Was bleibt, ist die Wurst

Marin Trenks Arbeitet besteht zu großen Teilen aus Reisen und Essen.

Deutschland hat sich kulinarisch weitgehend abgeschafft und selbst im »Islamischen Staat« isst man heute Pizza. Wir haben uns mit dem Ernährungs-Ethnologen Marin Trenk über die barbarischen Vorlieben der Nordeuropäer, Ekelgrenzen und Street Food unterhalten.

Bevor die Konzerne ins Spiel kamen, wurde unser Essverhalten bereits dreimal globalisiert. Der Frankfurter Food-Ethnologe Marin Trenk beginnt in »Döner Hawaii«, seinem Buch über »Unser globalisiertes Essen« bei Kolumbus. Mit ihm setzt die Phase 1 der Globalisierung unserer Ernährung ein – zuerst mit dem bloßen Austausch von Obst, Gemüse und Nutztieren. Über den Umweg der Alten Welt verbreiten sich indianische Nutzpflanzen wie Paprika, Mais, Tomate, Bohne und Kartoffel, aber auch der Truthahn rasch weltweit. Aus Afrika, dem Nahen Osten oder auch der thailändischen Küche ist etwa die scharfe Urform des Paprikas – die Chili – nicht wegzudenken. Und Tomaten und Paprika gehören längst zur »originären« Küche des Mittelmeerraums wie die Kartoffel und ihre Knödel / Klöße nach Deutschland – kein Mensch empfindet sie dort noch als exotisch.

In der zweiten Phase der Globalisierung wandern erstmals auch kulturelle Errungenschaften und Rezepte – etwa die aztekische Kakao-Trinkkultur an den Spanischen Hof oder Indische Currys nach Großbritannien. In Phase 3 schließlich verbreiten sich durch die großen Migrationsbewegungen im 19. und 20. Jahrhundert auch ganze Küchen und Kochkulturen.

»Döner Hawaii« (erschienen bei Klett-Cotta) sollte in keinem Foodie-Bücherregal fehlen. Denn Trenk schildert schlüssig, dass diese Globalisierung keine lineare Entwicklung ist. Dass selbst die allererste Phase noch nicht abgeschlossen ist, beweist aktuell etwa der Hype um den »Inkareis« Quinoa in Teilen Europas. Die Slow-Food-Bewegung sieht er dennoch als relativ willkürliche Festschreibung und Verherrlichung des kulinarischen Status Quo nach der ersten Globalisierungsphase an. Anders als einstmals befürchtet stellen weder McDonald’s, noch andere Fast-Foodketten den kulinarischen Tiefpunkt oder gar das Ende dieser Bewegung dar. Der originelle »Döner Hawaii« verdeutlicht das heute beinahe weltweit vorherrschende »Anything goes«. Diese absolute Regellosigkeit habe aber zu einer Gastro-Anomie geführt, die heute viele Gesellschaften überfordert. Als globalisierteste aller Speisen nennt Trenk allerdings die Pizza. Ursprünglich das traditionelle »Streetfood« armer Leute in Neapel gelangte sie mit Auswanderern nach Übersee und wurde dort zum Inbegriff italienischer Küche. »Pizza global, das ist eine amerikanische Erfolgsgeschichte – mit tausendundeiner lokalen Ausprägung.« Neben dem Espresso hat es Pizza über den Umweg Amerikas zum ikonenhaften »World Food« geschafft, die vom »l’homnivore« – vom Allesfresser Mensch – rund um den Globus in vielfältigster Weise belegt wird.

BIORAMA bat Marin Trenk zum Interview über die verleugnete deutsche Esskultur, Street Food und den Megatrend »Invisibilisierung«.

