Mezcal: The Spirit of Mexico
Tradition trifft Trend trifft Schnaps. In den hektischen Metropolen New York und London eröffnen immer mehr Mezcal-Bars, während Pferde oder Mulis im Hinterland von Oaxaca gemächlich karamellisierte Agavenherzen mahlen. Die Steinmühle gehört zur traditionellen Herstellung wie der Mezcal zu Mexiko.
So stellt man sich als Gringo den Wilden Westen vor: staubig, trocken, manchmal flach, dann wieder hügelig mit imposanten Kakteen am Straßenrand. Dazwischen stehen immer wieder einzeln oder in Gruppen Agavenpflanzen in der Landschaft. Mit ihren wasserspeichernden Blättern haben sich die Spargelgewächse perfekt an ihre Umgebung angepasst. Fährt man von der Stadt Oaxaca in Richtung Südosten mit Blick auf die Sierra Madre, erlebt man eine solche Landschaft. Dort wachsen die meisten endemischen Agavenarten Mexikos, rund 80 Prozent aller Agaven-Schnäpse mit der geschützten Bezeichnung Mezcal werden in der Region Oaxaca gebrannt.
Nach 50 Kilometern erreicht man Santiago Matatlan. Am Ortseingang prangt eine ausrangierte Kupferbrennblase hoch über der Straße auf einem Riesenschild: »Willkommen in der Welthauptstadt des Mezcals«. Ein Dorf mit einfachen Häusern, in dem fast alle Einwohner Mezcaleros sind und vom hochprozentigen Schnaps aus der Maguey, wie die Einheimischen die Agaven nennen, leben. Anders als bei Kaffee und Schokolade bleibt ein erheblicher Teil der Wertschöpfung bei den Menschen in der Region. Hier werden nicht nur Rohstoffe zur Veredelung nach Europa oder den usa exportiert, sondern von der Ernte bis zur letzten Verfeinerung des Agavendestillats liegt alles in den Händen der einheimischen Bevölkerung.
Zu Besuch beim Mezcalero
Über 450 meist kleinbäuerlich-familiäre Destillerien – Palenques genannt – stellen in dieser Region Mezcal traditionell in Handarbeit her. Die meisten dieser Familien sind indigener Abstammung, wie die Familie von Don Cosme Hernandez aus San Baltazar Guelavila. Der Senior ist ein angesehener Mezcalero, ein Meister seines Fachs, wie Generationen vor ihm, und lässt sich nicht ohne Hut fotografieren. Sein misstrauischer, aber würdevoller Blick geht zu Herzen. Don Cosmes Ausdruck lässt erahnen, wie viel Leid und Erniedrigung die indigene Bevölkerung Mexikos seit der Eroberung durch die Spanier 1520 zu erdulden hatte.
Er spricht Zapotekisch und lässt seinen Sohn Cirilio und seine Tochter Epifania ins Spanische übersetzen. Stolz präsentiert die Familie ihre Palenque. 4000 Liter Mezcal stellt sie pro Monat in Handarbeit her. Sogar nach Deutschland wird ihr Alipus San Baltazar verkauft. Fünf Hektar Agaven der Sorte Espadin bauen sie selbst an und verwenden – laut eigener Aussage – keine Pestizide oder Kunstdünger. Eine Biozertifizierung existiert hier allerdings nicht.
Eine offizielle mexikanische Statistik zum Bioanteil von Mezcal scheint es nicht zu geben, zumindest hat das Consejo Regulador Mezcal (offizielle Regulierungsbehörde für Mezcal) auf eine Anfrage nicht geantwortet. Geschätzt sind weniger als ein Prozent der Mezcals biozertifiziert. Bei einem Viertel der Agaven handelt es sich darüber hinaus um Wild-Agaven, die nicht kultiviert werden können.
Anders als in den riesigen Tequila-Fabriken im Norden Mexikos, von deren industrieller Produktion immerhin über 300.000 Menschen direkt oder indirekt leben, wird hier traditionell handwerklich gearbeitet. Eine großflächige Agaven-Monokultur einer einzigen Sorte wie in der Tequila Region, findet man hier nicht. Im Gegenteil, in Oaxaca wachsen die meisten Agavenarten Mexikos, ein Viertel davon wild.
Je nach Sorte braucht man sieben bis zehn Kilo Agavenherzen für einen Liter Mezcal, der aus 100 Prozent Agaven besteht und nicht mit Zucker versetzt ist. Man schätzt, dass in Mexiko über 200 verschiedene Agavenarten wachsen, aber nur ungefähr 50 sind für die Herstellung von Mezcal geeignet. Die Pflanzen müssen genügend Stärke produzieren, damit der Most nach der Fermentation auf fünf Prozent Alkohol kommt. Die meisten Agavenarten sind aber Wildagaven. Ihre Größe variiert zwischen 50 cm, wie z.B. bei der Tobalá, bis über drei Meter bei der Mexicano.
