Ruhig Blut: Über Menstruation und Missverständnisse
Ich bin ein Mann. Trotzdem und gerade deshalb soll ich hier etwas über Menstruation schreiben. Empfindliches Terrain. Nicht uninteressant. Mal sehen, was dabei herauskommt.
Entweder man hat sie, oder frau hat sie eben nicht. Geschlechter-Identitäten mögen in vielerlei Hinsicht ein soziales Konstrukt sein – die Menstruation ist es nicht. Der Umgang mit ihr ist sozial konstruiert, und die Menstruation ist mit einem der gar nicht so wenigen Tabus belegt, die selbst in den als liberal und aufgeklärt geltenden Gesellschaften noch weitgehend intakt sind. Der gemeine Mann redet selten darüber, weder mit anderen Männern, noch mit Frauen. Ist das vielleicht schon die Erklärung dafür, dass die Menarche ein Randthema ist? Ist das Tabu männlich? Ist alles doch komplizierter?
»Die Geschichte der Menstruation ist eine Geschichte voller Missverständnisse«, hieß es einst in einem Tampon-Werbespot. Diese zynischen Werber. Wäre man ein vollkommen ahnungsloser, männlicher Werbekonsument, so müsste man wohl davon ausgehen, dass Menstruationsblut hellblau ist. Den Geruch würde man sich vermutlich so vorstellen wie den von Zahnpasta und man müsste glauben, die maßgeblichen Qualitätsmerkmale von Tampons und Binden seien Diskretion und Passform in knapper Unterwäsche. Vielleicht würde man sogar vermuten, das natürliche Einsatzgebiet von Tampons seien grazile Damenhände. Dass die Werbung für Hygieneprodukte bei genauerer Betrachtung meist ziemlich bescheuert ist, kann man wohl trotzdem nicht der Werbebranche allein vorwerfen. Die Tabuisierung der weiblichen Menstruation wurde – Gerüchten zum Trotz – nicht erst in Brainstorming-Runden von Werbeagenturen erfunden.
Dass ein Thema, das mehr als die Hälfte der Weltbevölkerung ganz unmittelbar betrifft, öffentlich ein so kleines ist, ist mindestens fragwürdig. So wenige Gründe für die Tabuisierung der Menstruation es auch gibt – Erklärungen gibt es einige.
Menstruation ist schmutzig
Ein erster Erklärungsansatz ist unter den üblichen Verdächtigen schnell ausgemacht – die Religion. Im Juden- und Christentum gilt die Frau während ihrer Periode als unrein und alles was sie berührt ebenso. Das kann man im Alten Testament nachlesen. Der Islam ist auch nicht offener. Kulturanthropologen haben in so ziemlich allen Weltregionen Hinweise darauf gefunden, dass menstruierende Frauen in den unterschiedlichsten Kulturen als unrein oder sogar gefährlich gelten. Der Grad von Tabuisierung und Ausgrenzung aus dem Alltag variiert dabei natürlich. Bei den Huaulu, einer Volksgruppe, die auf der indonesischen Insel Seram zuhause ist, gibt es sogar eigens errichtete Menstruations-Hütten an den Rändern der Dörfer, in die Frauen während ihrer Monatsblutung umziehen müssen.
Man muss allerdings nicht unbedingt gläubig sein, um einen verklemmten Umgang mit der weiblichen Periode zu pflegen. Es gibt auch weniger spirituelle Erklärungsversuche und Erklärungen. Sigmund Freud erklärte den verbreiteten Ekel vor Menstruationsblut mit der Ablehnung des weiblichen Sexualtriebs während der Regel. Der weibliche Ausfluss hebe die körperliche Integrität auf – und davor bestehe auf männlicher Seite eine gewisse Scheu. Norbert Elias machte eine Wahrnehmung der Menstruation als animalischen Aspekt der menschlichen Natur aus. Solche ur-natürlichen Aspekte des Menschseins würden im Prozess der Zivilisation überwunden – oder eben tabuisiert. Diese »Überwindung« sei ein wichtiger Schritt in Richtung Vergesellschaftung und Kultivierung des Menschen. Die Peinlichkeit und Tabuisierung einer grundlegenden Funktion weiblicher Körper als Ausdruck von Kultiviertheit? Freud und Elias: zwei männliche Wissenschaftler in der Tradition anderer männlicher Wissenschaftler vor ihnen. Seit der Antike hat schon so mancher Mann seine aus anatomischen Gründen eingeschränkte Perspektive zur Menarche zu Papier gebracht. Aristoteles vertrat die Ansicht, Menstruationsblut sei im Prinzip das gleiche wie Sperma, nur würde das männliche Sekret durch die höhere Körpertemperatur des Mannes vor dem Ausscheiden gekocht. Nun – er soll immerhin ein ganz passabler politischer Theoretiker gewesen sein.
