip »so wenig wie irgendwie möglich eingreifen« gilt ja außerhalb des Nationalparks so nicht.
Na ja, in unserer Denke natürlich schon. Wir asphaltieren ja nicht aus Prinzip irgendwelche Straßen. Auch hier geht es darum, mit Augenmaß zu arbeiten und maßvoll mit der Natur umzugehen, zum Beispiel mit dem Verbrauch von Boden.
»Zu diskutieren ist, ob es ein Zweit- und Dritt- oder ein Viertauto braucht in einem Haushalt.«
Ludwig Schleritzko
Im kürzlich veröffentlichten niederösterreichischen Doppelbudget sehen Sie ein klares Bekenntnis zum Ausbau des öffentlichen Verkehrs. Gleichzeitig haben Sie auch Einsparungen bei Infrastrukturprojekten angekündigt. Kann man daraus schließen, dass manche der jetzt diskutierten Straßenprojekte gar nicht umgesetzt werden?
Wir haben uns darauf verständigt, dass wir gewisse Straßenbauprojekte durchführen. Etwa Projekte, die unmittelbar die Menschen in ihrer Lebensqualität und ihrem Lebensumfeld betreffen. Ortsumfahrungen sind zum Beispiel von diesen Kürzungen nicht betroffen. Auch bei Unfallhäufungsstellen werden wir infrastrukturelle Maßnahmen setzen und notwendige Sanierungen weiterhin vornehmen.
Warum haben wir das jetzt gemacht? Ich bin ja nicht nur Mobilitätslandesrat in Niederösterreich, sondern eben auch Finanzlandesrat. Wir erleben enorme Preissteigerungen im Baubereich und diese Preistreiberei wollen wir nicht mitmachen. Es ist volkswirtschaftlich gescheit, jetzt darauf zu verzichten. Jetzt bin ich seit vier Jahren als Verkehrslandesrat auch für den öffentlichen Verkehr in Niederösterreich zuständig. Für diesen haben wir heute mit rund 438 Millionen Euro drei Mal so viel Geld wie vor zehn Jahren. Das ist schon gewaltig, was wir in den öffentlichen Verkehr investieren.
Heißt das, dass diese Straßenbauprojekte später nachgezogen werden, großteils aus Budgetgründen?
Manche Dinge werden wir verschieben. Aber Straße und öffentlichen Verkehr gegeneinander auszuspielen ist die falsche Herangehensweise, weil öffentlicher Verkehr in Niederösterreich nicht nur Schiene ist. Wir brauchen die Straße in Niederösterreich, um öffentlichen Verkehr zu gewährleisten, sprich Busverbindungen. 40 Prozent des öffentlichen Verkehrs finden auf der Straße statt, mit einem gut ausgebauten Busnetz. Das Flächenbundesland Niederösterreich hat ganz andere Planungsaufgaben als zum Beispiel Tirol mit klaren Hauptachsen in den Tallandschaften, wo auch der ÖV nur einen Weg hat.
Gibt es eine Zielsetzung, die 40 Prozent perspektivisch in die eine oder andere Richtung zu verschieben?
Wir gehen davon aus, dass die Busse weiterhin in dieser Größenordnung bleiben. Wir wollen aber, was den Modal Split betrifft, den Anteil des Individualverkehrs senken durch verschiedenste Maßnahmen: sei es durch bessere Angebote auf der Schiene – also bessere Taktverbindungen –, sei es durch bessere Angebote auf der Straße, mit den Bussen, aber eben auch solche für aktive Mobilität. Also fürs Radfahren und Zu-Fuß-Gehen.
Wir haben das Ziel, bis 2029 das Angebot bei den Bussen um 30 Prozent und bei der Bahn um 25 Prozent zu steigern. Wir haben schon ambitionierte Ziele, was den Ausbau des öffentlichen Verkehrs betrifft.
Der niederösterreichische Landesumweltanwalt Thomas Hansmann hat in einem Onlineinterview 2019 gesagt: »Manchmal, da nehme ich mir auch das Recht heraus, strategische Eisen anzufassen.« Wie funktioniert eigentlich die Abstimmung zwischen einem Landesrat mit Ihren Kompetenzen und der Umweltanwaltschaft?
Diese Abstimmung liegt natürlich im Wesentlichen auf Ebene der FachexpertInnen. Es ist nicht so, dass ich mit dem Umweltanwalt jedes Straßenbauprojekt in Niederösterreich bespreche, auch deswegen, weil es erprobte rechtsstaatliche Verfahren gibt. Dann läuft das natürlich immer korrekt und sachorientiert.
Wie werden NiederösterreicherInnen in Zukunft typischerweise das nächste Zentrum erreichen?
Es braucht einen Mix an Mobilität für uns in Niederösterreich. Unser Ziel ist es, den Umweltverbund zu stärken, das heißt, mit dem ÖV unterwegs sein, zu Fuß gehen, Rad fahren mit den genannten Steigerungsraten. Nicht nur im Öffi-Ausbau, sondern auch im Bereich Mobility on Demand wollen wir große Fortschritte machen. Aber klar ist für uns auch, dass es in manchen Regionen den Individualverkehr brauchen wird. Die Frage ist, wie diese Autos möglichst umweltschonend angetrieben werden. Wir wollen Angebote derart ausbauen, dass zu diskutieren ist, ob es ein Zweit- und Dritt- oder ein Viertauto in einem Haushalt braucht.
Ist für einen Stau immer ein bisschen mitverantwortlich, wer drin steht?