Eine Agave braucht mindestens sieben Jahre bis zur Blüte und blüht nur ein Mal in ihrem Leben, anschließend stirbt sie. Bei manchen Agavensorten dauert diese Phase sogar über 50 Jahre. Der ideale Erntezeitpunkt ist kurz vor der Blüte, weil sich dann alle Nährstoffe im Herzen der Agave konzentrieren, um bald darauf mit aller Kraft die Blüte zur weiteren Fortpflanzung auszutreiben. Übrigens besorgen die Bestäubung von größeren Agavenarten kleine Fledermäuse.
Ein göttliches Getränk verschiedener Kulturen
Mayahuel gilt als die Göttin der Agaven. Zu den aztekischen Gottheiten gesellten sich mit den Spaniern die katholischen Heiligen. Das ergibt den bis heute praktizierten fröhlichen Glaubens-Mix aus Jungfrau Maria, Quetzalcoatl und vielen anderen Schutzheiligen. Und diese kulturelle Durchmischung findet sich auch bei Mezcal wieder. Die Spanier brachten wahrscheinlich das Wissen um die Destillation von Alkohol nach Amerika, welches sie selbst wiederum von den Mauren erlernt hatten. Die arabischstämmigen Worte alambique (Destillierapparat) und alcohól verweisen auf diesen Ursprung, wobei manche Forschungen und Theorien auch besagen, dass die mexikanischen Indianer die Kunst des Brennens sehr wohl beherrschten, bevor die Spanier kamen.
Die Techniken zur Herstellung von Mezcal, welche sich seit der Eroberung Mesoamerikas im 16. Jahrhundert erhalten oder entwickelt haben, sind höchst vielfältig und teilweise in Europa schon seit Jahrhunderten nicht mehr gebräuchlich, wie zum Beispiel das Brennen in Tongefäßen. Solche Mezcals dürfen sich Mezcal Ancestral nennen. Die Hersteller von Mezcal Artesanal verwenden die in Europa gebräuchlichen Kupferbrennblasen, auch vom Pot-Still-Verfahren bei hochwertigen Single Malt Whiskeys bekannt. Nur 300 Liter können die Hernandez mit ihrem Kupfer-Pot-Still in mindestens zwei Destillationsschritten aus einer Charge Most (1.800 Liter) herstellen.
Bevor der über 20-stündige Destillationsvorgang beginnen kann, müssen die bis zu fünf Tage in einer Erdgrube gekochten und in einer Steinmühle zermahlenen Agavenstücke mit Wasser eingemaischt und zu Most vergoren werden. Die Fermentation dauert zwischen acht und zehn Tagen, abhängig von der Außentemperatur und der Agavenart. Vergoren wird in offenen 1800 Liter Holzfässern. Zum Vergleich: Die großen Tequila-Fabriken verwenden 80.000-Liter-Fermentationstanks aus Edelstahl.
Dieser Quantitätsunterschied erklärt u.a. auch den eklatant unterschiedlichen Preis von Industrie-Schnaps und einer handwerklich hergestellten Spirituose. So kostet eine Flasche der Marke Sierra Tequila zwischen zwölf und 15 Euro und eine Flasche Alipus San Baltazar knapp 50 Euro.
Der Mezcal-Hype beim Hauptabnehmer usa ermöglichte es der Familie Hernandez, ihre Palenque zu modernisieren. Doch das bedeutet nicht zwangsläufig, alte Traditionen und Ansprüche aufzugeben. Arbeitsbedingungen und Lebensqualität sollen sich durch ein höheres Einkommen verbessern. Sogar Don Cosme hat den Bauplänen seiner Kinder für ein zweites Stockwerk zugestimmt. Bald können sie ihre Kunden in einem kleinen Verkostungsraum empfangen, bislang wurden ihre Mezcals im Lager probiert. »Wer Großes leisten will, muss viele kleine Schritte tun«, lautet ein aztekisches Sprichwort.
Wie aus Agaven Mezcal Artesanal hergestellt wird
Was ist der Unterschied zwischen Mezcal und Tequila?
Beides sind Agavenbrände aus Mexiko unterschiedlicher Herkunft und aus verschiedenen Agavenarten hergestellt. Über 80 Prozent der Mezcal-Herstellung kommen aus der Region Oaxaca, und über 80 Prozent der Tequila-Produktion findet im Bundesstaat Jalisco statt. Das Wort Mezcal stammt aus dem Nahuatl, der Sprache der Azteken und anderer vorkolumbianischer Völker und bedeutet »gekochte Agave«.
