»Regionalität reicht nicht«, sagt Lukas Nossol (Dennree)

Seine Branche gehe gestärkt aus der Coronazeit, sagt der fränkische Biohändler. Nun sieht er die Chance für einen Systemwechsel – und die Biobranche als Vorbild.

Die Masken gehören nicht nur für die MitarbeiterInnen der Denn‘s Biomärkte zum Alltag. In den Filialen ist die Nachfrage nach losem Obst und Gemüse weiter hoch. (Foto: Kirsten Nijhof)

Lukas Nossol ist Marketingleiter bei Dennree, das 1974 von seinem Vater gegründet wurde. Das Familienunternehmen mit Sitz in Töpen (Oberfranken) hat es vom Biopionier zum Marktführer im deutschen Biohandel gebracht. In Österreich ist Dennree mit seinen Denn’s-Märkten (die von Nossols Schwester Mareike Nossol geführt werden) mittlerweile in allen neun Bundesländern vertreten. Im Interview mit BIORAMA (das u. a. über die Denn’s-Filialen verteilt wird, Anm.) spricht Lukas Nossol darüber wie es seine Branche nicht nur unbeschadet, sondern gestärkt durch die Coronazeit geschafft hat. Nun sieht er die Chance für einen Systemwechsel gekommen – und klärt seine KonsumentInnen in der heiß diskutierte »Kernkraft? Ja, bitte!«-Kampagne über Hybridsorten und dringend notwendige Ökozüchtung auf.

Lukas Nossol verantwortet bei der 1974 von seinem Vater begründeten Dennree Gruppe die Kommunikation. (Foto: Christoph Busse)

Herr Nossol, sowohl Betriebe, die direkt vermarkten als auch Biosupermärkte freuen sich über verstärkte Nachfrage, weil die KundInnen verstärkt auf Regionalität und Bio achten. Wie geht es denn der Biobranche insgesamt in der Coronakrise?
Lukas Nossol: Insgesamt sind wir als Lebensmittelhändler sehr gefordert, das sind strapaziöse Zeiten. Es gibt auch PartnerInnen, die keine Lebensmittel produzieren – Kosmetikhersteller zum Beispiel –, die nicht unbedingt profitiert haben und teilweise Umsatzrückgänge verzeichnen. Wir haben bei Dennree zwar sehr gute Abverkäufe. Das ist für alle aber eine Grenzerfahrung, die sich jetzt langsam wieder normalisieren wird. Wir spüren klar den Versorgungsauftrag, der zu erfüllen ist und wir möchten zeigen, dass kein Grund zur Panik besteht. Diese generelle emotionale Angespanntheit auszugleichen, das hat auch den MitarbeiterInnen viel abverlangt. Es gab ja keinen einzigen Biomarkt, der Kurzarbeit anmelden musste und nur in einzelnen Ausnahmen – z.B. in komplett geschlossenen Einkaufszentren – geschlossene Läden. In Einkaufszentren sind aber eher die filialisierten Unternehmen angesiedelt, die das ausgleichen können. Ich denke, man konnte den Unterschied spüren, den es zwischen konventionellem Handel und Biohandel gibt, etwa die Solidarität, die sich darin zeigt, dass eigene Lieferengpässe schnell partnerschaftlich angesprochen werden konnten. Die Biobranche ist da enger vernetzt. Es waren auch die Sortimentslücken im konventionellen Handel größer als im Biohandel – vielleicht weil unser System nicht so auf Kante genäht ist und es kaum Just-in-time-Produktion gibt.

Alle trommeln dieser Tage regional, regional, regional. Wird diese Entwicklung hin zu mehr Regionalität weitergehen?
Ich denke, dass die Coronazeit die Leute zum Nachdenken bringt. KundInnen, die ihren Lebensmitteleinkauf vielleicht bislang gar nicht so bewusst gestaltet hatten, kaufen nun bewusster. Wir haben gesehen, dass globalisierte Warenstränge schwer zu steuern sind; auch, weil man teilweise die LieferantInnen gar nicht mehr kennt. Das ist den Menschen ungeheuer geworden. Demgegenüber scheint Regionalität deutlich sicherer, man hat ein Gegenüber, mit dem man reden und gemeinsam Lösungen erarbeiten kann. Regional wird aber auch viel Hybridsaatgut eingesetzt, das nicht nachbaufähig ist. Da sind die LandwirtInnen beim Einkauf von internationalen Saatgutkonzernen abhängig. Konventionelles Saatgut funktioniert teilweise auch nur dann, wenn man vom selben Konzern zwei, drei Zusatzmittel kauft. Die internationale Abhängigkeit ist also auch bei konventionellen regionalen Bäuerinnen und Bauern möglich. Gerade jetzt ist die Chance für einen Systemwechsel groß und spürbar. Regionalität ist wichtig, aber das reicht noch nicht. Ich bin überzeugt, dass der Biosektor bereits viel von dem System darstellt, was wir Menschen brauchen und wünschen.

