Kontrollierter Zerfall
Was Bakterien wollen.
So groß der anhaltende Fermentiertrend auf Foodblogs und in der Spitzengastronomie war und ist, das Alltagsküchenverhalten und -wissen der meisten von uns hat das mutmaßlich bisher noch nicht stark verändert. Zäh hält sich der Respekt vor Bakterien und deren Eigenleben. Manche hält vielleicht auch die Scheu vor der nicht nur olfaktorischen Sprengkraft von Experimenten dieser Art ab. Wem bisher aber einfach nur der letzte Schubser und die einfache Anleitung zum Sauerkraut-Selbermachen gefehlt haben, kriegt hier die nächste Chance. Einmal in Gang gesetzt, können viele gar nicht mehr aufhören mit dem Fermentieren. Die finden in »Magic Fermentation« von Marcel Kruse und Geru Pulsinger Anregungen und Anleitungen auf verschiedenen Eskalationsstufen des Fermentierens. Und Erklärungen dazu, in welchen Milieus welche Voraussetzungen zu erfüllen sind.
Salzkunde und Rezepte aus:
»Magic Fermentation« von Marcel Kruse und Geru Pulsinger, Löwenzahn, 2021. Bild: Löwenzahn.
Salz und SALZLAKE
Kleines Korn mit großer Wirkung: Salz
Das Lebenselixier aller Fermentistas: das Salz. Ohne geht nicht, so viel ist klar. Bei der Fermentierung von Lebensmitteln fungiert es als »Schützenhilfe« für die von uns gewünschten Mikroorganismen. Kolibakterien, Kahmhefe und Schimmelpilze vertragen kein Salz und werden somit gleich eliminiert. So können z. B. Milchsäure- und Essigsäurebakterien ungestört mit der Fermentierung beginnen.
Denk immer daran: Qualitativ hochwertiges Salz ist unbehandeltes Salz. Damit es die empfindlichen Mikroorganismen und natürlichen Enzyme nicht stört oder gar tötet, muss es unbedingt frei von Zusatzstoffen sein. Es dürfen keine chemischen Verfahren zum Bleichen des Salzes durchgeführt worden sein (damit es schön weiß ist). Auch dürfen keine Rieselhilfen beigemengt sein, in Form von chemischen Zusätzen oder Mikroplastik.
Die meisten Bakterienstämme vertragen außerdem kein Jod, was überdies das Gemüse weich werden lässt. Welches Salz eignet sich also am besten? Die Antwort ist ganz klar: unbehandeltes Steinsalz oder aus der Tiefe gefördertes Urmeersalz.
DIE MENGE MACHT’S: SALZVOLUMEN
Für die Kraut-Technik gilt als Faustregel: 2–3 Prozent Salz im Verhältnis zum Gesamtgewicht des zu fermentierenden Gemüses oder Obsts sorgen
in der Regel für das gewünschte Ergebnis. Als kleines Rechenbeispiel: Wenn du 1 Kilogramm Kohl zu Sauerkraut verarbeiten möchtest, benötigst du rund 20–30 Gramm Salz. Dasselbe gilt für in Lake eingelegtes Gemüse. Hierbei rechnest du die Salzmenge im Verhältnis zur verwendeten Wassermenge. Für eine 2-prozentige Salzlake mischst du also 20 Gramm Salz auf 1 Liter Wasser, 40 Gramm auf 2 Liter usw. Die Unterschiede ergeben sich dabei je nach Konsistenz deiner Zutaten: Für festes Gemüse wie Karotten brauchst du nur ca. 2 Prozent Salz. Weichere Gemüse wie Zucchini oder Bohnen benötigen dagegen eine 2,5- bis 3-prozentige Lake. Tomaten bleiben knackig in 5-prozentiger Salzlake.
SAUERKRAUT
Ein beliebter Klassiker, den es Überlieferungen zufolge schon seit Jahrtausenden gibt. Besonders für den Winter wurden seit jeher gigantische Mengen an Kohl zu Sauerkraut fermentiert. Denn das Powerkraut liefert massig Nährstoffe und Vitamine für karge Zeiten. Heute landet Sauerkraut bei uns auf dem Teller, weil es einfach fantastisch schmeckt, leicht zuzubereiten und eine wunderbare Beilage ist.
ZUTATEN
1 kg Weißkohl
22 g Salz
1 TL Kreuzmmel
1/2 TL Wacholderbeeren
3 Lorbeerblätter
1 Drahtbügelglas (2l)
nach Bedarf:
Holzlöffel oder Stampfer zum Einfüllen
Gewicht zum Beschweren
Fermentationszeit: 2–3 Wochen
Haltbarkeit: mind. 6 Monate
Zubereitung
1. Die äußeren 1–3 Kohlblätter entfernen, waschen, mit Salz einreiben und beiseitelegen. Diese brauchst du später zum Abdecken des Krauts.
2. Den Kohlkopf vierteln, den Strunk aber nur halb herausschneiden, damit die einzelnen Blätter noch zusammenhängen.
3. Den Kohl in ca. 3–5 mm dünne Streifen schneiden oder hobeln. Dickere Streifen lassen sich mühsamer kneten.
4. In einer Schüssel den geschnittenen Kohl und das Salz 2 Minuten mit den Händen kräftig durchmischen, anschließend 30 Minuten ziehen lassen.
