Mikroplastik: In aller Munde und Körper
Gemeinsam mit Umweltmediziner und Landschaftsökologen Hans-Peter Hutter von der MedUni Wien haben wir uns angesehen, was Mikroplastik für unsere Gesundheit bedeutet.
Selbst in den abgelegensten Winkeln des Planeten finden sich Spuren von Mikroplastik. Kein Wunder also, dass es auch irgendwann wieder bei uns Menschen landet. Was macht den Kunststoff – besonders in Form von Kleinstteilen – gesundheitsschädlich? Langzeitforschung dazu gibt es noch kaum – ein grund zur Vorsicht, betont Hans-Peter Hutter, Umweltmediziner und Landschaftsökologe. Fest steht: Mit dem Mikroplastik gelangt nicht nur der Kunsstoff selbst, sondern auch die Chemikalien, die zugesetzt werden – wie Beschichtungen –, in unsere Körper. Wie viel wissen wir bereits darüber, was es dort anrichtet?
Mikroplastik am Menü
Den größten Anteil des Mikroplastiks nehmen wir oral über die Nahrung auf. Abhängig vom konkreten Herstellungsprozess kann es in unterschiedlichsten Produkten enthalten sein. Fische und Meerestiere gelten als besonders belastet, denn Gewässer sind Sammelbecken für Kunststoffabfälle. Kleine Partikel werden vom Regen einfach weggespült oder landen ohnehin direkt im Abwasser. Das gilt vor allem für primäres Mikroplastik, wie es in Zahnpasta, Peelings oder Lipgloss enthalten ist.
Größere Plastikabfälle zerfallen in der Natur zu sekundärem Mikroplastik. Im Meer werden sie durch Wellengang, Salzwasser und Sonneneinstrahlung zu immer feineren Partikeln verrieben. Bis sich Plastik vollständig auflöst, können mehrere hundert Jahre vergehen. Für viele Tiere ist Mikroplastik nicht von ihren natürlichen Nahrungsquellen zu unterscheiden und wird darum gefressen. Einmal in der Nahrungskette, verschwindet es natürlich nicht mehr, sondern landet irgendwann auf unseren Tellern und gelangt so in den Körper.
Auch Hausstaub scheint eine besonders relevante Aufnahmequelle zu sein, wie eine jüngst veröffentlichte Studie der Heriot Watt University zeigt: Dieser besteht aus feinsten Phasen und Partikeln und daher auch aus Mikroplastik. Gerade Kleinkinder nehmen diesen beim Spielen auf, wenn sie auf dem Boden herumkrabbeln und Gegenstände in den Mund stecken, er setzt sich aber auch auf unserem Essen ab. In geringerem Umfang wird Mikroplastik außerdem über die Atemwege aufgenommen.
Macht Mikroplastik krank?
Im Moment lässt sich das noch nicht zuverlässig abschätzen, gesünder macht es aber sicher nicht. Bei größeren Partikeln ist davon auszugehen, dass sie durch den Verdauungstrakt ausgeschieden werden. Bei kleineren Partikeln besteht dagegen die Gefahr, dass diese eingelagert werden, so wie es mit Rußpartikeln in der Lunge passiert. Mikroplastik ist aber immer ein Fremdkörper, weshalb es Entzündungsreaktionen auslösen kann. Was man bisher über die Wirkung von Mikroplastik weiß, stammt überwiegend aus Zell- und Tierversuchen. Eine zusätzliche Risikoquelle stellt die Anhaftung von Giftstoffen, wie etwa Schwermetallen, an diese Partikeln dar.
Kunststoffe enthalten zudem oftmals Zusatzstoffe, die ihnen spezifische Eigenschaften verleihen. Dazu zählen Flammschutzmittel, UV-Absorber, optische Aufheller, antimikrobielle Additive, Farben oder auch Weichmacher (wie das bekannte Bisphenol A oder die Phthalate). Wissenschaftlich nachgewiesen ist, dass es zu einer Aufnahme dieser Chemikalien kommen kann. Das betrifft aber auch andere Chemikaliengruppen wie Pestizide und ist damit kein spezifisches »Plastikproblem«. Die Auswirkungen von Belastungen sind oft erst nach langer Zeit feststellbar, was es erschwert, Kausalzusammenhänge herzustellen. Zudem kann es zu Wechselwirkungen zwischen einzelnen Zusatzstoffen kommen: Selbst wenn Schwellenwerte für einzelne Chemikalien nicht überschritten werden, kann die Gesamtmenge aller im Köper vorhandenen Zusatzstoffe gesundheitsgefährdend sein.