Es gab auch Punkte, da mussten wir sagen: Nein, wir müssen auch unsere MitarbeiterInnen schützen, wir schaffen das jetzt nicht mehr.

– Lukas Nossol, Dennree / Denn’s

Keine Angst vor politischen Statements: Die von Dennree gestartete Initiative »Kernkraft? Ja, bitte!« beteiligte sich im Januar 2020 auch an der „Wir haben es satt!- Demonstration“ mit einem Informationsstand. (Foto: Dennree)

Gibt es auch Produktkategorien in Ihrem Sortiment, die seit Beginn der Corona-Krise kaum mehr nachgefragt werden?
Kaum mehr nachgefragt kann man nicht sagen. Da ja die Gastronomie geschlossen war, musste man sich selbst noch mehr als sonst versorgen. Unser Absatz ist im ganzen Sortiment gestiegen. Es gab aber sehr wohl technische Limitierungen. Beispielsweise hatten einige Hersteller das Problem, dass sie zwar Rohware verfügbar hatten, es aber keine Verpackungen mehr gab, weil die Verpackungshersteller überwiegend  Verpackung für Desinfektionsmittel produzierten. Auch Unverpackt-Stationen mussten von Gesundheitsämtern geschlossen werden. Und an der Käsetheke gab es eine gewisse Bewegung weg von den großen Käselaiben hin zu Vorverpacktem.

Waren auch Produkte gar nicht lieferbar oder knapp?
Nudeln, Haferflocken und Frischhefe, das war sehr schnell leergeräubert. Da sind die Lieferungen der Nachfrage nicht nachgekommen. Wir hatten selbst oft noch Ware verfügbar, aber die interne LKW-Logistik und auch die Lagerlogistik hat uns an die Grenzen gebracht. Es gab auch Punkte, da mussten wir sagen: Nein, wir müssen auch unsere MitarbeiterInnen schützen, wir schaffen das jetzt nicht mehr. Unsere halbe Büromannschaft hat im Lager mitgeholfen, um das zu packen. Die Bevorratung mit Getreideprodukten hat auch bei uns zu leeren Regalen geführt. Ein Sonderfall waren Produkte aus Italien. Italien stand  in den Medien als Extremfall im Fokus und wurde bei uns von der Bevölkerung in einem eigenen Licht gesehen. Deshalb gab es kaum einen LKW-Fahrer, der nicht selbst aus Italien war, den wir bewegen konnten, nach Italien zu fahren. Wir sind unseren italienischen Partnerbetrieben natürlich beigestanden, es hat jedoch alles etwas länger gedauert als sonst. Aber selbst italienische Ware war durchgehend lieferbar. Ich hab über einen europäischen Fachhändlerverband, in dem wir engagiert sind, mitbekommen, dass die Menschen in Frankreich Angst vor unverpacktem Obst und Gemüse hatten, sodass dort mehr Plastik zum Einsatz kam. Das war bei uns zum Glück nicht so, weder in Österreich noch in Deutschland.  Obst und Gemüse gibt es bei uns ja kaum in Plastik.

Wenn man nicht nur Tiefkühlpizza isst, weiß man, was für ein Wundermittel Hefe ist.

– Lukas Nossol, Dennree / Denn’s

Die grobe Zusammenfassung der kulturellen Prioritäten, dass in Frankreich Wein und Kondome gehamstert wurden, in Österreich und Deutschland aber Toilettenpapier, hat uns alle amüsiert. Welche Unterschiede lassen sich denn zwischen österreichischen und deutschen BiokonsumentInnen feststellen?
Also den Absatz an Kondomen haben wir jetzt nicht länderspezifisch erfasst. (Lacht). Aber im Ernst: Als deutsche KonsumentInnen sind wir sehr dankbar, dass Österreich in der Krise durch die Nähe zu Italien mit konkreten Maßnahmen vorangeschritten ist und musste. Unternehmen, die auch in Österreich aktiv sind, haben schnell gelernt, wie auch in Deutschland Prozesse und  Regeln verschärft werden müssen. Dadurch wurde man in Deutschland nicht so unvorbereitet getroffen Generell kann man sagen, dass der österreichische Konsument und die österreichische Konsumentin  auf Qualität und Regionalität  viel Wert legt. Das merkt man noch stärker aber in der Coronakrise. In Deutschland gab es ja Fotos aus konventionellen Supermärkten, in denen die Regale mit den günstigsten Nudeln leergehamstert, die Bionudeln aber unangetastet geblieben waren. Sowas gibt es meines Wissens in Österreich nicht. Auch die Durchdringung des Sortiments mit österreichischen Waren ist in Österreich höher. Deshalb war es in Österreich leichter, vorhandene PartnerInnen ans Telefon zu bekommen, gemeinsam Probleme zu lösen. In Österreich ist alles weniger anonym. Wir wissen ja, dass BiokonsumentInnen im Fachhandel sich ganz bewusst für ein anderes System entscheiden, mehr nachdenken. Es freut uns, dass wir viele NeukundInnen begrüßen durften und dürfen, weil bei uns Produkte noch verfügbar waren. Wenn man nicht nur Tiefkühlpizza isst, weiß man, was für ein Wundermittel Hefe ist. Da hol ich mir jetzt schnell ein paar Block Hefe, damit kann ich viel daheim anstellen und brauche keine hundert Packungen Nudeln auf Vorrat.