5. Dann geht’s ans Kneten. Das Salz und das Kneten lösen den Zellsaft aus dem Kohl, der den
6. Milchsäurebakterien als Nahrung dient. Wir brauchen viel von diesem Saft; also lange kneten, bis der Kohl schön weich wird. Das kann schon einmal 20 Minuten in Anspruch nehmen.
Zum Schluss soll der Kohl im eigenen Saft schwimmen. Entwickelt sich dabei bereits ein leichter weißer Schaum, so ist das ein Anzeichen dafür, dass die Bakterien mit der Spaltung des im Zellsaft vorhandenen Zuckers gestartet haben. Kraut und Saft kosten, es sollte leicht salzig schmecken.
7. Das Kraut portionsweise ins Glas geben und mit jedem Mal fest nach unten drücken, damit der Saft hochsteigt. Das funktioniert am besten mit der Faust, mit einem Holzlöffel oder Stampfer. Es dürfen keine Luftblasen zwischen dem Kraut bleiben, denn darin könnten sich ungewollte Schimmelpilze breitmachen.
8. Die Gewürze nach und nach mit den einzelnen Portionen zugeben. Das Glas bis maximal 4/5 seiner Füllmenge befüllen, denn die während der Fermentation entstehenden Gase drücken das Kraut etwas nach oben. Befüllst du das Glas zu weit, wird es überlaufen. Vorsichtshalber einen Teller oder eine Schüssel unter das Glas stellen.
9. Zum Schluss den Knetsaft aus der Schüssel in das Glas leeren. Bis zum Glasrand aber unbedingt ca. 4 cm Luft lassen.
10. Mit den beiseitegelegten Blättern einen »Krautdeckel« formen, auf den Glasinhalt drücken und an den Glaswänden festklemmen, sodass das gesamte Kraut inkl. Deckel komplett vom Saft bedeckt ist. Sollte die Gärung alles weit nach oben schieben, so kommt nur der Krautdeckel aus dem Saft hoch. Der könnte an der Luft oxidieren, das Kraut darunter bleibt aber verschont. Zusätzlich oder stattdessen kannst du ein Gewicht zum Beschweren verwenden.
11. Sollte nicht genügend Knetflüssigkeit vorhanden sein, um Kraut und Deckel zu bedecken, mit 2-prozentiger Salzlake aufgießen. Das Glas verschließen.
Auch direkt nach dem Kneten schmeckt das Kraut schon richtig gut, wie ein gut gezogener frischer Krautsalat. Nach 3 Tagen merkst du eine leichte Säure und nach 10 Tagen hast du bereits ein mildes Sauerkraut vor dir. Ein ideales ausgewogenes Aroma und eine herzhafte Säure entfalten sich nach 4–6 Wochen.
KAFFEE-KRAUT-KUCHEN
Na endlich: Nachtisch! Wenn’s nach uns ginge, sollte Essen ja immer mit etwas Süßem beginnen. Aber als echte Fermentistas sind wir natürlich pflichtbewusst sehr koreanisch unterwegs und starten immer mit einem Häppchen Saures. So weit, so gut. Aber Moment mal! Kraut-Kuchen? Gemischt mit Kaffee? Klingt seltsam, schmeckt genial!
Zutaten
500 g Sauerkraut
150 g Butter
320 g Rohrohrzucker
3 große Eier
2–3 TL Vanilleextrakt
220 g Weizenmehl Type 480 (D: 405)
100 g Rohkakaopulver
1 TL Natron
1 TL Backpulver
1 Prise Salz
250 ml kalter Kaffe
ZUBEREITUNG
1. Das Sauerkraut über einem Küchensieb ausdrücken. Mit klarem Wasser ausspülen, nochmals auspres-sen und gut abtropfen lassen. Anschließend klein schneiden.
2. Die Butter in einer großen Schüssel erwärmen, bis sie beginnt, flüssig zu werden. Mit dem Zucker schaumig rühren.
3. Das zerkleinerte Sauerkraut, Eier und Vanille einrühren.
4. Das Mehl in eine zweite Schüssel sieben und mit Kakao, Natron, Backpulver und Salz vermengen.
5. Portionsweise die Mehlmischung in die Krautmischung rühren und dazwischen immer wieder einen Schluck Kaffee hineingeben. Alles zu einem glatten Teig verrühren.
6. Den Teig in eine mit Backpapier ausgelegte große Kuchenform gießen und im vorgeheizten Backofen bei 180 °C Heißluft ca. 30 Minuten backen, bis die Oberseite bei Druckprobe zurückspringt.
7. Den Kuchen aus der Form nehmen und auf einem Drahtgitter vollständig abkühlen lassen.
NINJA-TIPP
Für ein zuckerfreies Icing 80 g Puder-Erythrit mit
1 TL flüssigem Stevia, 1 TL Zitronensaft und etwas Wasser verrühren. Zu flüssig? Gib mehr Puder-Erythrit dazu. Zu klumpig? Füll Wasser nach. Für eine hübsche Farbe sorgen ein paar Tropfen Rote-Bete-Kwass (Ein Rezept dazu gibt’s im Buch »Magic Fermentation«).