Bauernsohn sucht Frau

Archaisch, aber doch höchst aufgeklärt: »Unter den Menschen« von Mathijs Deen ist eine postromantische Erzählung über das Landleben, dabei auch nüchternes Märchen – und nun Vorlage für einen potenziellen Kino-Blockbuster.

Das Vorausexemplar für die Presse schickte der Verlag noch mit zwei Covervarianten aus. Gedruckt wurde die Version mit dem schrägen Schaf – obwohl das Vieh im Roman keine Rolle spielt. (Foto: Thomas Weber)

Liebe vergeht,
Hektar besteht.

Alte Bauernweisheit

Die Geschichte, die uns Mathijs Deen erzählt, spielt sich irgendwann kurz vor der Jahrtausendwende ab. Eigentlich ist sie damals – 1997 – auch bereits in Buchform erschienen. Dass sie der Hamburger Mare Verlag nun mehr als zwei Jahrzehnte später vom Holländischen ins Deutsche hat übertragen lassen, liegt daran, dass der Autor selbst noch einmal Hand angelegt hatte. Die überarbeitete Fassung von »Unter den Menschen« wurde 2016 in seiner Heimat als Wiederentdeckung gefeiert. Sogar die Filmrechte wurden verkauft.
Was sich fast aufdrängt, weil sich manche von Mathijs Deens Szenen wie die detailverliebten Regieanweisungen eines Drehbuchs lesen und auch die Dialoge zur Filmreife destilliert sind. Dabei wird gar nicht allzu viel gesprochen. Wobei die beiden komischen Antihelden absurderweise öfter darüber sprechen, besser nicht allzu viel zu sprechen – weil das ohnehin nur zu Missverständnissen führe. Die Handlung, die sich episodenhaft über einen Zeitraum von ein paar Wintermonaten erstreckt, hebt alles Nennenswerte aus dem Alltag hervor, der sich bei diesem ungleichen Paar überraschend schnell einstellt. Wohl vor allem deshalb, weil der eine wie die andere genau darauf aus ist.

Mathijs Deen lebt als Radiojournalist und Autor in Amsterdam. (Foto: Merlijn Doomernik)

Zum Abschied ein Mikrowellenherd
Jan ist Bauer, Ackerbauer genau genommen, nicht mehr ganz jung, als Stadtmensch würde er in seinem Alter aber vielleicht noch die späte Jugend auskosten. Die Eltern haben alles perfekt geregelt, den Hof – ein abgelegenes Gehöft an den Deichen – übergeben, sind ins nahe Dorf gezogen, um dem Sohn nicht dreinzureden, freie Hand zu lassen. Die Kartoffeln sind abgeerntet, die Buchhaltung in Ordnung, die Tiefkühltruhen in der Scheune hat die Mutter dem Buben noch mit Selbstgekochtem gefüllt. Der Vater hat ihm zum Abschied einen Mikrowellenherd geschenkt. Ein langer, langweiliger Winter am nördlichen Rand Kontinentaleuropas, wo die Vorfahren des jungen Bauern dem Meer erst vor hundert Jahren Land abgerungen, aufgeschüttet und durch Deiche vor dem Gezeitenfraß geschützt haben. Jan ist einsam, er sucht eine Frau und gibt eine Kontaktanzeige auf:

»Bauernsohn sucht Frau. Wohnt allein. 80 Hektar.«

Es meldet sich Wil. Man trifft sich. Die Frau macht klar, dass sie, vom Leben gezeichnet, keine Liebe sucht, sondern ein Haus mit Blick aufs Meer. Alles andere ordnet sie diesem Wunsch unter, wird fein säuberlich ausverhandelt. Nicht einen Moment der Romantik gibt es bei der Anbahnung dieser seltsamen Paarbeziehung. Man beschließt »es dreimal zu machen«, probeweise. Das erste Mal auf ihre Art, das zweite Mal auf seine – und das dritte Mal werde man dann schon sehen. Eine Beziehung am Reißbrett, konstruiert wie die geometrischen Felder der Deichwirtschaft.

Ob das alles wirklich gut gehen kann, wissen wir beim Lesen auch auf der allerletzten Seite nicht mit Gewissheit. Vielleicht ist es diese Abgeklärtheit, dieser fast schon schmerzhaft unverkrampfte Zugang zum Miteinander, der dieses Buch auch 2019 so zeitgemäß erscheinen lässt.

»Unter den Menschen« von Mathijs Deen ist im Mare Verlag erschienen.

Wichsen in der Waschstraße
Und doch ist es unverkennbar ein Werk der 90er Jahre, das Mathijs Deen damals mit Anfang 30 verfasst hat. Jan onaniert mit einem beschämt an der Tankstelle gekauften Sexheft, im Auto, zuerst »in der schützenden Abgeschiedenheit der Waschstraße, von wild rotierenden Bürsten manchmal sogar vor dem Video-Auge des spähenden Kassierers geschützt«. Später auf einem Waldweg, wo die Scheiben des Wagens beschlagen und er von einem Spaziergänger mit Hunden überrascht wird. Szenen voll skurrilem Slapstick, Szenen wie geschaffen für einen Film, Szenen voll Neunzigernostalgie. Denn in derselben Situation würde ein Jungbauer – underfucked und dabei »vorsichtig und voller explosiver Spannung wie Springkraut im Spätsommer« – heute einfach Pornos ansehen und auf Tinder sein Glück und Kontakte suchen.

Zusammen ist man weniger allein.
Mathijs Deen ist mit »Unter den Menschen« ein Roman voller zaghaftem Optimismus gelungen. Das Unheil ist immer denkbar, ebenso das einsame Nebeneinanderher. Kein Mensch rechnet wirklich mit einem Happy End. Ganz ausschließen möchte man es aber dann doch auch nicht.

Wil, die sich am Hof einlebt, ihre Bedingungen stellt und durchsetzt, hat eindeutig den aktiven, fordernden Part. Und doch bleibt sie bis zum Schluss geheimnisvoll, ein ruppiges Zauberwesen. Wir wissen nichts aus ihrem Vorleben, was sie zu jener außergewöhnlichen Person gemacht hat, als der sie uns begegnet. Wenn sie sich im Keller des Hauses einbunkert, um ihre Gedanken im Tagebuch zu ordnen, erfahren wir immerhin, dass sie sich diese Technik in einer Psychotherapie angeeignet hat. Das Allermeiste bleibt umrisshaft, höchstens angedeutet.

Haben wir es wirklich mit einem modernen Märchen zu tun, einem feminist fairy tale? In der E-Mail-Korrespondenz darauf angesprochen begegnet Mathijs Denn diesem Gedanken mit Gegenfragen: »Ein Märchen? Das ist interessant. Was glauben Sie, leben die noch lang und glücklich? Hat das Gute das Böse überwunden? Und ist der Bauernhof wie ein Schloss in einem Land weit, weit weg?«
Nun, offen im Ausgang sind letztlich gar nicht wenige Märchen. Im formelhaften »Und wenn sie nicht gestorben sind« klingt das Schlimmste im Grundton sogar immer als unvermeidlich mit.

»Unter den Menschen« von Mathijs Deen ist in der Übersetzung von Andreas Ecke im Mare Verlag erschienen und ab 12. Februar 2019 im Buchhandel erhältlich. Monic Hendrickx arbeitet für Windmill Films an der Verfilmung.

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