Die Devise muss lauten: Wer kann, sollte vom Privatauto auf Öffis und andere Angebote umsteigen. In der Ostregion – also in Niederösterreich, Wien und dem Burgenland –, in unserem Verkehrsverbund, wo wir 60 Prozent des österreichischen Aufkommens von PendlerInnen im öffentlichen Verkehr haben, merken wir: Wenn es die Möglichkeit gibt, funktioniert das schon sehr gut. Da haben wir mit dem Klimaticket und seinem Preis wirklich einen wichtigen Schritt gesetzt. Wir haben es finanziell leichter gemacht, den öffentlichen Verkehr zu nutzen. Wir wollen es aber nicht extraschwer machen, mit dem Auto unterwegs zu sein. Oberstes Motto ist, sicher durchs Land zu kommen.
In der Ostregion, konkret in der Grenzregion Wien/Niederösterreich: Was sollte getan werden, um die Verkehrssituation für jene, die nach Wien von Norden einpendeln, und auch für die, die diesen PendlerInnen im Weg wohnen, zu verbessern?
Einige Verbesserungen gibt es in den kommenden Jahren, konkret auf der Franz-Josefs-Bahn, dem wichtigsten Verkehrsträger im Waldviertel, der auch das Weinviertel mitbedient. Im Nordosten wird die Laaer Ostbahn, dazwischenliegend auch die Nordwestbahn und im Osten der Marchegger Astausgebaut. Hier wird wirklich viel getan für die PendlerInnen. Wir in Niederösterreich merken aber natürlich schon, dass wir in Wien die Schiene betreffend sehr stark an die Grenzen stoßen, konkret auf der Stammstrecke. Auf der Hauptverkehrsachse durch Wien durch wird es bald einmal infrastrukturelle Ausweitungen brauchen. Dort wird man sich überlegen müssen, ob man nicht eine neue Schienentrasse plant, damit mehr Züge nach Wien und durch Wien durchkommen. Für VerkehrsplanerInnen ist es ganz logisch, dass das kommen wird müssen.
Ich bin da ein bisschen Mahner und Rufer und weiß, dass das auf vielen Ebenen, egal ob in den großen Verkehrsbetrieben, die auf der Schiene unterwegs sind, in zuständigen Ministerien und in den zuständigen Landesverwaltungen, sehr wohl gehört wird. Das ist aber zum einen mit riesigem finanziellen Aufwand verbunden und zum anderen mit Zielkonflikten. Das bedeutet eine zweistellige Zahl an Jahren von Planung zur Fertigstellung und eine große Baustelle, damit werden viele Menschen keine Freude haben.
Da kann es sein, dass ein neues Gutachten dazwischenkommt.
Es kann sein, dass ein neues Gutachten in den Weg kommt oder die Befindlichkeit einer Anrainerin oder eines Anrainers. Damit muss der Rechtsstaat dann halt umgehen können. Wir reden immer nur vom Straßenbau, wenn wir an Zielkonflikte denken. Auf der Schiene kann es auch Konflikte geben. Mit dem Eisenbahngesetz gibt es natürlich andere gesetzliche Instrumentarien, aber es gibt auch Menschen, die nicht unbedingt eine Schiene vor ihrer Haustür haben wollen.
Sie mahnen in Richtung Bund?
Wir reden von Menschen, die aus Niederösterreich, aber auch aus dem Burgenland oder der nördlichen Steiermark nach Wien einpendeln. Das betrifft vier Bundesländer, das betrifft den bevölkerungsreichsten Raum in Österreich. Den Raum mit dem höchsten PendlerInnenaufkommen. Das ist aus meiner Sicht eindeutig als Bundesprojekt zu betrachten.
»Wir in Niederösterreich merken natürlich schon, dass wir in Wien die Schiene betreffend stark an die Grenzen stoßen.«
Ludwig Schleritzko
Werden wir mal weniger konkret. Wünscht man sich aus Länderperspektive manchmal andere Konzepte der Entscheidungsfindung, um große Dinge wie Klimaziele zu erreichen und mit dem Föderalismus besser zu vereinbaren?
Die demokratischen Spielregeln, die uns in der Republik Österreich zur Verfügung stehen, sind aus meiner Sicht ausreichend. Das ist halt Politik – das oft zitierte »Bohren dicker Bretter«. Dafür braucht es Überzeugungsarbeit und Diskussion. Ich bin zufrieden mit den Instrumenten, die ich in der Hand habe, um Politik durchzusetzen, muss ich ehrlich sagen. Und ich sehe sie auch als Demokrat als ausreichend an.
Welches ist derzeit Ihr Lieblingsbrett?
Das allererste Doppelbudget, das wir im Landtag beschlossen haben, war schon ein großer Wurf für uns in Niederösterreich. Zum Zweiten das Klimaticket. Das hat uns eineinhalb Jahre lang sehr stark beschäftigt und schlussendlich haben wir in der Ostregion doch zugestimmt. Weil zwei Dinge gewährleistet waren: zum einen die Einführung aller Ticketstufen gleichzeitig – als erste Region, die zwischen drei Bundesländern auch das regionale Ticket, das Metropolregionsticket und das Österreich-Ticket eingeführt hat. Zum anderen war es auch eine Frage der Finanzierung, da konnten wir uns durchsetzen. Es wird gut angenommen, aber da ist aus meiner Sicht auch noch mehr Luft nach oben.
Drittens auch das angesprochene Thema Stammstrecke der Zugverbindungen im Osten Österreichs. Ich halte sie für notwendig. Es wird für ganz Österreich essenziell sein, wie man Menschen von der Straße auf die Schiene und dann auch rechtzeitig an ihr Ziel bringt.
BIORAMA Niederösterreich #8