BIORAMA: Herr Trenk, warum sind die Deutschen wie Sie es nennen: »kulinarisch übergelaufen«? Warum haben sie ihre eigene Küche aufgegeben und geben stattdessen asiatischen, mediterranen und anderen Ethno-Esskulturen den Vorzug? Und warum ist es in Österreich und der Schweiz anders gelaufen?

marin trenk: Übergelaufen meine ich in dem Sinn, dass wir uns abgewandt haben von unseren eigenen Esstraditionen. Im Norden ist das auffälliger und stärker passiert als im Süden. Im Norden haben wir uns anderen Küchen zugewandt, im Süden sind die deutschen Regionalküchen immer noch sehr stark. In München wird die bayerische Küche zelebriert, in Berlin oder Hamburg ist das Eigene weitgehend verschwunden. Offensichtlich waren wir nördlich des Mains – wir sprechen ja vom »Weißwurstäquator« – nicht zufrieden mit dem, was wir hatten. Im Norden gab es auch früher nur sehr schwach ausgeprägte lokale Esskulturen. Es ist kein Zufall, dass sie fast ganz verschwunden sind. Dieses Schicksal teilen wir mir den Holländern und Engländern. In Österreich hat solch eine Abkehr ebenso wenig stattgefunden wie im mediterranen Raum.

Trotzdem sieht es nicht so aus, als ob sich Deutschland kulinarisch abschaffen würde, oder?

Gute Frage. Im Alltag hat sich Deutschland kulinarisch tatsächlich abgeschafft. Was bleibt ist allerdings unsere Begeisterung für Brotvielfalt, dass wir dunkles Brot schätzen. Auch die Wurst- und Bierkultur wird gepflegt und den nachmittäglichen Kuchen lassen wir uns nicht nehmen. Das alte kulturelle Muster bleibt, selbst wenn wir heute Kaffee und Kuchen oft durch Latte Macchiato und Tiramisu substituiert haben. Ich frage meine Studenten an der Uni immer wieder, was sie so essen. Selbst deutsche Paradegerichte wie den Sauerbraten kennen die meist gar nicht mehr. Ich wäre da also eher pessimistisch, was den Mainstream betrifft. Gegenbewegungen gibt es aber natürlich längst. Bauernmärkte – direkt importiert von den amerikanischen farmers markets – haben einiges reaktiviert.

Selbst die beiden Restaurant-Ketten Wienerwald und Nordsee haben ihr Angebot  exotisch versüßsauert und ethnisiert. Wienerwald hat heute etwa Curry Chicken auf der Karte, bei Nordsee gibt es im Wok gegarten Lachs oder Thai-Curry-Suppe. McDonald’s verwandelt sich gerade in ein Kaffeehaus, in dem auch Hamburger verkauft werden. Sind diese Entwicklungen aus Sicht des Ethnologen aussagekräftig?

Sehr aussagekräftig, ja. Wienerwald und Nordsee sind Traditionsinstitutionen der deutschen Innenstädte. Wienerwald gibt’s zwar heute kaum mehr, aber Nordsee hält sich sehr gut. Wenn selbst dort in der Systemgastronomie mittlerweile Ethno-Food auftaucht, bestätigt das den allgemeinen Trend. Die können heute gar nicht mehr anders und ohne! Deshalb passt sich auch McDonald’s an – wobei die in der Tat mit Starbucks konkurrieren.

Bild: Marin Trenk

Heute dürfte Pizza die globalisierteste aller Speisen sein. Angenommen, Neapel hätte sich die Pizza patentieren lassen, dann wäre das Armenhaus Italiens heute reich. Warum konnte sich Pizza erst über den Umweg Amerikas ausbreiten und zum Inbegriff italienischer Küche werden?