Männer tabuisieren, Frauen auch
Natürlich gibt es geschlechterspezifische Tabuisierungs-Mechanismen, wenn es um Menstruation geht. Allein schon die männlich dominierte Wissenschaft legt eine gewisse Distanziertheit zu einer so weiblichen Körper-Eigenschaft nahe. Männer sehen in der menstruierenden Frau eine Bedrohung ihrer als natürlich empfundenen Dominanz. Diese Erklärung für bestehende Mensturations-Tabus ist die am weitesten verbreitete und wohl auch die wichtigste. Und dann gibt es eine Erklärung, die vielleicht ein wenig näher am Alltag angesiedelt ist und ohne die pauschale Unterstellung eines patriarchalen Mind-Sets auskommt: Klassischerweise haben Männer gewaltige Informationslücken beim Thema Periode. Und wer redet schon gerne über etwas, wovon er keine Ahnung hat?
Gabriele Pröll bietet Persönlichkeits-Coaching in Wien und Zeremonien für Mädchen zur ersten Regel an. Sie glaubt nicht an eine einseitig männliche Tabuisierung: »Die Tabuisierung wird in der westlichen Welt sicher nicht mehr bewusst von Männern, sondern von beiden Geschlechtern aufrechterhalten. Zum Beispiel gibt es zwischen den Geschlechtern nach wie vor große Berührungsängste, die die Tabuisierung festigen. Männer können Frauen in der Zeit der Blutung oft nicht so ganz einordnen, empfinden sie oft als unberechenbar und meiden häufig den direkten Kontakt. Frauen sind nach wie vor in erster Linie bestrebt, zu gefallen und zu funktionieren, lassen sich nicht wirklich auf ihre zyklischen Qualitäten ein.«
Es gibt eine weibliche Spielart der Tabuisierung der Periode, die gleich von Beginn an den Umgang mit ihr prägt. Setzt die Regel bei Mädchen ein (für meine ahnungslosen Geschlechtsgenossen: das ist meistens so zwischen dem 11. und 15. Lebensjahr), bedeutet das einen großen, biologischen Schritt in Richtung Erwachsenwerden und eine Aufhebung der kindlichen Mutter-Tochter-Beziehung. Aus bestimmten Gründen könnte ich an dieser Stelle nur spekulieren, wie sich das anfühlt, und deshalb lasse ich es (fast). Vermutlich ist es wohl für viele Mütter und Töchter gleichermaßen sonderbar und nicht unbedingt etwas, das man locker und offen bespricht. Für Jünglinge jedenfalls gibt es ein so drastisches körperliches Zeichen des Erwachsenwerdens kaum.
Der Umgang wird offener und unnatürlicher zugleich
In den letzten Jahrzehnten hat sich beim Umgang mit der Regel einiges getan. Dabei verläuft die Entwicklung nicht nur in eine Richtung, meint Gabriele Pröll. »Einerseits wird die Menstruation mittels Pille, Hormonpflaster oder Spritze gerade aus der Welt geschafft und ein Großteil der Frauen macht bereitwillig mit. Andererseits gibt es eine wachsende Bewegung, die den Zyklus und die Menstruation als wesentliche Basis des Frauseins erlebt.«
Ein wesentlicher Bestandteil der weiblichen Natur ist sie zweifellos, die Menarche. Das allein ist ein guter Grund, sie nicht zu tabuisieren oder sie gar als sonderbar, abnormal oder schmutzig zu betrachten.
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