Deshalb ist Mezcal der Überbegriff für alle Spirituosen, die aus Agaven hergestellt sind. Seit 1994 ist es ein geschützter Begriff, der Herkunft, Agavensorte und Herstellungstechnik definiert. Tequila, benannt nach der Stadt am Pazifik im Bundesstaat Jalisco, ist hingegen bereits seit 1974 ein herkunftsgeschützter Begriff für einen Mezcal, der in diesem Gebiet nur aus der blauen Agave produziert werden darf. Bekannte Tequila-Brands, die in großen Mengen industriell hergestellt werden, beherrschen mit über 95 Prozent den weltweiten Markt. Dennoch finden kleine, traditionell handwerklich arbeitende Mezcal-Hersteller immer mehr Anhänger für ihre Mikromengen an charaktervollen Spirituosen, die meist auch einen höheren Alkoholgrad haben als Tequila.
Zum Vergleich: 2016 wurden drei Millionen Liter Mezcal und 273 Millionen Liter Tequila produziert.
Mezcal richtig trinken
Vergesst das Tequila-Ritual bitte sofort! Allenfalls einfachen Industrie-Tequila kippt man als gekühlten Kurzen mit Salz und Zitrone. Wahrscheinlich helfen Säure und Salz, den dominanten Schnaps-Ton zu neutralisieren. Dieser Trinkstil eignet sich hervorragend, um schnell besoffen zu werden, aber nicht, um wirklich etwas zu schmecken.
Einen guten Mezcal sollte man besser bei Zimmertemperatur in einem breiteren Glas genießen, so dass ausreichend Luft an den Alkohol kommt. Die Aromen und Geschmäcker, die ihr entdecken werdet, sind so vielfältig und eigenwillig wie die Agavenarten, die Terroirs und die Charaktere der Mezcaleros. Mal mehr Rauch und Erde, mal weniger, anschließend Karamell, Kakao – oder Chilinoten. Je nach Agavensorte findet man eher grüne, kräutrige Anklänge, mal zitrusfruchtige Töne. Bei Mezcals Reposado oder Añejo, die in Holzfässern gelagert werden, übernehmen schon mal Vanille und Zimt das Aromenkommando. Trinkt langsam, nicht in einem Zug, riecht, nippt und schlürft und schluckt dann erst.
Auch die Länge und der Nachhall eines Mezcal wollen entdeckt werden. Interessant ist es, parallel verschiedene Mezcals zu verkosten. Den Margarita-Cocktail weit hinter sich lassend, schätzen die Bartender und Mixologen dieser Welt Mezcal als bereichernde Zutat ihrer ausgefeilten Kreationen. Cocktail-Favorit der Autorin, die ansonsten Mezcal pur als Begleitung zu scharfen Chiligerichten bevorzugt: Der nach einer präkolumbianischen Gottheit benannte Drink Quetzalcoatl im Cocktailbistro Wagner in Berlin. Die Zusammensetzung: Mezcal, trockener Wermut, Falernum, Lime Cordial, Bitters.
Mezcal trinken in Wien
El Feo: Mezcaleria und Bar
Café Mendez: Bar und mexikanisches Restaurant
Halbe Stadt: Bar mit großer Auswahl an Mezcal
Mezcal trinken in Berlin
Tentación Mezcaloteca: Bar mit Mezcal und Craft Beer
Im Juni 2016 eröffneten Fernando Bolaños und Fernanda Sueldo in Berlin Friedrichshain ihre Mezcal & Craft Beer Bar Tentación. Fernando kommt aus Oaxaca. Sein Großvater hat noch selbst Mezcal hergestellt. Er bietet über 100 verschiedene Mezcals an und kocht täglich andere mexikanische Spezialitäten wie Tamales, Tacos und Tlayudas. Die Argentinierin Fernanda braut das bar-eigene Bier »Mala Vida« selbst. So schlecht ist das Leben gar nicht, wenn man sich im Tentación dem Spirit Mexicos hingibt.
La Lucha: Mexikanisches Restaurant
Santa María und Santa Cantina: Mexikanische Bar und Restaurant
Wagner: Cocktailbar mit guten Mezcal-Drinks
Fair gehandelte und handwerklich hergestellte Mezcals, die direkt importiert werden:
Alipus: handwerklich hergestellter Mezcal Artesanal
(Destillation in Kupfer-Pot-Stills) von verschiedenen Familien und Brennmeistern, 100 Prozent Agave
Real Minero: handwerklich hergestellter Mezcal Ancestral (Destillation in Tontöpfen), 100 Prozent Agave
Tequila Siembra Azul: handwerklich hergestellter Tequila, 100 Prozent aus der Agave Azul
Onlinehändler für Mezcal: raicilla.de und mezcaleria.de
BIORAMA Deutschlandausgabe #55