Aus dem einfachen Grund, dass es sich um eine ausgesprochene Regionalspeise gehandelt hat, die es nur in Neapel und Umgebung gab. Mit den großen Auswandererströmen im 19. und 20. Jahrhundert kam sie nach Amerika. Die meisten Italiener, die ausgewandert sind, stammten aus dem Süden, ihre Küche haben sie mitgenommen. Vorerst breitete sie sich langsam in Nischen aus. Der große Bruch kam in der Nachkriegszeit nach dem Zweiten Weltkrieg, da verbreitete sich ein völlig neues Lebensgefühl. Gleichzeitig mit »Sex, Drugs & Rock’n’Roll« taucht die Pizza plötzlich auch außerhalb der ethnischen Enklaven auf. Sie verbindet sich bei den Amerikanern mit einem neuem Lebensgefühl. Gleichzeitig werden die USA zur kulinarischen Drehscheibe. Trotz anfänglicher Abwehrbewegung wird Pizza dabei riesengroß – was einen Bruch in den amerikanischen Essgewohnheiten markiert. Die Globalisierung passiert schließlich mit der Kette Pizza Hut. In Europa verlief das alles ein bisschen anders. Wir bekommen die Pizza durch Gastarbeiter mit, gleichzeitig haben wir sie im Urlaub kennengelernt. So kommt es zum erstaunlichen Phänomen, dass fast zeitgleich Deutschland, die USA, aber bald auch der Rest der Welt die Pizza kennenlernt. Dabei hat es in Italien angeblich noch 1955 außerhalb Neapels höchstens zehn Pizzerien gegeben.

Isst man im »Islamischen Staat« eigentlich auch Pizza?

Ja, in Syrien und im Irak weiß ich es nicht so genau. Aber die Islamisten haben damit überhaupt kein Problem. Denen ist nur wichtig, ob eine Speise halal ist oder nicht, ob sie die Speisegebote einhält. Wenn Kentucky Fried Chicken sich zertifizieren lässt und Hühnchen halal anbietet, dann wird das akzeptiert.

In Ihrem Buch teilen Sie Europa in einen kulinarischen Norden und einen kulinarischen Süden auf, was sie vom Hoheitsgebiet des Römischen Reichs herleiten. Was stammt denn aus der römischen Einflusssphäre?

Es gibt einen kulinarischen Kulturraum Mittelmeer. Selbst die teilweise unterschiedlichen Küchen Portugals, Spaniens oder Italiens basieren auch heute noch auf den Säulen der alten römischen Ernährungsweise, auf Olivenöl, Wein und Weizen – in Brot und Nudeln.

Darüber gibt es den Rest – alles nördlich der Weinbauzone, was ja in etwa den Ländern nördlich des Limes entspricht, den uns die Römer hinterlassen haben.

Gibt es gemeinsame kulinarische Vorlieben aus dem Norden, die sich – aus Sicht Roms – als »barbarisch« beschreiben ließen?

Tacitus hat in seiner »Germania« schon Leute beschrieben, die vor allem Bier trinken – was die Römer als schlechteren Wein ansahen. Was den Norden ausmacht ist außerdem eine Esskultur, in der große Fleischberge eine Rolle spielen und kulinarische Raffinesse fehlt: Es gibt wenige Kochtechniken und einen Mangel an Gewürzen. Dafür ist beim Essen viel Sauce sehr wichtig. Selbst Döner wird heute in Deutschland mit Sauce gegessen – was so gar nicht der traditionellen türkischen Küche entspricht. Die alten Römer hatten eine zentrale Wertschätzung des Essens, die ist im Mittelmeerraum auch heute noch fester verankert als in der nordatlantischen Essprovinz.

In Ihrem Buch machen Sie heute acht große Essens-Provinzen aus, die über kulturelle Gemeinsamkeiten wie Gewürze und kombinatorische Vorlieben verfügen. Etwa die Essprovinz »Nordatlantik«. Was haben denn der Osten der USA und Kanadas und die mittleren und nördlichen Länder Europas bis Russland gemeinsam?

Zunächst einmal die negative Abgrenzung zur mediterranen Essprovinz. Darüber hinaus eben das Beschriebene: fehlende Raffinesse, weitgehende Bedeutungslosigkeit von Gewürzen, ein starker Fokus auf Saucen. Der Osten Europas nimmt durch die Jahrzehnte der Abschottung auch heute noch eine Sonderrolle ein. In Russland isst man heute sehr viel frischer als in Amerika. Konzerne wie Heinz oder Campbell versuchten ja nach Ende der Sowjetunion den Markt dort mit Konservendosen aufzurollen. Sie sind gescheitert, denn Russen empfinden frische Suppe als Teil ihrer Identität.

