Wird mehr Mut die Welt retten?
Maike Gosch hat 2012 Mut bewiesen und sich mit ihrer Idee Story4good selbständig gemacht. Ebenfalls 2012 wurde sie mit ihrer Idee als eine der 32 besten kreativen Unternehmensideen Deutschlands mit dem Titel „Kultur- und Kreativpilot Deutschland“ der Bundesregierung ausgezeichnet. Seit 2011 ist sie auch bei der Recampaign dabei, der Veranstaltung, auf der die NGO Szene sich trifft.
Wer Maike kennenlernt, merkt recht schnell, dass sie nicht nur eine sehr professionelle und kompetente Beraterin ist, sondern wird höchstwahrscheinlich nicht lange darauf warten müssen, von ihr mit anderen tollen Menschen vernetzt zu werden.
BIORAMA: Die Recampaign hat ja dieses Jahr schon ihr fünftes Jubiläum gefeiert. Was ist aus deiner Sicht das, was die Recampaign so besonders macht?
Maike Gosch: Wir von der Agentur Wigwam (Anmerkung der Redaktion: Wigwam organisiert die Konferenz seit 2010 zusammen mit Oxfam und Socialbar) nennen es seit eh und je das Klassentreffen der Branche. Das haben inzwischen auch viele Teilnehmer in ihrer Kommunikation über die Recampaign übernommen. Zum fünften Jubiläum kann man aber definitiv von einer Institution sprechen. Wenn man es vergleicht mit dem ersten Jahr 2010, wird einem die Entwicklung schon sehr bewusst. Die Teilnehmeranzahl hat sich seitdem fast verdoppelt auf über 400 Teilnehmer. Ich spüre auch, dass die Recampaign wichtiger geworden ist. Im ersten Jahr waren fast nur Leute aus der Kommunikation dabei, jetzt kommen auch Teilnehmer aus der Führungsebene der Organisationen. Die Recampaign wird immer ernster genommen. Das sieht man auch an den Sprechern, Workshops und neuen Partnern wie z.B. der Heinrich Böll Stiftung, die der Recampaign in diesem Jahr ein neues Zuhause gegeben hat.
Von der Zusammensetzung her sind natürlich viele Vertreter von NGOs und anderen zivilgesellschaftlichen Organisationen da und ein paar Stiftungen, aber natürlich auch Berater, Grafikdesigner, Filmproduktionen, Programmierer und so weiter, die im Bereich Online-Kommunikation und digitale Zivilgesellschaft tätig sind. Das Wichtigste an der Recampaign ist für mich – neben den Vorträgen und fachlichen Inputs – vor allem die Energie zwischen den Teilnehmern, das Gemeinschaftsgefühl und der Austausch.
Also ist die Recampaign für alle Akteure und Teilnehmer so etwas wie eine „Open Source Plattform“?
Ja, genau. Im Gegensatz zu anderen Veranstaltungen und Kongressen findet hier nicht PR für die einzelnen Akteure statt, sondern echter Austausch und Unterstützung.
Kannst du uns ein Beispiel nennen, wie sich das konkret bemerkbar gemacht hat?
Zum Beispiel wurde am zweiten Tag im Barcamp in der Session „NGO Bündnisse“ in einer offenen Debatte die Frage diskutiert, wie wir als NGOs besser zusammen arbeiten können. Sind wir Konkurrenten, die Produkte verkaufen, oder ist das nicht in der NGO-Branche anders, weil wir gemeinsame Ziele verfolgen? Wir wollen alle gesellschaftliche Veränderungen erreichen und nehmen nur teilweise unterschiedliche Wege zum gleichen Ziel. Der gemeinsame Tenor war deutlich: Wenn wir uns alle stützen, erreichen wir alle das Ziel.
Grundsätzlich ja ein richtiger Punkt und Ansatz. Wenn man aber die Themen Fundraising oder Kommnunikation anschaut, da sieht es schon wieder anders aus. Hier sprechen wir von limitierten Ressourcen, sei es Geld oder Aufmerksamkeit, die verteilt werden. Wie geht das hier mit der gegenseitigen Unterstützung?
Natürlich darf man da nicht naiv sein, das ist ein Spannungsfeld. Trotzdem unterstützen die Veranstalter und die Regeln auf der Recampaign die Solidarität und den Austausch. Die gemeinsamen Werte, Interessen und Ziele prägen sehr die Stimmung der Veranstaltung. Dadurch entsteht ein großes Gemeinschaftsgefühl. Und das macht Spaß. Es wird sehr offen gesprochen, über Erfolgsrezepte, aber auch über Fehler und Probleme. So gab es neben der Debatte zum Thema Konkurrenz unter NGOs auch eine sehr ehrliche Diskussion über Gehälter, Budgets und Finanzierung im Bereich NGO-Kommunikation. Ein Thema, das besonders für die Freiberufler, Dienstleister und Agenturen in diesem Bereich manchmal schwierig ist. Aber ebenso für die Organisationen selbst.