Im Zusammenhang mit Corona und Verschwörungstheorien fragte die taz sinngemäß: Macht Bio gaga? (Angeblich, weil besonders viele Verschwörungstheorien »aus der veganen Bioecke« kamen. Anm.) Was haben Sie sich gedacht, als Sie das gelesen haben?
Dass die Themen langsam ausgehen, bzw. wir bereits beim berühmten Sommerloch-Thema angekommen sind. Aber das sind einzelne RedakteurInnen, das ist keine breite Meinung. Persönlich denk ich nicht, dass Bio gaga macht. Oder ich merk es nicht mehr, weil ich schon so gaga bin, dann solltet ihr vielleicht BIORAMA umbenennen in GAGARAMA. (Lacht.)

Die vergangenen Wochen waren für den Lebensmittelhandel besonders fordernd. Auch Dennree hat MitarbeiterInnen gesucht. Hat sich die Lage in den Märkten nun wieder normalisiert?
Wir sind noch weit weg von einer Normalisierung. Die Nachfrage ist noch deutlich erhöht und so sind auch alle unsere MitarbeiterInnen stark gefordert. Wir konnten die Mehrarbeit aber gut auffangen. Viele Menschen waren überrascht, wie wenig stabil der eigene Arbeitsplatz ist und  mussten sich umorientieren. Der Lebensmittelhandel ist eine krisensichere Arbeitsstelle und konnte die zusätzlichen Hände gut gebrauchen.  Die KollegInnen mussten und müssen einiges aushalten …. Vereinzelt haben KundInnen, selbst mit den Maßnahmen unzufrieden, ihren Frust an unseren MitarbeiterInnen im Markt ausgelassen. Dazu kommen ganz neue Herausforderungen. Zum Beispiel leidet die Haut darunter, wenn man den ganzen Tag eine Maske trägt. Auch wenn man sich an Ausnahmesituationen ein Stück weit auch gewöhnen kann, von einer Normlaisierung sprechen wir noch nicht.

Wir alle sind den EinzelhandelsmitarbeiterInnen dankbar, dass die Einkaufsmöglichkeiten aufrecht gehalten werden konnten – auch zu einer Zeit, wo man noch sehr wenig über das Virus wusste. Was wünsche sich Ihre MitarbeiterInnen derzeit von Ihnen, aber auch von den KundInnen?
Viele Dinge kann man als Arbeitgeber nicht beeinflussen und es auch nicht allen rechtmachen. Wer mehr Angst hat, wünscht sich mehr Schutz, andere, die weniger Angst haben, wünschen sich eine Reduktion des Schutzes. Man muss einen Mittelweg gehen. Insgesamt ist der Wunsch nach Normalität wahnsinnig groß. Es gab ja viel Hin und Her von offizieller Seite. Es ist eine emotionale Achterbahnfahrt, wenn die Meldung vom Vormittag mittags schon nicht mehr gilt. Wir raten unseren KundInnen, nicht in großen Gruppen einkaufen zu kommen, das macht alles einfacher zu handhaben. Generell denke ich, dass die Solidarität deutlich überwiegt. Wir und alle sind dankbar für die Arbeit und das Engagement der VerkäuferInnen. Um unserer Wertschätzung Ausdruck zu verleihen, gab es für unsere MitarbeiterInnen Sonderzahlungen für ihren besonderen Einsatz,