Einer der großen Gewinner der Globalisierung ist die Essprovinz, die sie auch »die Welt des Mittelmeers« nennen. Ihr verdankt die Welt die mediterrane Kost, Olivenöl und den Exportschlager Wein. Profitieren eigentlich die Ursprungsländer, wenn ihre Kochtraditionen global ankommen und vielleicht sogar andere verdrängen?

Sie profitieren in jeder Hinsicht. Der größte Globalisierungsgewinner ist mit Sicherheit Italien. Vor 50 oder 60 Jahren galt die italienische Küche außerhalb Italiens gar nichts. Damals dominierte französische Küche. Heute ist die »cucina italiana« sowohl trivial mit Pizza und Pasta, als auch raffiniert und mit hoher Kochkunst und guten Weinen verbunden weltbekannt. Italien profitiert von einem unglaublichen Prestigegewinn als »Eataly«. Und es gibt eine große Nachfrage nach italienischen landwirtschaftlichen Produkten. Ich sehe übrigens ganz ähnliches Potenzial auch für Österreich. Österreich hat es bislang nicht geschafft, seine fabelhafte Küche und auch seine Weinkultur wirklich zu vermarkten. Es gibt ja diesen Spruch: Wenn du mal gut deutsch essen willst, dann geh nach Österreich. Es hätte durchaus auch global Potenzial, die Kultur einer untergegangenen Donaumonarchie kulinarisch zu zelebrieren. Kulinarisch ist Österreich Deutschland jedenfalls in jeder Hinsicht überlegen.

Keine Küche ist frei von Extremen. Sie schreiben, dass Menschen aus anderen Kulturen überall auf der Welt an ihre Ekelgrenzen stoßen werden. Was an der deutschen Küche empfindet man denn in anderen Weltgegenden als widerlich?

Ganz erstaunlich viel! Am leichtesten nachvollziehbar ist, dass Süd- und Ostasiaten mit unserer Käsekultur gar nichts anfangen können. Die finden Käse zum Weglaufen! Was auch erstaunt: Ostasiaten finden ein harmloses Produkt wie Milchreis widerwärtig. Die Kombination von Milch und Reis lässt sie fast erbrechen. Oder den Süßigkeitengeschmack von Lakritze. Und auf massive Ablehnung stößt unser dunkles Brot. Natürlich gibt es auch alternativ angehauchte Akademiker in Thailand, die mal ein Roggenbrot essen. Aber die Begeisterung für Körnernahrung – auch für Müsli – werden Sie Fremden nicht vermitteln können. Das findet man auch in Italien schon befremdend.

Feldforschung, Bild: Marin Trenk

Als kulinarischen Megatrend sehen Sie die sogenannte »Invisibilisierung«: Während unser Essen weiterhin vom Fleisch bestimmt wird, hat das Tier gefälligst unsichtbar zu sein. Das Tier und das Töten wird aus unserem Bewusstsein verdrängt. Wie konnte das passieren?

Die Mehrzahl der Menschen isst zwar nach wie vor ungerührt und gern Fleisch, sie lehnt aber jede Art von Fleisch ab, bei der das Tier erkennbar ist. Der Deutsche isst heute im Jahr 100 Gramm Innereien – da essen manche bei einem einzigen Frühstück mehr Wurst.  Auch fast alle »Äußereien« sind verschwunden – etwa Schweineöhrchen, Kalbsfuß, Ochsenschwanz. 80 % des Hühnerfleisches, das wir essen, ist Brust. Der Rest wird entsorgt, exportiert oder Hundefutter. Da gibt es einen tiefsitzenden Entfremdungsprozess vom Tier, ein Kennzeichen der nordatlantischen Essprovinz – mit Ausnahme Osteuropas. Viele Menschen weigern sich mittlerweile ja sogar Fisch zu essen, wo noch ein Kopf dran ist.

Was schlussfolgern Sie aus diesem Trend?

