Vorarlberger Irrweg: Milch-Export statt Gemüse fürs Ländle

Auf vielen hochalpinen Flächen Vorarlbergs ist einzig Viehwirtschaft möglich. Fruchtbare Ackerflächen in den Tälern sollten anders genutzt werden. (Foto: Thomas Weber)

Ein Vorarlberger Bauernfunktionär und Nationalratsabgeordnerer sabotiert die Öko-Strategie seines Landes. Auf besten Ackerböden im Ländle wächst statt Gemüse künftig Kraft- und Mastfutter für Milchvieh.
Ein Gastkommentar von Christine Bösch-Vetter.

Christine Bösch-Vetter, Lustenauer Gemeinderätin für Umwelt, Abfall und Energie in Lustenau sowie Mitglied im Landesvorstand der Vorarlberger Grünen.

Christine Bösch-Vetter, Lustenauer Gemeinderätin für Umwelt, Abfall und Energie in Lustenau sowie Mitglied im Landesvorstand der Vorarlberger Grünen.


„Neuverpachtung der allerbesten Ackerflächen Vorarlbergs“
– Was wie ein Aufbruch in neue Zeiten, wie eine historische Chance klingt, hinterlässt, wenn man den Satz mit den drei Worten „an einen Milchbauern“ vervollständigt, selbst in Bauernkreisen große, fragende Augen. Oder ins Social-Media-Sprech: #WTF.
Der Gutshof des Klosters Mehrerau wurde Mitte Februar neu verpachtet. 54 Hektar landwirtschaftliche Flächen im unteren Rheintal – im kleinteiligen Vorarlberg ein großer Fisch, und ein wunderschöner dazu. Die Flächen sind nicht nur für Vorarlberger Verhältnisse großzügig zugeschnitten, nein – vor allem die um das am Bodensee liegende Kloster herum befindlichen Böden zählen mit Abstand zu den allerbesten Ackerflächen des Landes. Verpachtet wurde die Fläche, die auch Streuwiesen im Lauteracher Ried beinhaltet, an den Nationalratsabgeordneten und stellvertretenden Vorarlberger Bauernbundobmann Norbert Sieber. Er wird laut eigenen Aussagen auf den 54 Hektar Futter für seine Milchkühe und sein Mastvieh produzieren. Dazu ist vielleicht gut zu wissen, dass der Eigenversorgungsgrad der Vorarlberger in Sachen Milch bei 200 Prozent liegt. Das hat zum einen geografische Gründe – in Fontanella oder in Schoppernau zum Beispiel liegt die Viehwirtschaft als Form der Landwirtschaft sehr nahe. Zum anderen hat es jedoch auch infrastrukturelle Gründe. So gibt es eigentlich keine bzw. nur zaghafte Netzwerke und Strukturen für den gemeinsamen Verkauf von Gemüse, Getreide, Obst, etc.

Gesucht: Ackerboden für Obst und Gemüse
Seit 2012 verfolgt das Land Vorarlberg die Landwirtschaftsstrategie „Ökoland Vorarlberg – regional und fair“. Diese sieht u.a. vor, den Selbstversorgungsgrad bei Gemüse, Obst, Getreide (derzeit alles unter 10 Prozent) zu steigern. Dieser Selbstversorgungsgrad lässt sich naturgemäß nicht in den steilen Alpentälern steigern. Das ist eine Aufgabe der Bauern im Rheintal und im Walgau. So wie es die Aufgabe der Bauern in den Bergtälern ist, durch Viehhaltung die Alpen offen zu halten und das Gras mit Hilfe der Kuh für den Menschen als Milch- oder Fleischprodukt genießbar zu machen. Zahlreiche Landwirte sehen längst, dass sich das Höher-schneller-weiter in der Milchwirtschaft in einem so kleinteilig strukturierten Land wie dem unseren längst nicht mehr spielt. Der Milchpreis kommt nicht wirklich aus dem Keller. Sie versuchen sich, entlang ihrer Möglichkeiten (viele sind bis über die Grenze des Erträglichen verschuldet – Stichwort Stallbau), diesen Veränderungen zu stellen.

Großbauer torpediert Öko-Strategie des Landes
Die Marktgemeinde Lustenau hat Anfang Februar ihre besten Ackerböden (ein Bruchteil der Mehrerauer Flächen) – die zuvor jahrzehntelang für Maismonokultur und Freizeitpferdewirtschaft verwendet wurden, an drei Landwirte verpachtet. Ein Biobetrieb und zwei Umstellungsbetriebe (die gerade von konventioneller Produktion zur Biozertifizierung umstellen, Anm. der Redaktion) werden dort bald mehr Gemüse und Obst für die Vorarlberger produzieren. Die Nachfrage ist jedenfalls nicht das Problem. Alle in den Bereichen Gemüse/Getreide/Obst tätigen Landwirte haben Mühe, die Nachfrage bedienen zu können. Geeignete Ackerflächen werden dringend gesucht.

Hinter den Kulissen tut sich ordentlich was. Die Landwirtschaft ist auf mehreren Ebenen im Umbruch. Wenn jetzt ein Nationalratsabgeordneter, der in einem Monat vermutlich mehr verdient als manch ein Landwirt mit dem Verkauf seiner Produkte (ohne Förderungen) im ganzen Jahr, zum Großbauern wird und von der Gunstlage aus Milch in Hülle und Fülle produziert, dann macht er denen, die in den Bergtälern auf Milchwirtschaft angewiesen sind, das Leben schwer. Sehr sogar!

Und er torpediert die Landwirtschaftsstrategie seiner eigenen Partei, seines eigenen Landes. Ich stelle mir die Frage, was manche meiner Berufsgenossen unter dem Begriff „Bauernvertreter“ verstehen!? Und dann wäre da noch die Rolle der Kirche (als Verpächter, Anm.) in Landfragen. Aber das ist wohl nochmal eine andere Diskussion.

Ziel 8 der „Ökoland Vorarlberg“-Strategie: bis 2020 sollen mehr Vorarlberger Konsumenten Produkte aus der Region kaufen. An Milch gibt es keinen Mangel. Es wird bereits jetzt doppelt so viel produziert wie vor Ort konsumiert. Woran es mangelt: Ackerböden für Gemüse. (Foto: Screenshot)

Zur Person:
Christine Bösch-Vetter ist 34 Jahre alt und mit fünf Geschwistern auf einem der ersten Biobauernhöfe Vorarlbergs aufgewachsen. Sie ist Gemeinderätin für Umwelt, Abfall und Energie in Lustenau, Mitglied im Landesvorstand und dessen Delegierte im Landtagsklub der Vorarlberger Grünen. Verheiratet, Mutter von drei Kindern, Optimistin und verliebt in die Vision des guten Gelingens eines gesellschaftlichen Miteinanders.

VERWANDTE ARTIKEL