»Der Boden hier ist verflucht auf ewige Zeiten.«

Martin Pollack

BILD Katarzyna Dzidt/ Paul Zsolnay

Martin Pollack, Historiker mit scharfem Blick auf die Schatten der Vergangenheit, hat ein neues Buch geschrieben. Und berührt damit essenzielle Fragen zu unserer Nahrung.

BIORAMA: Dein Buch »Kontaminierte Landschaften« scheint einen Nerv getroffen zu haben. Es geht dabei um Orte, an denen Verbrechen, Schlachten oder Exekutionen stattgefunden haben. Und darum, dass sich diese Geschehnisse auf die Menschen auswirken, die jetzt dort leben. Gibt es auch Auswirkungen auf die Landschaft oder den Boden selbst?

Martin Pollack: Wahrscheinlich nicht im naturwissenschaftlichen Sinn. Der Begriff kontaminierte Landschaften ist auch kein wissenschaftlicher. Ich habe ihn erfunden und geprägt. Damit ist er subjektiv und natürlich auch eng mit meiner persönlichen Geschichte verknüpft. Auswirkungen gibt es trotzdem. Sie werden von Menschen beobachtet und erzählt. Ich erinnere mich noch genau an einen ukrainischen Bauern, der bei der Besichtigung des Ortes, an dem die Juden von Rohatyn erschossen und verscharrt wurden, dabei war. Er hat erzählt, dass an dieser Stelle nichts Ordentliches mehr wächst. Kraut, Rüben, Buchweizen. Egal, was die Bauern versucht haben, der Boden wollte nichts mehr hergeben. Dieser »Fluch« hat natürlich das Potenzial zur Legendenbildung. Auch die Konstruktion »Früher war alles viel besser« trägt dazu bei. Trotzdem, es ist an vielen Stellen zu beobachten.

Das ist für mich eine der zentralen Fragen: Können auf kontaminierten Böden wie du sie interpretierst überhaupt glückliche Hühner leben? Die glücklichen Hühner natürlich nur als Beispiel und weil wir dieses Bild der Biolandwirtschaft gerne vermitteln.

Ha! Gute Frage. Ich bin selbst Bio-Bauer mit Streuobst-Wiesen im Südburgendland. Die Frage beschäftigt mich also auch persönlich. Aber auch hier gilt wieder: Es ist der Mensch, der mit der Vergangenheit »seines« Ortes lebt und leben muss. Wenn über diesen Ort Geschichten existieren, wirkt sich das auf ihn, seine Wahrnehmung und damit auch auf sein Handeln aus. Und das wiederum auf die Tiere, die er hält. Klar, niemand möchte, dass in seinem Garten gegraben wird, niemand will permanent an die Leichen erinnert werden, die in seinem Acker vergraben sind. Dieses Nicht-Hinsehen ist eine Art Schutzmechanismus.

Im Biolandbau gibt es eine klare Vorstellung davon, wie kontaminierte Böden entgiftet werden. Hier reden wir allerdings von stofflicher Kontamination durch Kunstdünger und chemisch-synthetischen Pflanzenschutz. Kann man historisch kontaminierte Landschaften dekontaminieren?

Ja. Indem man hinschaut und darüber redet. Als Beispiel erzähle ich dabei gern von Rechnitz im Burgenland. Hier hat im März 1945, kurz bevor die Rote Armee den Ort erreichte, ein besonders grausames Massaker ereignet, bei dem 200 Zwangsarbeiter, vorwiegend ungarische Juden, getötet wurden. Die diesbezüglichen Verfahren sind ebenso im Sand verlaufen, wie die Suche nach den Überresten der Opfer, und bis heute wird das Thema in Rechnitz einfach ignoriert. Dabei ist Rechnitz ein wunderbares Beispiel dafür, dass nicht nur Landschaften selbst, sondern auch ihre Namen kontaminiert sein können. Heute ist Rechnitz ein Weinbauort, der versucht, seine Weine auch international zu vermarkten. Das wird so lange nicht funktionieren, so lange man beim Googeln von Rechnitz erst einmal nur auf Hinweise über das Verbrechen vom März 1945 stößt.

Google hat da aber einen recht langen Atem. Diese Treffer wird es auch noch geben, wenn sich der Ort entschließt, sich seiner Vergangenheit zu stellen.

Sicher, aber es sind dann nicht die einzigen Treffer, und das hat schon Auswirkungen auf die Wahrnehmung.

Also kann kontaminierter Boden durch Erinnerung und Kommunikation dekontaminiert werden. Wäre es da nicht naheliegend, die bereits bestehenden Kontrollmechanismen in der Landwirtschaft – damit meine ich die Kontrollen durch AMA oder Bio Austria – auszudehnen und um eine entsprechende Überprüfung zu erweitern?

Ein interessanter Ansatz, der auch gut zu der Idee passt, die kontaminierten Landschaften zu kartografieren. Allerdings vermute ich, dass das ein langer und mühsamer Weg sein könnte. Mich hat nach einem Interview eine Mitarbeiterin des ORF, die auch an der Universität für Bodenkultur studiert, angesprochen und zu einer Veranstaltung eingeladen, bei der es genau darum geht. Das Aufarbeiten der Geschichte und der Umgang mit ihr, ist das eine. Das andere – und das erkennen jetzt scheinbar viele – ist, dass Landschaft und Boden die Grundlage für unsere Nahrung sind. Das ist ein interessanter Blickwinkel, der es wert ist, noch genauer betrachtet zu werden.

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Martin Pollack, geboren 1944, ist Autor, Übersetzer und Journalist. Er studierte Slawistik und osteuropäische Geschichte, war Redakteur des Spiegel  in Wien und Warschau und ist seit 1998 als freier Autor tätig. Martin Pollacks Buch »Kontaminierte Landschaften« ist im Residenz Verlag erschienen.

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