Er rührt daher, dass bei uns schon lange niemand mehr etwas mit der Produktion von Lebensmitteln zu tun hat. Die Exzesse der Massentierhaltung sind daran nicht unbeteiligt und auch, dass seit mittlerweile zwei Generationen keine regionale Esstradition mehr weitergegeben wird. Das ist durchaus weitgreifend. Viele meiner türkischen Freunde erzählen, dass es ihnen zwar gelingt, in ihren Familien ihre angestammte Esskultur weiterzugeben, aber keineswegs alle Gerichte. Die Kids orientieren sich an ihren Peer Groups. Kuttelsuppe oder Lammkopfsuppe wird da gemieden.

Was für Folgen kann dieses Verdrängen haben?

Wir stecken in Prozessen der Selbstverarmung. Der nächste Schritt ist, dass Leute sich komplett vom Tier abwenden: Speisemeidung wird ähnlich stark wie traditionelle Speise-Tabus. Vegetarismus oder Veganismus sind ja Meide-Kulturen.

Sehe sie auch den Veganismus mit seinen Fleischersatzprodukten wie Vleisch oder künstlichem Visch als Teil dieser Invisibilsierung?

Mit Sicherheit, ja. Das ist der sehr sichtbare Teil dieser Invisibilisierung. Paradox, dass tierische Produkte imitiert werden.

Was wird sich leichter durchsetzen – das Essen von Insekten oder Laborfleisch?

Das Essen von Insekten stößt bei uns seit 1.500 Jahren auf allergrößte Ekelschwellen. Wenn die Invisibilisierungstendenzen weiter voranschreiten, dann ist schwer vorstellbar, dass, wer einen Hühnermagen ablehnt, ein ganzes Insekt isst. Aber frittiert oder als Tiermehl lässt sich ein Insekt komplett invisibilisieren. Schwuppidiwupp das Madensandwich zum Frühstück wird sich aber eher nicht durchsetzen. Und Laborfleisch wird eine Rolle spielen – im Rahmen dieser Trends.

Im letzten Kapitel Ihres Buchs beziehen Sie recht klar Position. Die alte Tierschützer-Formel »Tiere achten, statt Tiere schlachten« kehren Sie in ein »Tiere achten und dann schlachten« um. Kulinarisch ist diese Forderung nachvollziehbar. Unterm Strich essen wir aber alle viel zu viel Fleisch. Trauen Sie sich einzuschätzen, wie die Menschheit ihr Fleischproblem in den Griff bekommen könnte?

Nein, trau ich mich nicht. Ich bin ja nur ein kleiner Ethnologe. Aber persönlich bin ich davon überzeugt, dass der Schritt zum gelegentlichen Vegetarismus sehr sinnvoll ist. Weniger Fleisch würde uns allen gut tun.

Warum sind »Foodies« – also Menschen, die selbst kochen, Fotos von Foodporn posten oder sich auf Street-Food-Paraden treffen – eigentlich plötzlich cool?

Das kam schleichend, aber doch überraschend. Irgendwann Ende der 70er Jahre erschien eine US-Ausgabe von »Psychologie heute« mit der These am Titelblatt, dass das Zeitalter des Sex gerade abgelöst würde durch das Zeitalter des Essens. Gemeint war, dass eine Epoche, die alles über Sex oder verdrängte und frustrierte Sexualität erklärt hatte, von Königin Victoria und Sigmund Freud bis zu »Make love, not war« – zu Ende gehe. Ich teile die These. Bei uns in Deutschland ist beim Essen oft noch der Gesundheitsdiskurs im Vordergrund, es gibt aber auch ethische Komponenten und selbst Menschen, die sich kulinarisch-zivilisatorisch zurückgeblieben fühlen und das ändern wollen. Essen hat in den letzten 20 Jahren in unserer Gesellschaft eine Bedeutung erlangt, die es hier nie zuvor gehabt hat. Aber es ist komplex: Im Zeitalter des Individuums eignet sich Essen natürlich auch vorzüglich zur sozialen Distinktion.