In Österreich startete Denn’s recht spontan die Aktion »Masken mit Mehrwert« und ließ Mund-Nasen-Masken von kleinen Eco-Fashion-Labels nähen. Wie kam denn diese Aktion an? Und ist angedacht, sie auch in Deutschland zu starten?
Das war eine Idee meiner Schwester Mareike Nossol, die in Wien wahrgenommen hat, wie sehr kleine Unternehmen an den Rand gedrängt werden und eine Idee entwickelte, wie ihnen vielleicht geholfen werden konnte. Das kam in Wien sehr gut an. Mittlerweile nimmt die Dynamik aber ab. Es haben sich alle mit Masken ausgestattet, sie sind überall verfügbar. Wir waren mit der Aktion sehr schnell und gaben den Erlös wirklich zu 100 Prozent weiter. Mittlerweile ist das aber wieder ein Randthema, leider.
In Deutschland haben wir zur Nachbarschafts-Challenge aufgerufen. Mit vorgedruckten Zetteln haben wir dazu motiviert, zu schauen, ob es NachbarInnen gibt, die sich vielleicht nicht mehr aus dem Haus trauen, ob nicht vielleicht ein 80-jährige Pärchen allein in der Wohnung sitzt und Hilfe gebrauchen kann. Sonst haben wir vor allem versucht, unseren PartnerInnen gegenüber Sicherheit auszustrahlen, auch gegenüber LandwirtInnen. Wir haben deutlich mehr telefoniert als vorher. Es ging darum, Ruhe auszustrahlen, damit die sich ausbreiten kann. Wir haben das aber nicht in PR-Pakete gepackt.

Live im Webinar auf den Spuren der ÖkozüchterInnen: Lena Grießhammer (Dennree),  Lukas Adrion (Biolandhof Adrion), Matthias Ristel  (Mobiler Ökozüchter bei apfel:gut e.V.) (v.l.n.r.; Foto: Dennree)

Viele Menschen haben im Homeoffice oder durch den Heimunterricht erstmals Video-Konferenzen kennengelernt und die Corona-Krise ist auch die teuerste, aber vermutlich effizienteste Digitialisierungsoffensive. Hat sich für Dennree die Bedeutung des Onlinehandels geändert?
Bisher nicht. Online-Handel  forcieren wir nicht und wir bewerten das heute auch nicht anders als vor drei Monaten. Die Kommunikation über digitale Medien haben wir aber intensiviert. Im Rahmen unserer Kampagne »Kernkraft? Ja, bitte!« haben wir ein Webinar zum Thema Ökozüchtung veranstaltet und waren vor Ort bei einem Apfelzüchter – wir haben unsere KundInnen eingeladen, live Fragen zu stellen. Also alles live und unmittelbar. Das werden wir nun regelmäßig wiederholen. Uns gefällt, dass Live nicht kontrollierbar ist, eine besondere Transparenz ermöglicht und zeigt: Wir haben nichts zu verstecken und viel zu entdecken! Da schaffen wir über die direkte Kommunikation mit unseren KundInnen und potenziellen KundInnen. Und wir stützen unseren stationären Handel durch digitale Maßnahmen.
Über unser verbundenes Hofgut Eichigt vermarkten wir zum Beispiel das Fleisch der männlichen Jungtiere, die ja in die Milchwirtschaft nicht eingesetzt werden können . Wir verkaufen die Tiere nicht einfach weiter, nicht wissend, wo die Kälber landen. Stattdessen ziehen wir sie mit denselben Qualitäts- und Tierwohlstandards auf, wie die Milchkühe. Die Vorbestellung des Fleischs wird digital abgewickelt. Da hilft online enorm, weil dadurch wieder der Markt vor Ort entlastet wird. Wir haben aber auch weiterhin kein Ausliefergeschäft auf breiter Fläche.

Die Biodiversitäts-Initiative »Kernkraft? Ja, bitte!« haben Sie bereits angesprochen. Selbst wenn die Coronakrise irgendwann überwunden ist oder wir als Gesellschaft lernen, mit dem Virus zu leben: Es bleibt die ökologische Krise. Ihre Initiative engagiert sich für eine zukunftsfähige Öko-Züchtung und versteht sich auch als Statement gegen Gentechnik. Was hat sich denn diesbezüglich in den vergangenen Monaten getan?
Da wird noch viel kommen. Wir haben große Ziele, stellen finanzielle Mittel für die Ökozüchtung zur Verfügung und werden das Thema immer stärker publik machen. Wir wollen unseren KundInnen erklären, dass das Saatgut des regionalen Bauerns leider doch oft von Übersee kommt, dass hier Abhängigkeiten bestehen. Wir wollen die Notwendigkeit eines Systemwechsels kommunizieren, der mit dem Euro an der richtigen Kasse unterstützt und entschieden werden kann. Und wir wollen zur Ökozucht motivieren.

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