Bisphenol A: Geschmeidiges Plastik und gestörter Hormonhaushalt
Kunststoffe (speziell Polycarbonat) und damit Mikroplastik können unter anderem BPA enthalten und so in den Organismus gelangen. Überwiegend wird BPA aber direkt auf oralem Weg aufgenommen, etwa über verbrauchernahe Produkte wie Trinkflaschen oder mit Nahrungsmitteln, die damit in Kontakt gekommen sind. Als hormonaktive Chemikalie kann BPA bereits in sehr geringen Konzentrationen biologische Prozesse wie Enzymaktivitäten oder das Hormonsystem beeinflussen. Es steht unter anderem im Verdacht zu Übergewicht und kognitiven Störungen (Aggression, Aufmerksamkeitsdefizite) beizutragen. Der Ersatzstoff Bisphenol S scheint sogar noch stärker in das Zellwachstum einzugreifen als BPA.
Bei Kindern sollte daher komplett auf Bisphenol und wenn möglich generell auf Plastik verzichtet werden (etwa bei Geschirr, Spielzeug etc.). Während BPA mittlerweile gut erforscht ist, gibt es eine breite Palette ähnlicher Zusatzstoffe, über die so gut wie nichts bekannt ist. Grundsätzlich gilt, fasst Hutter zusammen: »Je früher eine Exposition mit hormonaktiven Substanzen stattfindet, desto höher ist das Risiko von gesundheitlichen Spätfolgen, wie dem verfrühten Einsetzen der Pubertät. Es ist daher sicherlich ratsam, den Kontakt mit potenziell schädlichen Substanzen bei Schwangeren und Kleinkindern zu minimieren.«
Plastikfrei in einer Plastikwelt?
Die Familie Krautwaschl wurde bei ihrem Versuch, ein kunststofffreies Leben zu führen, von einer Studie der MedUni Wien begleitet. Überraschendes Ergebnis: Nach zweimonatiger Plastikkarenz im Haushalt wurden 14 gesundheitsrelevante Phthalat-Metabolite und BPA im Morgenharn gemessen. Fazit der Studie: Man kann der Belastung durch Plastik nicht entkommen. Ein Freibrief zum hemmungslosen Plastikgebrauch ist das allerdings nicht: Die Familie hat bereits vor ihrem Experiment gesundheitsbewusst gelebt, weshalb die Belastung durch Kunststoffe schon im Vorfeld unterdurchschnittlich war.
Wer also im Alltag darauf achtet, auf Plastik und Nahrungsmittel, die damit in Berührung gekommen sind, zu verzichten, kann die Aufnahme von Mikroplastik und Zusatzstoffen reduzieren. Gänzlich verhindern lässt sich diese aber nicht. Jeder Einzelne kann zwar einen Beitrag zum Plastikverbrauch leisten, wirklich lösen lässt sich das Problem aber nur kollektiv und global. Hierzu braucht es umfassende Strategien, wie Hutter betont: »Wenn wir es nicht einmal schaffen, das Plastiksackerl wegzudenken, wird es sehr schwierig werden, jene Probleme, die noch auf uns zukommen, zu lösen. Wenn wir aber bereit sind, auf dieses Niveau an Bequemlichkeit zu verzichten, haben wir es jetzt noch in der Hand, die Dinge zum Positiven zu verändern.«
Bioplastik bedeute nicht das Ende (Mikro-)Plastikproblematik
Unter Bioplastik versteht man biobasierte und biologisch abbaubare Kunststoffe. Nicht alles, was biobasiert ist, ist biologisch abbaubar: PET-Flaschen werden etwa aus Monoethylenglycol gefertigt. Dieses findet sich sowohl in fossilen als auch in nachwachsenden Rohstoffen. Für die Eigenschaften des Endprodukts (auch dessen Abbaubarkeit) ist die Rohstoffquelle nicht ausschlaggebend.
Als biologisch abbaubar gelten Kunststoffe, die innerhalb eines bestimmten Zeitraums durch den Einfluss von Hitze, Sauerstoff, Feuchtigkeit und Bakterien oder Pilzen zu 90 Prozent in Wasser, Kohlendioxid und Biomasse zerfallen. Sie basieren im Normalfall auf Mais, Zuckerrohr und Cellulose, können aber auch aus fossilen Rohstoffen gefertigt werden. Aufgrund dieses raschen Zerfallsprozesses kommt es nicht zur Mikroplastik-Problematik wie bei herkömmlichen Kunststoffen. Bioplastik kann aber dieselben Zusatzstoffe wie herkömmliche Kunststoffe enthalten und diese damit auch auf den Menschen übertragen werden.
BIORAMA #56