Ich meine bei Ihnen auch eine gewisse Begeisterung für Street Food herauszulesen. Nicht nur, wenn Sie davon schwärmen, dass die Pizza von Anbeginn an das Street Food der Armen gewesen sei. Sie schwärmen in »Döner Hawaii« auch von Food-Trucks und einem Schweinsbraten-to-Go, den Sie in München gegessen haben. Was ist daran so besonders?

Ja, da liegen Sie nicht ganz falsch. Ich habe die letzten Jahre Thailand beforscht und Südostasien. Plötzlich sehe ich auch bei uns in Deutschland das, was es bislang nicht gab: überall ist gutes Essen auf den Straßen verfügbar – leistbar und oft auch in guter Qualität. Aus den USA kommend überrollt die Foodtruck-Bewegung mittlerweile Deutschland: In Frankfurt begehen wir diesen Freitag den »Foodtruck Friday«, Berlin lädt jeden Donnerstag in die Markthalle. Warum ich davon schwärme: Die Streetfood-Bewegung könnte uns eine kulinarische Fragen beantworten. Wir werden künftig noch weniger kochen als jetzt. Dann gibt es zwei Alternativen: Wir wenden uns an die Nahrungsmittelindustrie – die würde da gerne einspringen mit Tiefkühllasagne und ähnlichem. Oder wir wählen die thailändische Option: Dort kochen die Leute auch immer weniger, aber sie ernähren sich nicht schlechter – weil auf den Straßen überall gutes, frisches Essen verfügbar ist.

Der Slow-Food-Bewegung gegenüber entnehme ich in Ihrem Buch eine gewisse Skepsis. Warum?

Die hab ich gar nicht! Also ich bin sicher kein Gegner von Slow Food und ich habe auch nichts dagegen, manches zu konservieren. Ich gebe aber zu bedenken, dass man nicht zu übereifrig festschreiben sollte, was man vorfindet. Auch die Kartoffel haben wir erst in den vergangenen 200 Jahren kennengelernt. Aus dem nachvollziehbaren Bedürfnis heraus, sich zu verteidigen und Erhaltenswertes zu schützen, sollte man bloß aufpassen, sich nicht gegenüber dem Neuen zu verweigern.

Tomate und Kartoffel in Europa, aber auch Chili wurde etwa in Thailand oder Afrika »entexotisiert«. Die Bevölkerung isst Kartoffelknödel, Gnocchi, Fish & Chips als typische Küche, den Thais geht es mit Chili nicht anders. Werden unsere Enkelkinder Sushi noch als exotisch empfinden?

Das ist ein Prozess, der permanent läuft. Gibt es noch jemanden, der Pizza und Pasta als fremd wahrnimmt? Ich glaube nicht. Keiner wird sagen, das wäre »deutsch«. Es ist gewohnt und alltäglich wie Tsatsiki und wird auch nicht mehr als ethnisch kennengelernt. Die Banane wäre da auch ein gutes Beispiel. Tiramisu ist heute die vielleicht die deutscheste aller Süßspeisen. Nichts wird so häufig gegessen.

Letzte Frage: Gibt es etwas, das Sie als Food-Ethnologe bei Ihren Forschungsreisen dankend ablehnen und auf keinen Fall kosten würden?

Sehr viel, ja. Ich würde absolut keine bedrohte Arten essen. Das ist mir in meiner Geschichte ein, zweimal passiert – Seeschildkröte oder Wal – aber die würde ich heute streng meiden. Dann gibt es tiefverwurzelte Ekelgrenzen, an die ich etwa in Thailand bei Feldratten-Curry gestoßen bin. Auch die Begeisterung für Tier-Embryonen, die es etwa auf den Philippinen gibt, teile ich nicht. Entenei wird dort einen Tag vor dem Schlüpfen des Kükens aufgebrüht und als Street Food verkauft. Mit Hingabe isst man auch die Embryonen oder die Nachgeburt von Wasserbüffeln. Und auch die klassischen Speisetabus unserer Breiten habe ich verinnerlicht: Ich habe noch keinen Hund gegessen und auch keine Katze.

Döner Hawaii – unser globalisiertes Essen erscheint bei Klett-Kotta.

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