Was waren denn deine diesjährigen Highlights auf der Recampaign?
Das absolute Highlight war der Workshop von Jean Peters und Faith Bosworth von Peng Collective.
Ach schön, die hatten wir uns ja schon als vielversprechend im Vorfeld ausgesucht und ein Interview mit Jean Peters dazu gemacht. Was genau ist denn im Workshop passiert?
Als erstes war schön, dass das Peng Collective keine NGO oder Agentur ist, sondern ein Aktivisten- und Künstlerkollektiv – das hat einen schönen Impuls gegeben, wie man mutiger und kreativer vorgehen kann. Jean hat erst eigene Projekte vorgestellt und dann mehrere Gruppenübungen gemacht, in denen es um Mut und das Potential subversiver Kampagnen ging. Bei einer Übung stellten Jean und Faith den Teilnehmern die Frage, ob Kampagnen mutiger sein müssten. Wir sollten uns entweder auf die Seite stellen, die der Aussage zustimmt, oder auf die Seite, die meint, Kampagnen sind schon mutig genug. Am Ende standen fast alle 300 Teilnehmer auf der „Kampagnen müssen mutiger sein“-Seite! Insbesondere auch Menschen aus der Führungsebene wie Marco Vollmar vom WWF .
Alle standen da, guckten sich an und realisierten, dass eigentlich alle mutiger sein wollen. In diesem Moment wurde man es auch. Diese Übung hatte tatsächlich einen starken Effekt.
Und das stärkt natürlich wieder das Gemeinschaftsgefühl der Branche.
Ja, auf jeden Fall. Und es hat auch mutiger gemacht, das hat man noch am nächsten Tag in den Gesprächen im Rahmen „Kampagnenklinik“ zu verschiedenen Themen gemerkt. Ich habe dort das Thema Storytelling betreut. Zwei Teilnehmer, die zu mir kamen, haben beide auf Peng referiert und gesagt, sie würden gerne so etwas machen, etwas Mutigeres, Subversiveres. Daran sieht man, dass die Teilnehmer die Energie direkt aus dem Workshop mitgenommen haben und tatsächlich in ihre Arbeit integrieren wollen.
An dem Foto kann man schön sehen, mit welcher Leichtigkeit ihr auch an die Themen herangeht und Probleme einfach umdreht.
Das ist auch ein sehr wichtiges Thema – wie bereiten wir unsere komplexen Themen auf. Hier hatten wir einen tollen Workshop – mein zweites Highlight – zum Thema Datenvisualisierung für die Kampagnenarbeit von Carbon Visuals. Antony Turner und Adam Nieman haben verschiedene grandiose Visualisierungen von Umweltproblemen, insbesondere dem CO2-Ausstoß vorgestellt.
Ich erinnere mich an ein Tweet von dir mit einer Visualisierung unseres Planeten mit zwei Bubbles, was genau wurde da visualisiert?
Im linken Bild sieht man als kleine blaue Kugel über der Erdkugel alles Wasser, das wir auf der Erde zur Verfügung haben, Ozeane, Grundwasser, Flüsse etc. und die rosa Kugel rechts zeigt die verfügbare Luft. Die Schichten sind so dünn, dass im Vergleich im Planeten das Volumen sehr klein ist.
Adam Nieman meinte danach im Gespräch mit mir, als ich ihm sagte, dass ich das Bild nicht glauben könne, dass immer alle so reagieren. Er kann aber tatsächlich nachweisen, dass das Bild exakt akkurat ist. Die Visualisierung zeigt, wie wertvoll und verletzlich unsere Atmosphäre ist – man will diese kleinen Kugeln regelrecht beschützen. Und das führt dann eben dazu, dass man auch einen emotionalen Bezug zu einem Thema hat, das sonst immer eher technisch und naturwissenschaftlich dargestellt wird.
Kannst du uns kurz erklären, wie sich das in ihrer Arbeit widerspiegelt?
Erst werden Daten analysiert, dann eine visuelle Umsetzung von CO2-Emissionen entwickelt, um für die Öffentlichkeit greifbarer zu machen, was diese überhaupt für die Umwelt bedeuten. Und dann gehen sie mit den Ergebnissen z.B. auf Gebäudebetreiber bei dem ProjektClean Heat in New York zu und überzeugen sie anhand dieser Bilder, ihre CO2-Emissionen zu reduzieren. Auf den Bildern kann man richtig sehen, wie sich der Ausstoß verringert hat.
Ein zweites Beispiel, das uns alle total überrascht hat: die „Carbon Majors“: In jedem Raum ist ja immer CO2, das natürlicherweise in der Atmosphäre ist, vorhanden, aber eben auch CO2, das durch Verbrennung von fossilen Brennstoffen zusätzlich zu dem was natürlich vorhanden ist, entstanden ist. Klingt kompliziert, wird aber durch die Visualisierung sehr einfach.
Anhand von analysierten Daten ist eine Rangliste der Firmen entstanden, die bisher die größten CO2-Emissionen verursacht haben – Gewinner waren die Firmen Chevron, dann Exxon Mobile, an vierter Stelle BP gefolgt von Gazprom und Shell. Besonders anschaulich wird es in der Visualisierung, die erklärt, dass in einem durschnittlichen Wohnraum von etwa 5m x 5m x 2m
eine Coladose voller Chevron-CO2-Emissionen als Geschenk platziert ist. Und zwar in jedem Raum auf der ganzen Welt. Seitdem ich das Bild gesehen habe, kriege ich diese Cola-Dose nicht mehr aus dem Kopf.
Was waren neben dem Networking und der Visualisierung komplexer Inhalte für dich die wichtigsten Themen auf der Recampaign?
Neben dem Thema Zusammenarbeit von NGOs, von dem ich vorhin schon sprach, war Datensicherheit ein weiteres großes Thema.
Insbesondere für politisch engagierte NGOs ist Datensicherheit bekanntlich ja ein wichtiges Thema, in welchem Zusammenhang wurde das auf der Recampaign diskutiert?
Auch hier gibt es ein Spannungsfeld. Einerseits brauchen NGOs Daten für ihre Kampagnenarbeit, sie übermitteln und sammeln Daten als Teil ihrer Kerntätigkeit, z.B. beim Sammeln und Weitergeben von Petitionsunterschriften.
Gleichzeitig sind die beiden Themen Datensicherheit und verantwortungsvoller Umgang mit Daten gerade bei politischen NGOs wichtig. Hier kann das Sammeln von Daten ja sogar starken Schaden anrichten, wenn Aktivismus auf einzelne Personen zurückführbar ist. Deswegen haben wir viel über Verschlüsselungstechnologien gesprochen und Technologien, die verhindern, dass Daten zuordnungsbar sind. Also dass man trotzdem Erhebungen haben kann, Wirkungen messen kann, ohne diese auf einzelne Personen rückführbar zu machen.
Also sowohl der technische als auch der juristische Aspekt von Datensicherheit?
Genau. Einerseits: Technisch, also wie messen wir Erfolg in der Kampagnenarbeit, wie ist die Wirkung, wie vele Leute machen mit etc. Datenverwaltung von Teilnehmern spielt eine große Rolle, wurde natürlich aber sehr kritisch diskutiert wegen der NSA, aus Datenschutzgründen, aber auch aus Gründen von Verantwortung und Ethik.
Es gab da interessante Diskussionen. Organisationen, die im Bereich Menschenrechte und anderen sehr politische Themen aktiv sind, wie etwa die großartige NGO Tactical Technology Collective plädieren für eine sehr starke Zurückhaltung beim Sammeln von Daten, weil das natürlich Menschen gefährden kann.
Es ist spannend zu sehen, wie sehr eine Veranstaltung wie die Recampaign die Entwicklung in einer Branche beeinflussen kann. Was sind in dem Zusammenhang die Themen und Trends, die Du aus der 5. Recampaign mitnimmst?
Absolut. Insbesondere bei der Abschlußveranstaltung war das sichtbar, als sich die beiden großen Themen sogar überkreuzt haben. Am Ende der NSA-Debatte gabe es eine wichtige Anregung aus dem Publikum, dass NGOs zum Thema Datensicherheits-Standards und Tools alle zusammenarbeiten sollten. Es gibt hier natürlich ein starkes Know-How-Gefälle, insbesondere was die Technik angeht. NGOs, die sich mit dem Thema schon lange beschäftigen oder im technischen Bereich sehr stark sind auf der einen Seite und auf der anderen Seite kleinere NGOs, ohne viel Technik-Know-How oder Problembewußtsein, die da noch nachlegen müssen. Hier ist allen geholfen, wenn wir enger zusammen arbeiten.
Es gab schnell einen Konsens im Raum, dass NGOs daran gemeinsam arbeiten sollten, dass wir gemeinsame Kriterien entwickeln müssen, welche Regeln eingehalten werden und dass wir zum Thema Datenschutz gemeinsam Tools finden und entwickeln lassen sollten, die dann alle einheitlich um- und einsetzen können.
Die Diskussion endete mit der Einladung von Anne Roth (Tactical Technology Collective) an alle interessierten Teilnehmer, bei der UnKonferenz „Ausser Reichweite“ gemeinsam weiter an dem Thema zu arbeiten.
UnKonferenz
05. April Berlin Ausser Reichweite
Danke für das schöne Gespräch!